Übergriffe

Expertin: Sexismus gibt es überall

Expertin: Sexismus gibt es überall

Expertin: Sexismus gibt es überall

Nordschleswig/Kopenhagen
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Unerwünschte Berührungen sind lediglich eine Form der sexuellen Belästigung. Foto: Nielsen Stefan Kai/Ritzau Scanpix

Sexismus ist ein allgegenwärtiges Problem in unserer Gesellschaft. Deshalb ist es gut und richtig, dass die Minderheit die Diskussion aufgreift, denn es ist anzunehmen, das es auch hier existiert. Das meint der dänische Frauenverband.

Donnerstagabend findet auf Initiative des Deutschen Büchereiverbandes ein Politisches Forum zum Thema Sexismus statt. Wie „Der Nordschleswiger“ berichtete, haben auch die Organisationen der Minderheit das Thema aufgegriffen.

Gut, richtig und wichtig, lautet die Reaktion des dänischen Frauenverbandes, Dansk Kvindesamfund.

„Ich denke, dass es gerade auch in der deutschen und dänischen Minderheit wichtig ist, das Thema aufzugreifen. In einer kleinen Gemeinschaft, wo jeder jeden kennt, ist es oft schwer, über Sexismus zu sprechen. Doch gerade deshalb ist es wichtig, klarzustellen, dass nicht die- oder derjenige, der Sexismus benennt, die gute Stimmung kaputt macht, sondern jener, der die Belästigung begeht“, sagt die Vorsitzende Helena Gleesborg Hansen.

Man soll davon ausgehen, dass es Sexismus gibt

Denn Sexismus wie auch sexuelle Belästigungen sind allgegenwärtig in unserer Gesellschaft.

„Es geschieht in unterschiedlichem Ausmaß überall, an allen Arbeitsplätzen und unter allen Personalgruppen. Niemand ist davor geschützt“, sagt Mille Mortensen von der Universität Kopenhagen im „TV2“-Programm „Presselogen“. Sie erforscht belästigendes Verhalten an Arbeitsplätzen hierunter auch sexuelle Belästigungen.

Gleesborg Hansen sieht die Lage ähnlich.

„Da das Problem so verbreitet ist, tut die Leitung gut daran, davon auszugehen, dass es auch in irgendeinem Maße am eigenen Arbeitsplatz oder in der eigenen Organisation existiert“, meint sie.

Der Generalsekretär des Bundes Deutscher Nordschleswiger ( BDN), Uwe Jessen, hat dem „Nordschleswiger“ erzählt, man werde einen Fahrplan ausarbeiten, um den Umfang von Sexismus in der Organisation zu ermitteln.

Untersuchung ist nicht gleich Untersuchung

Die Expertinnen machen darauf aufmerksam, dass man eine solche Untersuchung sehr sorgsam planen sollte, wenn man brauchbare Ergebnisse erhalten möchte.

So reicht es nicht aus, sich auf die jährliche, gesetzespflichtige Arbeitsplatzuntersuchung zu verlassen, um ein wahres Bild von den Problemen an den Arbeitsplätzen zu bekommen.

„Möchte man den Umfang von Sexismus und sexueller Belästigung an einem Arbeitsplatz oder in einer Organisation untersuchen, ist es entscheidend, dass man präzise nachfragt. Fragt man nur, ob die Mitarbeiter sexuelle Belästigungen erlebt haben, wird man zu wenig Fälle registrieren“, sagt Professorin Anette Borchorst vom Institut für Politik und Gesellschaft der Universität Aalborg.

Präzise Fragen

Borchorst unterscheidet hier zwischen Alltagssexismus, unerwünschten sexuellen Kontakten (sexueller Belästigung) und sexuellem Zwang. Letzteres ist eine Situation, wie die, von der Sofie Linde berichtet hat, wo ein Chef droht, ihre Karriere zu zerstören, wenn sie ihn nicht sexuell befriedigt.

