Serie Teil 4
Mit nur einer Banane im Gepäck zur Aufnahmeprüfung
Mit nur einer Banane im Gepäck zur Aufnahmeprüfung
Mit nur einer Banane im Gepäck zur Aufnahmeprüfung
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Mit 27 Jahren steht der Schweizer Elias Heigold kurz davor, seinen Traum, professioneller Orchestermusiker werden zu wollen, zu verwirklichen. Doch dazu muss er eine Aufnahmeprüfung an einem Sinfonieorchester im fernen Dänemark bestehen. Es ist der entscheidende, letzte Schritt auf dem aufreibenden Weg zum Traumjob.
Dies ist die Geschichte über Elias Heigolds langen Lauf in den Sonderburger Konzertsaal. Teil 3 berichtet davon, wie er den Weg in Richtung eines professionellen Trompeters einschlägt, an dessen Ende er sich schließlich auf Jobsuche begibt.
Es ist nur wenige Wochen her, dass Elias Heigold sein Studium am Musikkonservatorium in Luzern abgeschlossen hat, als er am späten Abend mit dem Zug in Sonderburg ankommt. Er kann sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er den kleinen Bahnhof sieht, als Großstadt-Schweizer ist er diesbezüglich schließlich andere Dimensionen gewohnt.
Doch das direkt gegenüber dem Bahnhof liegende Alsion macht mit seiner quaderförmigen Bauweise und seinem luftigen Foyer Eindruck, es wirkt groß und modern. Hier ist Sønderjyllands Symfoniorkester zu Hause, und hier findet am nächsten Morgen um 9.30 Uhr die Aufnahmeprüfung statt.
28 Bewerberinnen und Bewerber
Als es am darauffolgenden Tag auf 10 Uhr zugeht, üben 28 Personen auf ihren Trompeten in einem der sechs Übungsräume im Alsion.
Elias Heigold zieht wie alle übrigen Teilnehmenden ein Los, auf dem eine Nummer steht. Es legt die Reihenfolge fest, in der die Kandidatinnen und Kandidaten zum Vorspielen in den Konzertsaal gebeten werden. Auf seinem Zettel steht die Nummer „12“.
Anstatt in der etwas angespannten Situation noch mehr Lärm hinzuzufügen, versucht Elias, sich auf seinen mentalen Zustand zu konzentrieren. Er hat die Nummer 12 gezogen, und erst als es nur noch eine Viertelstunde dauert, bis er auf die Bühne soll, beginnt er damit, seine Trompeten aufzuwärmen.
Schwarzer Vorhang versperrt die Sicht
Als er endlich an der Reihe ist und den Konzertsaal betritt, kann er diesen nicht in seiner vollen Größe bemessen: Ein großer, schwarzer Vorhang ist über die Bühne gespannt und sorgt während der ersten Runde für volle Anonymität, ganz so, wie es internationalen Standards bei Aufnahmeprüfungen entspricht. Er geht zu der mit Klebeband markierten Stelle auf der Bühne, die angibt, wo genau er sich aufstellen und spielen soll.
Obwohl Elias Heigold nicht den gesamten Saal sehen kann, hat er keine Zweifel daran, dass er jetzt inmitten eines prachtvollen Konzertsaales steht. Die Decke schwebt in luftiger Höhe über ihm, und entlang der Seiten und hinter ihm befindet sich der Balkon für das Publikum. Doch das bleibt dem Alsion heute fern; außer ihm befindet sich hier nur die etwa 20 Personen umfassende Jury, die für ihn unsichtbar hinter dem schwarzen Vorhang ihm direkt gegenübersitzt, und eine vom Orchester gestellte Pianistin, die die Kandidatinnen und Kandidaten beim Vorspielen begleitet.
Er bekommt das Signal, dass er zu spielen beginnen soll. Es geht um Haydns Trompetenkonzert. Elias Heigold gönnt sich 30 Sekunden, summt die Melodie in seinem Kopf, während er die Noten durchgeht, um seine handgeschriebenen Notizen für bestimmte Passagen noch einmal zu lesen. Dort steht beispielsweise „Nicht zu schnell“ oder „Nicht zu laut“, und dann konzentriert er sich darauf, richtig zu stehen.
Er führt seine Trompete an die Lippen, seine Wangen pusten sich ein wenig auf, und dann füllen die ersten Töne den Konzertsaal. Die Pianistin begleitet ihn. Wie immer merkt er nach den ersten zwei Takten, ob das Vorspielen heute funktioniert oder nicht. Das tut es.
