Klimawandel

Vom Wegwerfbau zur Bauwende: Architektur für eine nachhaltige Zukunft

Vom Wegwerfbau zur Bauwende: Architektur für eine nachhaltige Zukunft

Vom Wegwerfbau zur Bauwende: Architektur der Zukunft

Apenrade/Kopenhagen
Zuletzt aktualisiert um:
Inge-Lise Kragh (M.) im Kreise ihrer Geschäftspartnerinnen Camilla L. Nybye (l.) und Mette P. Bonné (r.), die gemeinsam das Architektenbüro „Rønne Arkitekter“ in Kopenhagen betreiben. Foto: Privat

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Inge-Lise Kragh ist eine junge Architektin, die sich eingehend mit dem nachhaltigen Bauen beschäftigt hat. Wenn es nach ihr geht, würden kaum noch neue Häuser und Gebäude gebaut werden, sondern hauptsächlich bestehende Immobilien saniert werden.

Häuser dürfen nicht einfach abgerissen und durch neue ersetzt werden, fordert Inge-Lise Kragh. Die Restaurierungsarchitektin macht sich seit Jahren dafür stark, Gebäude zu sanieren und Baumaterial nach Möglichkeit wiederzuverwenden. Das sei gut für Umwelt und Klima, aber auch für die menschliche Kultur. 

Deshalb muss, um die Klimawende (grøn omstilling) zu schaffen und um den Ressourcenverbrauch zu senken, auch eine Bauwende erfolgen. „Ein Neubau ist immer eine Belastung für die Umwelt“, sagt Inge-Lise Kragh. „Wir müssen besser werden, unseren Gebäudebestand länger und besser zu nutzen.“

Abreißen nur als letzte Lösung

Das „Bevar-eller-forklar“-Prinzip (Bewahre-oder-erkläre-Prinzip) wird in Zukunft den Abriss von Gebäuden erschweren, sagt Inge-Lise Kragh. Die Leitlinie fordert eine plausible Begründung, bevor ein Gebäude abgerissen werden darf. Ziel ist, Abrisse zu minimieren und bestehende Gebäude möglichst zu erhalten.

Während es in früheren Jahrhunderten und bis ins 20. Jahrhundert üblich war, möglichst stabil und haltbar zu bauen, weil die Baustoffe einfach teuer und der Transport schwer waren, ist es heute anders. „Baustoffe sind verhältnismäßig günstig, teuer sind die Arbeitskräfte“, so die Architektin.

Das Büro von „Rønnow Arkitekter“ an der Kopenhagener Strandgade. Das Haus wurde nach nachhaltigen Gesichtspunkten renoviert. Foto: Privat

Langlebige Bauteile verwenden

Die jahrhundertealte Baukultur, die immer mehr verfeinert wurde, hat sich mit Einzug der Industrialisierung verändert. Besonders in den 1950er- und 1960er-Jahren ist diese Baukultur weggefallen. Rohbauten waren oft sehr langlebig und konnten bis zu 300 Jahre – teilweise sogar länger – überdauern. Heute werden Fassaden, Technik und Innenausbau in kurzen Abständen regelmäßig ausgetauscht, berichtet sie. „Wir bauen nicht mehr auf lange Sicht.“

Die Kurzlebigkeit setzt einen großen CO₂-Abdruck – und der müsse verhindert werden. „Das wird jedoch vergessen, da nicht auf langlebige Produkte geachtet wird.“ Als Beispiel dafür nennt sie moderne Kunststofffenster, die auf 20 bis 30 Jahre Haltbarkeit ausgelegt sind. Im Vergleich dazu haben handgefertigte Holzfenster eine Lebenserwartung von mehreren hundert Jahren. „Wir müssen weg von der Wegwerfgesellschaft“, fordert sie – auch beim Bauen.

Noch nie wurde in der Menschheitsgeschichte so viel produziert und weggeworfen wie heute.

Inge-Lise Kragh

„Noch nie wurde in der Menschheitsgeschichte so viel produziert und weggeworfen wie heute. In kurzer Zeit sind die endlichen Ressourcen fast aufgebraucht worden“, so Inge-Lise Kragh eindringlich. Inzwischen gibt es schon Engpässe bei der Versorgung mit Baumaterial – das dadurch teurer geworden ist. 

