Diskriminierung
322 dänische Politikerinnen klagen an: Sexismus ist Alltag auch im Folketing
322 dänische Politikerinnen klagen an: Sexismus ist Alltag auch im Folketing
322 Politikerinnen klagen an: Sexismus ist Alltag
Die Reaktionen auf einen offenen Brief in „Politiken“ reichen von Erschütterung über Unterstützung bis hin zu Ablehnung und Kritik. Mette Frederiksen schritt am Sonnabend bereits zur Tat.
Ein offener Brief von 322 Frauen, die allesamt parteipolitisch aktiv sind oder waren, hat die Sexismus-Debatte in Dänemark erneut entfacht. Am Sonnabend machte die Tageszeitung „Politiken“ mit dem Schreiben auf, das sich direkt an die Parteispitzen im Lande richtet.
Darin schildern viele der Frauen umfangreichen Sexismus und körperliche Übergriffe bei politischen Treffen, im Parlamentsgebäude auf Schloss Christiansborg und bei anderen Zusammenkünften in den Parteien.
„Damit muss jetzt Schluss sein und die Parteien müssen das Problem ein für alle Mal anerkennen und handeln“, so der Aufruf.
79 der aktiven oder ehemaligen Politikerinnen haben ihre Erlebnisse mit Sexismus und Übergriffen in den Parteien anonymisiert beschrieben – der „Politiken“-Redaktion sind die Namen jedoch bekannt.
Viele Taten wurden nie zuvor geschildert – geschweige denn angezeigt
„Einer von uns wurde bei einem Parteitag während der Feier von einem Folketingsabgeordneten ein Finger in den Schritt gesteckt, als sie mit einem anderen Parteimitglied tanzte. Die fanden das beide sehr lustig“, so eine der Schilderungen.
Hinter der Initiative stehen vier Frauen, die insgesamt 322 Unterschriften in fast allen Parteien, die im Folketing vertreten sind, eingesammelt haben.Viele der Taten sind nie angezeigt oder zuvor berichtet worden. Laut Initiativgruppe könne das daran liegen, dass die betroffenen Frauen sich ihrer Partei gegenüber loyal verhalten wollen.
„Ich bekomme keine Luft mehr“
Die Parteispitzen auf Christiansborg haben sich gegenüber „Politiken“ schockiert von der Menge der Berichte und ihrer Heftigkeit gezeigt.
„Was mich überrascht sind die sehr gewalttätigen Vorfälle, von denen berichtet wird“, sagt die Vorsitzende der Volkssozialisten (SF), Pia Olsen Dyhr.
„Die Welle rollt und es ist eindeutig, dass einige Erlebnisse in der Politik unterdrückt worden sind“, so der Chef der libertären Partei Liberale Allianz, Alex Vanopslagh.
Die Fraktionssprecherin der sozialliberalen Radikale Venstre, Sofie Carsten Nielsen, twitterte am Sonnabend: „Ich bekomme keine Luft mehr. Ich wusste es wohl, ich habe gekämpft, aber trotzdem bin ich erschüttert. Alle müssen diese Aussagen lesen, bevor sie sich weiter äußern. Und niemals wieder darf jemand diese Frauen dazu auffordern, den Mund zu halten. Niemals!“
Der ausländer- und integrationspolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Rasmus Stoklund, zeigte sich ebenfalls bewegt. „Schreckliche und schockierende Zeugenaussagen über Drohungen, Übergriffe und Abgestumpftheit. Hoffentlich werden sie ein wichtiger Beitrag zu einer endgültigen Abrechnung mit einem bizarren Verhalten in Teilen der dänischen Politik“, twittert er.
Venstre-Chef Ellemann will Konsequenzen ziehen
Der Chef der rechtsliberalen Volkspartei Venstre, Jakob Ellemann-Jensen, meldete sich auf Facebook zu Wort. „Sowohl als Venstre-Vorsitzender als auch als Vater einer jungen Frau von 16 Jahren distanziere ich mich aufs Schärfste vondem Verhalten, das in dem Brief beschrieben wird“, so Ellemann. „Ich will nicht hinnehmen, dass Frauen ängstlich zur Arbeit gehen, zu politischen Veranstaltungen oder dass sie sich aus der Politi heraushalten, weil sie grenzüberschreitendem Verhalten ihrer männlichen Kollegen ausgesetzt sind“, schreibt er weiter.
Ellemanns Stellvertreterin Inger Støjberg ist erst vor wenigen Tagen dafür kritisiert worden, dass sie die Sexismus-Problematik bagatellisiere.
Ellemann will das Thema innerhalb seiner Partei aufnehmen. „Ich finde es enorm mutig von den 322 Frauen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Das war ganz bestimmt keine leichte Entscheidung. Danke für den Aufruf. Es ist wichtig, das in Worte zu fassen“, so Ellemann.
Jetzt seien die politischen Spitzen an der Reihe, die Sache ernst zu nehmen und etwas zu tun.
Kjærsgaard: Hätten ja Nein sagen können
Anders die Reaktion der langjährigen Vorsitzenden der nationalkonservativen Dänischen Volkspartei (DF) und ehemaligen Parlamentspräsidentin, Pia Kjærsgaard. Dass auf Christiansborg eine „verrottete Kultur“ herrsche, wie es in dem Aufruf heißt, sei „unehrenhafte Kritik“, sagt sie „Jyllands-Posten“. Christiansborg sei „ein fantastischer Arbeitsplatz“ wo alles ordentlich ablaufe.
„Selbstverständlich muss eingegriffen werden, wenn es grobe Übergriffe gibt, aber darum müssen sich die Parteien selbst kümmern und ich weigere mich, zu glauben, dass es den ernsthaften Charakter hat, wie einige den Eindruck vermitteln“, sagt sie der Zeitung aus Aarhus. „Man soll Nein sagen, anstatt jetzt anzukommen und zu sagen dass da auch noch dieses und jenes gewesen sei“, so Kjærsgaard.
Frederiksen schaltet Anwälte ein, um Täter zu ermitteln
Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen, zugleich Vorsitzende der Sozialdemokraten, hat am Sonnabend bereits gehandelt. Sie hat laut „Politiken“ eine Anwaltskanzlei damit beauftragt, die Eingaben von Parteimitgliedern hinsichtlich sexualisierter Gewalt und sexualisiertem Machtmissbrauch zu untersuchen.