Ein merkwürdiges Bauchgefühl
Niemand unterbricht ihn. Nachdem er mehr als eine Minute gespielt hat, ist er plötzlich unsicher, ob er möglicherweise das Stoppsignal überhört hat. Er denkt, dass irgendetwas nicht ganz stimmen kann, aber dennoch setzt er sein Spiel fort. Nach dem ersten Werk soll er weitere drei Stücke spielen. Schließlich verlässt er die Bühne mit einem merkwürdigen Bauchgefühl. Da war gerade etwas passiert, das er so erst zweimal in der Schweiz erlebt hatte.
Anschließend bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis er wieder hineingerufen wird. Und weil das jederzeit passieren kann, kann er nicht viel gegen den Hunger tun, der sich langsam meldet. Aufgrund seiner bisherigen Erfahrungen hat er nämlich kein Lunchpaket mitgenommen, sondern sich mit einer Banane begnügt. Seine Freundin hatte schließlich gesagt, dass er das Ganze vor allem als Vergnügungstour betrachten sollte und er genügend Zeit hätte, ausgiebig essen zu gehen, sofern er bereits nach der ersten Runde ausscheiden würde.
Und jetzt sitzt er im Alsion fest und ist verwirrt ob der Tatsache, dass er bislang noch nicht aus dem Rennen geschieden ist.
Unerwartetes Ergebnis
Es geht auf 16 Uhr zu, ehe etwas passiert. Der Musikchef kommt aus dem Saal heraus und gibt bekannt, dass Nummer 12 unter denen ist, die mit in die zweite Runde kommen. Elias kramt in seiner Hosentasche, um das kleine Stück Papier zu finden, das er heute Morgen gezogen hat. Er will sicherstellen, dass dort tatsächlich die Zahl 12 steht. Und das ist der Fall. 25 Personen sind gerade nach Hause geschickt worden, aber nicht die Nummer 12. Jetzt erlebt Elias zum dritten Mal, wie es ist, bleiben zu dürfen.
Als er erneut die Bühne betritt, ist der schwarze Vorhang entfernt worden, erstmals kann er nun die Mitglieder der Jury sehen, die ihn auffordern, Ausschnitte aus 15 verschiedenen Orchesterpassagen zu spielen. Auf die Frage, welche von denen es denn sein sollen, antwortet der Orchesterchef zu Elias’ Überraschung lediglich, dass er alles spielen soll, und die Reihenfolge dürfe er selbst bestimmen.
Etwas später fragt eines der Mitglieder der Jury, der zweite Trompeter des Orchesters, Per Nielsen, ob er nicht die letzte Nummer noch einmal spielen könne, nur etwas schneller. Und genau das tut Elias anschließend, nur um wenige Sekunden später unterbrochen zu werden. Dieser Wunsch sei doch nur zum Spaß geäußert worden, weil seine Spieltechnik so imposant sei, heißt es.
Elias Heigold verlässt die Bühne erst, nachdem er sein Können 45 Minuten lang demonstriert hat.
Der Kandidat ist gefunden
Anschließend muss er sich weiterhin in Geduld üben, schließlich sollen die übrigen beiden Aspiranten auch noch ihr Können demonstrieren. Es geht auf 18.45 Uhr zu, als sich die Tür zum Konzertsaal erneut öffnet und der Musikchef mitteilt, dass die dritte Runde morgen abgeblasen sei. Der Kandidat sei gefunden, sagt er, und zeigt auf Nummer 12.
Elias Heigold merkt, wie ein Wärmeschwall seinen Körper durchzieht, aber gleichzeitig kann er nicht so recht verstehen, was da gerade passiert. Erst als er ein paar Stunden später sein Hotelzimmer betritt, wird ihm klar, dass er soeben eine einjährige Probeanstellung bei Sønderjyllands Symfoniorkester gewonnen hat.
Am Ziel angekommen
Zurück in der Schweiz, packt er seine Koffer und zieht aus seiner Heimat zusammen mit seiner Freundin nach Nordschleswig. Nach einem Jahr wird die Probeanstellung zu einer Festanstellung, und das Paar kauft sich ein Haus in Sonderburg und bekommt in den nachfolgenden Jahren drei Kinder.
Elias Heigold ist am Ziel angekommen – und hat das Glück, jeden Tag seiner Leidenschaft nachgehen zu können: Trompete spielen, und das auf einem Niveau, auf dem er seine Zuhörerinnen und Zuhörer verzaubern und sie in das ganz eigentümliche Klanguniversum des blechernen Blasinstrumentes entführen kann.
Jedes Mal, wenn er zur Arbeit ins Alsion fährt, kann er mit einem Lächeln auf den Sonderburger Bahnhof schauen, der ihm so unscheinbar klein vorkam, als er vor elf Jahren erstmals in die Stadt am Alsensund kam, nur mit einer Banane und vier Trompeten im Gepäck.