Inzwischen gibt es schon Projekte, die einen anderen Weg gehen. Ein lokales Projekt wird derzeit in Apenrade von Realdania durchgeführt: Das Haupthaus der Orgelbauerei „Marcussen & Søn“ in der Fußgängerzone bekommt eine Generalüberholung. Bei den Arbeiten werden die ursprünglichen, teilweise jahrhundertealten Holzverkleidungen und -decken restauriert.

Behörde mit Lösungsansatz

Es gibt inzwischen Vorschläge, die moderne Baukultur zu verändern: Das neue „Bevar-eller-forklar“-Prinzip soll erschweren, Immobilien abzureißen. Es war schon beim jüngsten „Folkemøde“ auf Bornholm Diskussionsthema. So soll verhindert werden, dass neue Baumaterialien produziert werden, denn „knapp 30 Prozent des CO₂-Ausstoßes in Dänemark kommt von der Baubranche“, heißt es von der Sozial- und Baubehörde. 

In Deutschland liegt der Anteil sogar bei etwa 50 Prozent. Hinzu kommt das Abfallaufkommen. Das besteht aktuell zu knapp 50 Prozent aus Bauabfällen. Und: Mehr als 90 Prozent der mineralischen Ressourcen, die der Erde entnommen werden, werden für den Bau verwendet. Global gibt es inzwischen mehr menschengemachte Masse als Biomasse auf der Erdoberfläche, berichtet Architektin Kragh.

„Die Forschung zeigt uns: Es lohnt sich, zu renovieren, statt abzureißen. Wenn gesagt wird, es lohnt sich nicht, dann wird nicht eingerechnet, dass ein Neubau oftmals eine schlechtere Qualität hat. Zudem wird oftmals der Abriss nicht eingerechnet“, führt sie auf. So seien die Fertighäuser zwar kostengünstig, doch „ein Architektenhaus muss nicht teurer sein“, berichtet sie. 

So sollte in Zukunft gebaut werden

Um nachhaltig zu bauen, haben Inge-Lise Kragh und ihre Mitarbeitenden fünf Parameter festgelegt. Es ist ein konstruktiver Schutz, das heißt, es sollen bauliche Maßnahmen eingeplant werden, die das Gebäude schützen. Als Beispiel nennt sie den Überhang des Daches, der verlangsamt, dass die Fassade durch Regen und Wind erodiert, oder auch Vorsatzfenster, die das eigentliche Fenster schützen. „Es ist in unseren Breiten das Wichtigste, dass das Wasser nicht ins Haus kommt.“

Außerdem sollen Komponenten reparierbar sein. „Defekte Teile sollen nicht einfach nur ausgetauscht und durch neue ersetzt werden“, erklärt sie. Moderne Fenster aus Kunststoff seien ein solches Beispiel. „Gehen diese kaputt, lohnt sich eine Reparatur nicht. Sie werden einfach durch neue ersetzt. Die alten Fenster landen auf dem Müll“, so Kragh. Für die neuen Fenster müssen wiederum neue Rohstoffe gewonnen werden. Handelt es sich um Kunststofffenster, müssen diese zudem später entsorgt werden. Der Klimaabdruck ist um ein Vielfaches höher als ein altes Fenster, das renoviert wurde. 

MGO-Platten-Skandal

Wichtig ist auch, das Material zu kennen. „Ein Negativ-Beispiel sind die sogenannten MGO-Platten. Die wurden unter anderem beim Aarhuser ,Dokk1‘ verwendet“, erzählt die gebürtige Süderwillstruperin. Diese Platten sollten eigentlich Wasser abweisen. Das Gegenteil war dann jedoch der Fall. Viele Gebäude mussten nachträglich ausgebessert werden. Ein kostspieliges Unterfangen in Millionenhöhe. 

Schlechtes Material von früher – Problem von heute

Ein weiterer Faktor ist das verbaute Material. „In den 60'er- und 70'er-Jahren wurde ganz viel schlechtes Material verwendet, das nicht nur umweltschädigend, sondern auch gesundheitsschädlich ist“, sagt die 40-Jährige. Asbest ist nur ein Beispiel dafür, das heute besondere Probleme bei der Entsorgung macht. Eine Sanierung von Gebäuden wird durch solche Stoffe kostenintensiver.

