Grenzland-Serie 2020

Die katastrophale Konferenz

Die katastrophale Konferenz

Die katastrophale Konferenz

Jens Nygaard/ Flensborg Avis
Flensburg
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Das Logo zum Jubiläumsjahr. Foto: Privat

2020 wird der 100. Jahrestag der Volksabstimmung begangen. Dänemark hätte bereits 1864 eine Grenze mit dem heutigen oder gar einem südlicheren Verlauf haben können. Dass daraus nichts wurde, ist einer Konferenz in London geschuldet, die – zumindest aus dänischer Sicht – aus dem Ruder gelaufen ist.

Grenzland-Serie 2020

1920-2020. Wir sind weit gekommen im deutsch-dänischen Grenzland seit der Grenzziehung vor 100 Jahren. Aus dem Gegeneinander zwischen Deutschen und Dänen ist ein Miteinander und ein Füreinander entstanden.

Doch wie ist es dazu gekommen? Was passierte damals in unserem Grenzland, wie verlief die Abstimmung, und was waren die Folgen? Wie veränderten die Weltkriege die Stimmungslage zwischen Deutsch und Dänisch, und wie haben wir uns danach wieder genähert?

Die vier kooperierenden Grenzlandmedien „JydskeVestkysten“, „Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag“, „Flensborg Avis“ und „Der Nordschleswiger“ haben eine 15-teilige Serie zu diesem wichtigen Ereignis geschrieben. Dies ist der erste Teil. Danach geht es wöchentlich, jeden Donnerstag, bis zum 2. April weiter.
1920-2020. Das sind 100 Jahre Grenzlandgeschichte. gn

 

An einem Tag im Juni 1864 wurden Spaziergänger auf der Frederiksberg Allé in Kopenhagen Zeugen eines seltsam anmutenden Zwischenfalls. Ein gutgekleidetes Paar, offensichtlich aus der besseren Gesellschaft, flanierte Arm in Arm die Allee entlang, wobei der Mann heftig gestikulierte.    „Er macht einen fatalen Fehler! Ich weiß es – ich kenne ihn“, rief der Mann so laut, dass kein Passant seine Worte überhören konnte. „Wenn ich jetzt etwas zu sagen hätte! Das dänische Volk würde mir noch in tausend Jahren huldigen, würde ich doch die bestmögliche Lösung für alle herausholen“, rief der Mann.

Die beiden Passanten waren Grundtvigs Schwiegertochter Laura Grundtvig und der frühere Ratspräsident C. C. Hall. Im Dezember 1863 hatte er sein Amt dem ebenfalls nationalliberalen D. G. Monrad überlassen müssen. Über just diesen ließ sich der normalerweise äußerst besonnene Hall nun lautstark aus. 

Nach der unglücklich verlaufenen Schlacht von Düppel 1864 hatte in London die internationale Friedenskonferenz begonnen. Eine solche Konferenz war aus Halls Sicht das rechte Mittel zur Lösung des Gordischen Knotens, in diesem Fall: die sogenannte Schleswig-Holstein-Frage.

Ein einfacher Mann 

Als die Konferenz von London begann, stand indes nicht Hall an der Spitze Dänemarks, sondern Monrad und der erst kurz zuvor gekrönte König Christian IX. Der Monarch war, wie ein Historiker es formulierte, ein „recht einfacher Mann“, der eher in eine kleinere Garnison gepasst hätte, und Monrad litt zuweilen unter einer manischen Depression. Der Historiker Rasmus Glenthøj von der Süddänischen Universität stellt später fest, dass die Katastrophe für Dänemark  1864 weniger der verlorene Krieg gewesen war, sondern die Konferenz von London.
Gegenspieler der beiden Hauptakteure Dänemarks war kein Geringerer als Preußens Otto von Bismarck, der als einer der kompetentesten Politiker seiner Zeit galt. Seine geheime Tagesordnung bestand darin, Preußen die deutschen Teile der Herzogtümer einzuverleiben – mit dem Ziel, Deutschland zu einen. „Die Deutschen hatten den Dänen damals einiges zu verdanken“, stellt der Historiker Uffe Østergaard fest: „Wären nicht die Dänen und der Krieg von 1864 gewesen, Deutschland wäre womöglich nicht geeint worden.“

Bismarcks Plan 

Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass Bismarck im Grunde gar nicht an dem interessiert war, was wir heute Nordschleswig nennen.  „Nordschleswig war für ihn uninteressant. Die Mehrheit dort war dänisch gesinnt, was wiederum ein latentes Konfliktpotenzial barg, sollte Nordschleswig ein Teil Preußens werden“, schreibt der Historiker und Journalist Tom Buk-Swienty in seinem Buch „Dommedag Als“. 
Für Bismarck begann somit ein kompliziertes Spiel. Die meisten Deutschen waren für ein freies, unabhängiges Schleswig-Holstein, das – eventuell unter Führung des Herzogs von Augustenburg – Teil des Staatenbundes Deutscher Bund wird. Bismarcks österreichische Bündnispartner wiederum strebten eine Personalunion an, die den Herzogtümern vergleichsweise freie Hand ließe, mit dem dänischen König als nominellen Monarchen.