Beispiel für eine Frage zum Alltagssexismus kann sein, ob am Arbeitsplatz obszöne Frauenwitze alltäglich sind. Eine Frage zur sexuellen Belästigung kann sein, ob man unaufgefordert zu seinem Sexualleben befragt worden ist oder sexuell betonte Berührungen erlebt hat.

Präzise Fragen zu sexueller Belästigung

Anette Borchorst nennt eine Untersuchnung innerhalb der Verteidigung als beispielhaft dafür, wie man präzise fragt. Wir bringen die Fragen in Auszügen. Insgesamt sind es 29 Fragen.

Generelle Bemerkungen zum Geschlecht

  • Werden Witze über Frauen (zum Beispiel „Blondinenwitze“) erzählt?
  • Wird generell herabsetzend über Frauen gesprochen?
  • Werden alle Frauen über einen Kamm geschoren (zum Beispiel, dass Frauen keine Ahnung von Technik haben)?
  • Werden obszöne Geschichten über Frauen erzählt?

Persönlich adressierte Bemerkungen zum Geschlecht

  • Ist hinterfragt worden, ob du als Frau bestimmte Arbeitsaufgaben lösen kannst?
  • Wirst du übersehen, weil du eine Frau bist?
  • Werden deine Leistungen herabgewürdigt, weil du eine Frau bist?
  • Ist dein Körper kommentiert worden?

Unerwünschte sexuelle Aufmerksamkeit

  • Sind grobe oder stark sexuell betonte Kommentare in größeren Versammlungen an dich gerichtet worden?
  • Hat jemand unter vier Augen grobe oder sexuell belästigende Äußerungen an dich gerichtet?
  • Bist du gegen deinen Willen in Gespräche über Sex verwickelt worden?
  • Sind dir unaufgefordert Fragen zu deinem Sexualleben gestellt worden?
  • Ist pornografisches Material gezeigt, verwendet oder verteilt worden (zum Beispiel am Bildschirm, auf Plakaten, in Filmen)?
  • Bist du in einer Weise berührt worden, die sexuelle Untertöne hatte?
  • Bist du zu Sex mit einem Versprechen von Gegenleistungen aufgefordert worden?
  • Hat sich jemand vor dir entblößt?

Quelle: Øhrstrøm, Bente, Jørgen Eriksen og Louise Knudsen (2003). Undersøgelse af forekomst og oplevelse af kønskrænkende adfærd i forsvaret. Hovedresultater. København: „Forsvarsakademiet, Institut for militærpsykologi“ zitiert in „Seksuel chikane på arbejdspladsen“, Anette Borchost und Lise Rolandsen Agustin.
 

Mortensen macht auf einen weiteren entscheidenden Punkt aufmerksam. Nämlich, dass eine Untersuchung, die ausschließlich den Umfang untersucht, zu kurz greife. Man müsse qualitativ untersuchen, also mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sprechen, um die Ursachen für sexuelle Belästigung und Sexismus aufzudecken.

Dabei sollte man vor allem auch darauf achten, dass jene, die in einer Organisation die geringste Macht haben, am häufigsten Übergriffe erleben müssen, betont die Frauenverbandsvorsitzende Gleesborg Hansen.

„Wir wissen aus mehreren Untersuchungen, dass Praktikantinnen und Angestellte mit Zeitverträgen Sexismus am stärksten ausgesetzt sind. Wer unten in der Hierarchie steht, erlebt am ehestem sexuelle Belästigungen“, sagt sie.

Nulltoleranz

Alle drei Expertinnen sind sich einig, dass es entscheidend ist, dass die Leitung, eine Nulltoleranz gegenüber sexuellen Belästigungen deutlich vertritt.

„Sowohl an Arbeitsplätzen als auch in Verbänden braucht es eine transparente Politik dazu, welche Konsequenzen unterschiedliche Formen von Sexismus haben. Welche Sanktionen gibt es zum Beispiel, wenn ein Chef ‚Dickpix‘ (Fotos des männlichen Glieds, Red.) schickt, welche bei physischer oder verbaler sexueller Belästigung?“, betont Gleesborg Hansen.