Der kulturelle Wert eines Baus sei ein weiterer wichtiger Baustein. „Ich meine damit Ästhetik, Atmosphäre und Ortsidentität. Diese Parameter sollen langlebige Architektur sichern“, sagt sie.

Ausbessern statt erneuern: Holz ist dafür eine Mittel der Wahl. Foto: Privat

Höherer Immobilienwert durch Sanierung

Eine Untersuchung von Realdania hat ergeben, dass erhaltenswerte Häuser aus dem Markt knapp 30 Prozent mehr einbringen, als vergleichbare Häuser neueren Baujahres. „Das zeigt, dass dort Werte eine Rolle spielen, die sich materiell nicht messen lassen. Es sind kulturelle Werte, die den Unterschied ausmachen“, erklärt die Architektin. 

An der allgemeinen Verbraucherkultur müsse gearbeitet werden. Man könne es schaffen, weniger Ressourcen zu verbrauchen. Und nicht nur das: „Die Produkte sollten so gemacht werden, dass sie lange halten und wenn sie doch einmal kaputtgehen, sollte man sie reparieren oder vernünftig entsorgen können.“

Umdenken findet statt

Bei den jungen Architektinnen und Architekten habe ein Umdenken stattgefunden, berichtet Inge-Lise Kragh. An den Universitäten wird inzwischen hauptsächlich die nachhaltige Architektur thematisiert. Bis sich das allerdings in der Praxis und damit bei den Menschen durchgesetzt hat, werden Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen, glaubt die Architektin.

In ihren Augen gibt es schon positive Beispiele. So versuchen die Kommunen, eigene Bauprojekte nachhaltiger zu machen. Auch die Entwicklung bei den privaten Bauherrinnen und -herren, Energie zu sparen und beispielsweise Regenwasser für den eigenen Wasserbedarf zu nutzen, sei toll. Ebenfalls werden bei einigen Bauprojekten schon Ziegel wiederverwertet. 

Einen Tipp für Heimwerkende hat Inge-Lise Kragh auch: Aus Leinöl, Buttermilch, Hirschhornsalz und Pigmenten lassen sich Wandfarben kostengünstig, nachhaltig und vor allem ohne gesundheitsschädigende Stoffe mischen. So kann man beim Renovieren mit einfachen Mitteln nachhaltig arbeiten. 

Abschließend fasst Inge-Lise Kragh zusammen: „Wir müssen beim Bau auf Qualität und Langlebigkeit achten und langfristig planen.“

Nachhaltiges Bauen

Damit die Klimawende gelingen kann, muss auch eine Bauwende erfolgen. Es sollte nicht neu gebaut werden, denn:

  • der Bausektor emittiert europaweit bis zu 50 Prozent des CO₂-Ausstoßes. In Dänemark sind es 30, in Deutschland knapp 50 Prozent.
  • 55 Prozent des Abfallaufkommens kommt aus der Baubranche.
  • 92 Prozent der mineralischen Ressourcen, die der Erde entnommen werden, werden für den Bau verwendet.
  • 25 Milliarden Tonnen sind in Deutschland in Form von Bauten aufgetürmt; 50 Prozent davon als Infrastruktur (Straßen usw.), 50 Prozent in Form von Hochbau (Gebäude).
  • Jedes Jahr kommen in Deutschland 500 Millionen Tonnen hinzu.
  • die demografische Entwicklung zeigt: Es wird weniger Menschen in Dänemark geben.
  • der CO₂-Ausstoß jeder Bürgerin und jedes Bürgers müsste auf maximal 1 Tonne pro Jahr reduziert werden. Er liegt aktuell bei knapp 11 Tonnen.

    Quellen: www.umweltbundesamt.de, www.sbst.dk

Mehr lesen

Leitartikel

Gwyn Nissen
Gwyn Nissen Chefredakteur
„Zusammenarbeit: Wieso die Regierung an ihre Grenze gestoßen ist“