Das britische Angebot 

Auftakt der Konferenz von London war am 20. April 1864, nachdem die deutsch-österreichischen Truppen die Düppeler Schanzen gestürmt hatten. Eine Personalunion, wie sie Bismarck vorschwebte, lehnten die Dänen damals rundweg ab. Ein wichtiger Aspekt der Geschichte ist, dass der britische Verhandlungsführer, Außenminister Russell, am 28. Mai eine Teilung Schleswigs von der Mündung der Schlei bis zur Danewerkstellung vorschlug.
„Russell bot Dänemark damals in der Tat den größten Teil Schleswigs an“, stellt Tom Buk-Swienty fest. Obwohl die Dänen bereits zu diesem Zeitpunkt über das britische Angebot unterrichtet worden waren, wichen ihre Verhandlungsführer aus: Man müsse erst Rücksprache mit der Regierung führen, sagten sie, anstatt erst einmal – zumindest pro forma – auf den Vorschlag einzugehen.
Auf dieses Agieren reagierten die Briten ihrerseits mit Verwunderung, zumal die französischen Unterhändler bereits grünes Licht gegeben hatten. Auch die deutschen Verhandlungsführer standen dem britischen Angebot keineswegs völlig ablehnend gegenüber, obwohl sie darauf aufmerksam gemacht hatten, dass somit viele deutsch Gesinnte zu dänischen Untertanen werden würden. 

Foto: shz

 

Die Stellung des Königs 

Das Problem war indes der dänische König. Ihm war das Angebot nicht gut genug, zumal er eher dynastisch als politisch dachte. Der arme Prinz aus Glücksburg hatte  unerwartet den dänischen Thron erobert. Er sprach Dänisch mit ausgeprägtem deutschen Akzent und hatte in der Bevölkerung keinen guten Stand. Christian IX. war bestrebt, den dänischen Gesamtstaat  zu bewahren oder alternativ eine Personalunion durchzusetzen. 
Von Monrad unter Druck gesetzt, willigte Christian IX. schließlich ein, den dänischen Unterhändlern zu telegrafieren, sie sollten den britischen Vorschlag akzeptieren – allerdings nur dann, wenn es sich „als unmöglich erweisen sollte, bessere Bedingungen zu erzielen“. Im Gegenzug versprach Monrad, nicht in einen nördlicheren Grenzverlauf einzuwilligen. Ein Versprechen, das sich als folgenschwer erweisen sollte. Die dänischen Unterhändler ließen Russell  weiter im Ungewissen. Die Chance des Augenblicks war somit vertan.

Der Kompromiss 

Im Juni schlugen die Deutschen einen Grenzverlauf bei Apenrade vor. Es war ein Vorschlag, den die dänische Seite resolut ablehnte. Dänemark setzte sich für eine südlichere Grenzlinie ein als im britischen Vorschlag vorgesehen.

Am 9. Juni 1864 unterbreiteten die Deutschen ihren letzten Kompromissvorschlag, wonach die Grenze zwischen Flensburg im Osten und Tondern im Westen verlaufen sollte, was in etwa dem heutigen Verlauf entspricht. Die dänischen Unterhändler aber lehnten erneut ab. Zwar hatten sie zu diesem Zeitpunkt noch keine Anweisungen aus Kopenhagen, doch wussten sie, dass weder ihr Staatsminister noch ihr König einwilligen würden. In den darauffolgenden Tagen – etwa zur gleichen Zeit wie der Spaziergang C. C. Halls in Kopenhagen  –  schlugen die Briten eine Volksabstimmung für das Gebiet zwischen Flensburg und Schleswig vor. Sie regten sogar an, die Dänen könnten ihrerseits eine Grenze zwischen Flensburg und Schleswig vorschlagen und versicherten Dänemark in diesem Fall ihrer Unterstützung – auch militärisch.

Foto: shz

 

Der Zusammenbruch 

Ein alles entscheidendes Treffen wurde für den 22. Juni vereinbart. Zuvor hatte sich Monrads Geisteszustand offenbar verschlimmert, sodass es der König war, der den dänischen Unterhändlern in London die Anweisungen diktierte. Diese verlasen daraufhin eine Erklärung, in der sie eine Volksabstimmung ablehnten und auf einer Grenze am Danewerk beharrten. Damit waren die Verhandlungen zum Scheitern verurteilt.  
Der Krieg ging weiter. Die Deutschen setzten rasant nach Alsen über. Das gesamte Königreich war in Gefahr. Um Frieden wurde gebeten. Bei den Verhandlungen in Wien wurde der Grenzverlauf schließlich an der Königsau festgelegt. So kam es, dass Nordschleswig 56 Jahre lang deutsch gewesen ist. 
„Ich hätte im Juni zurücktreten sollen, als der König mein Ministerium entlassen hat“, sagte Monrad später. Das wahrscheinlichste Szenario wäre gewesen, dass der König dann gezwungen gewesen wäre, C. C. Hall mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Dieser hätte entweder in eine Volksabstimmung eingewilligt oder in den vorgeschlagenen Grenzverlauf von Flensburg bis Tondern – oder gar ein wenig südlicher. 

Der Artikel basiert auf: Rasmus Glenthøj: 1864. Sønner af de slagne (Gads Forlag) und Tom Buk-Swienty: Dommedag Als (Gyldendal)

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