Kulturänderung braucht Zeit

Ein Grund, weshalb der Umfang von sexueller Belästigung häufig nicht entdeckt wird, ist, dass dem Personal häufig nicht klar ist, an wen sie sich wenden können. Dabei ist die Aussage eines Chefs, seine Tür stehe immer offen, unzulänglich.

„Es ist wichtig, dass ganz deutlich ist, an wen man sich wenden kann, wenn man sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt hat. Es muss auch möglich sein, anonym zu bleiben, denn das Problem ist immer noch so tabuisiert, dass man sonst nichts erfährt“, sagt Professorin Borchorst.

„Auch ist wichtig, dass nicht nur jene, die sexueller Belästigung ausgesetzt werden, dies melden, sondern auch wer dies beobachtet hat.“

Fünf Empfehlungen

Forscherin Mille Mortensen hat folgende Empfehlungen, um sexuelle Belästigung zu bekämpfen:

  1. Sexuell belästigendes Verhalten soll qualitativ untersucht werden. Im Anschluss braucht es einen Entwicklungsprozess.
  2. Die Kultur an einem Arbeitsplatz ist nie zufällig, sondern sie hat Funktionen. Wir müssen sie verstehen, um die Kultur ändern zu können.
  3. Eine Kulturänderung kann nicht durch einen Vortrag oder Thementag erreicht werden. Dies kann den Anfang bilden, aber es braucht einen langfristigen Prozess.
  4. Die Kompetenzen sämtlicher Leiter einer Organisation sollen entwickelt werden, damit sie mit sexueller Belästigung umgehen, ihr aber auch vorbeugen können.
  5. Die Kompetenzen sämtlicher Mitarbeiter zum Feedback, sowohl bei fachlichen als auch bei zwischenmenschlichen Fragen sollen gestärkt werden. So können wir mehr Mut bekommen, auf Verhalten, das Grenzen überschreitet, zu reagieren.

Mille Mortensen betont, dass es grundsätzliche Änderungen auf allen Ebenen der Organisation brauche. Dies fängt beim Einzelnen an, geht über die Gruppe, die Leitung bis zur Gesamtorganisation. Und solch eine Kulturänderung brauche vor allem eines, nämlich Ausdauer.

„Es gibt keine einfachen Lösungen. Hier muss ein Stück Arbeit geleistet werden, und das braucht Zeit,“ sagt sie in „Presselogen“.

Wiederholungstäter

Borchorst betont dabei, dass es vor allem darauf ankomme, mit dem Wegschauen, Schweigen und der Tabuisierung aufzuräumen.

„Das Muster, das wir erkennen können, ist, dass es eine relativ kleine Gruppe von Männern ist, die immer wieder diese physischen und verbalen Übergriffe begeht“, weiß sie aus ihrer Forschung zu berichten.

Diskussion

Am Donnerstag, 1. Oktober, ab 19 Uhr hat der Büchereiverband ein politisches Forum organisiert, das im Deutschen Gymnasium für Nordschleswig stattfindet.

Zu Beginn der Veranstaltung hält Fabian Lamp, Professor für Theorien der Sozialen Arbeit und Gender Studies an der Fachhochschule Kiel, einen einleitenden Vortrag. Unter der Moderation von Jan Martensen werden Sofie Knauer (Studentin), Sara Wasmund (Redakteurin) und Linus Clausen (Schüler) zum Thema sprechen, um dann mit dem Publikum zu diskutieren.

Der Eintritt ist kostenlos. Aufgrund der Corona-Restriktionen ist eine Anmeldung unter zentral@buecherei.dk allerdings erforderlich.

Wer selbst Erfahrungen mit dem Thema Sexismus in der Minderheit gemacht hat und (anonym) davon berichten möchte, kann sich an Kerrin Jens (kj@nordschleswiger.dk) oder Walter Turnowsky (wt@nordschleswiger.dk) wenden.

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Leitartikel

Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
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