Folkemøde

Auf dem Weg zu einer Kultur des sexuellen Einvernehmens

Auf dem Weg zu einer Kultur des sexuellen Einvernehmens

Auf dem Weg zu einer Kultur des sexuellen Einvernehmens

Allinge
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Jolina Vinholt berichtete von den Erfahrungen der Kopenhagener Polizei. Außerdem sind (v. l.) Henriette Lauren (Kvinfo), Rosa Lund, John Joyce und Moderatorin Spinne Bech zu sehen. Foto: Walter Turnowsky

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Seit 2021 wird Sex ohne ausdrückliches Einverständnis als Vergewaltigung geahndet. Viele junge Männer empfinden es jedoch unnatürlich, danach zu fragen. Wie eine Diskussion beim Folkemøde zeigte, hat sich jedoch in den vergangenen drei Jahren viel bewegt.

Das Zelt summt nur so von den Gesprächen. Die vorwiegend jungen Menschen unterhalten sich lebhaft mit der Sitznachbarin oder dem Sitznachbar.

Die Gespräche wurden von einem Fallbeispiel ausgelöst: Eine Schülerin und ein Schüler hören im Gymnasium eine Unterhaltung, bei der ein Junge erzählt, er habe Sex mit einem Mädchen gehabt, das wegen Trunkenheit möglicherweise kaum etwas davon mitbekommen hat (siehe Faktenbox unter dem Artikel).  

Das Publikum war gebeten worden zu besprechen, wie die Schülerin und die Schüler sich verhalten sollen. Das Beispiel und die Fragen sind Teil eines Unterrichtsmaterials, das die Frauenrechtsorganisation Kvinfo zum Thema Einvernehmen (samtykke) entwickelt hat. 

Unterschiedliche Auffassung derselben Situation

Dass zu diesem Thema weiterhin Aufklärung nötig ist, verdeutlichte die psychologische Expertin der Kopenhagener Polizei, Jolina Vinholt. Sie hat gemeinsam mit einem Kollegen die 500 Vergewaltigungsfälle analysiert, mit denen sich der Polizeikreis seit Januar 2021 befasst hat. Zu diesem Zeitpunkt trat das Gesetz zur Einvernehmlichkeit in Kraft.

„Ein wiederkehrendes Muster ist, dass das Opfer und die bezichtigte Person sich uneinig sind, ob es ein Einvernehmen gegeben hat oder nicht. Der bezichtigten Person ist häufig nicht bewusst, dass sie möglicherweise einen Übergriff begangen hat“, so Vinholt.

Häufig hat das Opfer im Vorfeld mehrfach versucht, die andere Person auf freundliche Weise abzuweisen. Wenn das nicht funktioniert, erstarrt sie häufig. Die Polizeiexpertin betont, dass Passivität nicht als Einvernehmen ausgelegt werden darf. Es besteht das Risiko, dass man sich einer Vergewaltigung schuldig macht. 

Große Mehrheit wünscht Einvernehmen

John Joyce, Vorsitzender des „Everyday Sexism Project“, betonte, dass sich in den gut drei Jahren seit der Gesetzesänderung bereits so einiges getan hat. 

„Viele junge Männer achten auf ein Einvernehmen, dann gibt es die Gruppe der unsicheren jungen Männer, und dann gibt es eine kleine Gruppe, die Einvernehmen nicht für wichtig hält“, sagte er. 

Seine Aussagen werden von einer Studie des kriminalpräventiven Rates vom September vergangenen Jahres gestützt. 85 Prozent der befragten Personen zwischen 16 und 74 Jahren meinen, es sei wichtig, jedes Mal vor dem Sex sicherzustellen, dass ein Einvernehmen vorliegt. 

Verbal oder nonverbal?

Doch sind sich viele unsicher, wie man Einvernehmen ausdrückt beziehungsweise abliest. 40 Prozent der jungen Männer geben an, es falle ihnen schwer zu verstehen, wenn das Einvernehmen nicht mit Worten ausgedrückt wird. Doch deutlich mehr als die Hälfte aller Befragten drücken es am liebsten mit ihrer Körpersprache aus.

Zu der Frage, wie man dies ändern könne, sagte die Justizsprecherin der Einheitsliste, Rosa Lund: „Meine Antwort ist die langweilige: durch besseren Sexualkundeunterricht, bei dem auch eingehend darüber gesprochen wird, wie Zustimmung zum Sex aussieht.“

Die Erotik der Frage

Joyce pflichtete ihr bei und meint, man solle so viel wie möglich über das Thema sprechen. Er ermutigte die jungen Männer, sich ein Herz zu fassen und die Frage zu stellen, ob die andere Person tatsächlich Lust auf Sex hat. 

„Es ist ein Mythos, dass die Frage den erotischen Moment entzaubert. Im Gegenteil wird sie von vielen als ein Zeichen des tieferen Respekts empfunden, ein Zeichen dafür, dass man sich für die andere Person interessiert“, sagte er. 

Die Diskussionsteilnehmenden waren sich darin einig, dass man auf dem Weg von einem Einvernehmensgesetz zu einer Einvernehmenskultur ein gutes Stück weitergekommen ist. 

„Es läuft gar nicht so schlecht. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre hat sich enorm viel getan. Damals wäre eine Diskussion, wie wir sie hier haben, nicht denkbar gewesen“, sagte die Politikerin Lund.

Das vornehmlich junge Publikum beteiligte sich rege an der Diskussion über das Fallbeispiel. Foto: Walter Turnowsky

Ältere Generation hinkt hinterher

In einem Bereich gebe es jedoch noch deutlichen Nachholbedarf. Während die Mehrzahl der jungen Menschen sich mittlerweile mit der Frage der Einvernehmlichkeit befasst, gilt das nicht unbedingt für die Elterngeneration.  

„Einen Teil der etwas Älteren erreichen wir nur ganz schlecht“, sagte Joyce.

Er plädierte daher dafür, dass die Frage auch an Arbeitsplätzen und in Vereinen thematisiert wird. 

Fallbeispiel: Wie sollte man handeln?

Kvinfo hat zugestimmt, dass „Der Nordschleswiger“ das Fallbeispiel von der Podiumsdiskussion veröffentlichen darf. Unsere Leserinnen und Leser sind eingeladen, die Fragen selbst zu diskutieren.

Simon und Fatima hören, wie eine Gruppe Jungs aus ihrer Klasse über ein Fest am vergangenen Wochenende redet. Im Gespräch sagt Carl, er habe Sex mit einem Mädchen aus der 1G gehabt, aber dass sie sich wohl nicht an viel erinnern kann, da sie ganz weggetreten war und die meiste Zeit geschlafen hat. Carl und die anderen Jungs lachen, als er die Geschichte erzählt. Simon und Fatima empfinden es beide als unangenehm, dies erfahren zu haben, sind sich aber im Zweifel, was sie machen sollen.

Sie wissen nicht, ob Carl die Geschichte korrekt wiedergibt oder übertreibt, weil er meint, das sei cool. Sie wissen auch nicht, wer das Mädchen ist, könnten dies aber schnell herausfinden, wenn sie wollen. Aber wenn das Mädchen sich nicht daran erinnert, ist es dann besser, dass sie auch nichts erfährt? Und was ist, wenn sie die Situation ganz anders empfunden hat?

Finde drei Handlungsmöglichkeiten zum Beispiel für die Klasse, die Lehrkraft oder Simon und Fatima:

- Wie können/sollten sie reagieren?

- Wie kann sexuellen Übergriffen vorgebeugt werden?

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