Essay
Die Spuren der Kaiserzeit in Apenrade (1/11)
Die Spuren der Kaiserzeit in Apenrade (1/11)
Die Spuren der Kaiserzeit in Apenrade (1/11)
Mit Ausgangspunkt in der Beschreibung der Spuren, die das deutsche Kaiserreich im heutigen Apenrade hinterlassen hat, fasst Kurt Seifert in einem persönlichen Essay das dänisch-deutsche Kulturerbe des Grenzlandes ins Auge. Seine Ausführungen hat er für die diesjährige Ausgabe des Jahrbuches des stadthistorischen Vereins in Apenrade geschrieben.
Herabgewürdigt, abgerissen oder umgebaut?
Nordschleswig und Apenrade waren von 1871 bis 1918 ein Teil des deutschen Kaiserreiches. Diese Zeitspanne ist noch heute deutlich in das Bewusstsein vieler nordschleswigscher Familien eingeprägt. Die Unterdrückung der dänischen Sprache und Kultur und die Schrecken des Weltkrieges 1914-1918 haben ihre deutlichen Spuren hinterlassen. Zahlreiche Artikel, Bücher und Filme haben im Jubiläumsjahr der Angliederung Nordschleswigs an Dänemark die wechselvolle Geschichte des Landesteils und den daraus entstandenen Sonderstatus im Königreich Dänemark dokumentiert. Die Frage lautet, was heute – mehr als 100 Jahre nach Volksabstimmung/Angliederung – an sichtbaren Spuren aus der Kaiserzeit erhalten geblieben ist.
Das Museum Sønderjylland hat bereits 2011 dieses Thema angepackt und den Blick auf Gebäude und Architektur aus der Zeit vor 1920 gerichtet:
„Was das Kulturerbe betrifft, ist die unter deutscher Herrschaft in der Zeit von 1864 bis 1920 geschaffene Architektur in Nordschleswig schon immer eine große Herausforderung für Dänemark gewesen, ganz besonders die öffentlichen Gebäude. Aus der traditionellen Sicht des Nationalstaates ist es „ein unbequemes Kulturerbe“ gewesen, welches bis vor Kurzem als im Konflikt mit dem nationalen Selbstverständnis gesehen wurde und deshalb herabgewürdigt, abgerissen oder umgebaut wurde.“ (Dragsbo, S. 5)
In dieser Veröffentlichung betrachtet der Historiker Peter Dragsbo den damaligen „deutschen“ Baustil im Vergleich zu dem zeitgleichen dänischen und/oder europäischen. Im Folgenden will ich näher auf einige von Dragsbos Gebäuden und deren Funktion in dem deutsch-preußischen Apenrade in den Jahren um 1900 eingehen und – soweit möglich – die Anwendung nach 1920 verfolgen.
Apenrade zwischen Apennin und Apepsie
Bis zur Niederlage 1864 waren Schleswig und Holstein – sowohl politisch als auch wirtschaftlich – ein bedeutungsvoller Teil des dänischen Gesamtstaates. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 fanden sich die Herzogtümer als preußische Provinz an der alleräußersten Grenze des neugeschaffenen Kaiserreiches wieder.
In meiner Ausgabe von Meyers Großes Konversationslexikon, das 1907 das Wissen über die Welt in 20 dicken Bänden sammelte, ist Apenrade zwischen den Suchbegriffen Apennin und Apepsie (gestörte Verdauung) platziert. Hierzu gibt es folgende Informationen:
„Apenrade – Kreisstadt im preußischen Regierungsbezirk Schleswig an der Ostsee. Knotenpunkt der Staatsbahnlinie Rothenkrug-Apenrade und zwei Kleinbahnen …“
Und weiter heißt es: … „hat eine evangelische Kirche, ein Rathaus mit Bildern von Fürsten der oldenburgischen Linie, Seefahrtsschule, Amtsgericht, Forstdistrikt, Hafen, Orgel- und Maschinenfabrik, Bierbrauerei, Fischräucherei, Viehauktion und (1900) 5.952 Einwohner. – Apenrade bekam 1284 das Stadtrecht. Wurde am 9. Februar 1864 von Preußen besetzt.“
Für eine Stadt mit damals rund 6.000 Einwohnern besaß Apenrade aus heutiger Sicht überraschend viele Betriebe und Einrichtungen. Von diesen sind heute nur noch der Hafen, die Orgelfabrik und die Kirche in voller Funktion. Die Nicolaikirche erhielt 1908 einen Turm, der 1948 abgerissen und durch die ursprüngliche Turmspitze ersetzt wurde. Der Maschinenbauer (es könnte sich um Callesens Motorenfabrik handeln) hat die Stadt verlassen, und es gibt keine Fischräucherei (geschweige denn einen Fischhändler) mehr, und das Apenrade-Bier wird mithilfe von Aabenraa Byhistoriske Forening in Randers gebraut. Die ehemaligen Gebäude der „Apenrader Actien Brauerei“ (Bryggergården), der „Oberförsterei“ (Skovridergården) sowie der Seefahrtsschule (Bjergparken) sind zu privaten Wohnungen umgebaut. Die beiden Kleinbahnlinien wurden bereits 1926 stillgelegt, und die Bahnverbindung nach Rothenkrug von Preußischer Staatsbahn bzw. DSB sind auch Geschichte. Mein Urgroßvater schaffte es noch, bei beiden Gesellschaften als Lokomotivführer zu wirken. Seine letzte feste Route befahren heute Touristen auf ihren Schienenfahrrädern.
Das Rathaus der Stadt steht noch, hat aber eine neue Funktion. Im historischen Stadtratssaal können die Bilder der Fürsten der „oldenburgischen Linie“ – die Könige von Christian I. bis Frederik VI. mit ihren jeweiligen Königinnen – immer noch besichtigt werden. Den Porträts habe ich (und bestimmt auch die meisten meiner ehemaligen Kollegen aus dem Stadtrat) keine große Aufmerksamkeit geschenkt. Warum die Gemälde es verdient haben, in der 1907-Ausgabe im Text über Apenrade erwähnt zu werden, mag verwundern. Vielleicht ist es geschehen, um die oldenburgische Periode hervorzuheben, bevor die Glücksburger übernahmen und der unglückselige Erbstreit entbrannte.