Geburtstagsinterview
Walter Turnowsky und der stetige Perspektivenwechsel
Walter Turnowsky und der stetige Perspektivenwechsel
Walter Turnowsky und der stetige Perspektivenwechsel
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Walter Turnowsky ist ein in der Minderheit bekanntes Gesicht. Nicht nur, weil er als Hauptstadtkorrespondent für den „Nordschleswiger“ arbeitet, sondern auch weil er in Nordschleswig und der Minderheit groß geworden ist. Am 13. April 2024 wird er 60 Jahre alt.
„Ich würde mich nicht als Teil der deutschen Minderheit definieren.“ Wer Walter Turnowsky kennt, wundert sich vielleicht über diese Aussage des heute 60-Jährigen.
Auf den ersten Blick könnte man sagen: Das ist doch einer von uns. Und das ist er auch. Walter zog mit seinen Eltern von Österreich nach Nordschleswig, da war er ein Jahr alt. Beide hatten an Schulen der Minderheit eine Anstellung als Lehrkraft. Walter besuchte die Institutionen der Minderheit und ist heute Hauptstadtkorrespondent des Nordschleswigers. „Einer von uns“ also.
Walter ist Däne
Aber muss er sich deshalb auch als Teil der Minderheit identifizieren?
„Die Frage nach der Identität ist für mich eigentlich recht eindeutig. Ich bin Däne mit einem etwas anderen Hintergrund.“
Und der etwas andere Hintergrund ist seine Sozialisierung durch österreichische Eltern, durch die Minderheit und damit indirekt auch durch ihre deutsch geprägte Perspektive. „Ich kann in erster Linie von der Schule sprechen, aber mein Eindruck war als Kind, dass sich die Minderheit sehr auf Deutschland bezogen hat“, erinnert Walter sich. „Für mein Gefühl auch etwas zu viel.“ Schon als Kind vermisste er im Unterricht die dänische Perspektive.
Es gibt mehr als eine Wahrheit
Und trotzdem scheint sein Minderheitenhintergrund ihn nachhaltig geprägt zu haben. Das wurde ihm spätestens klar, als er nach seinem Biologiestudium in Kopenhagen Mitte der 90er-Jahre für eine Ausbildung zum Fernsehjournalisten nach Deutschland ging.
Es ist nicht ohne Grund, dass wir mit zwei Ohren aber nur einem Mund geboren werden.
Walter Turnowsky
„Ich ging kurz nach der Wende in die neuen Bundesländer, nach Sachsen.“ Seine Kindheit und Jugend in der Minderheit habe ihn Offenheit gelehrt. Denn auch, wenn die Minderheit sich in ihrer eigenen Perspektive zu sehr auf Deutschland bezog, so wurde Walter trotzdem – und vielleicht nicht zuletzt dadurch – klar, dass es unterschiedliche Sichtweisen geben kann. „Ich kam in Dresden nicht als ,Besser-Wessi‘ angetrampelt. Ich hatte die Sensibilität dafür, dass es verschiedene Wahrheiten und Perspektiven gibt. Für die Verhältnisse im wiedervereinigten Deutschland gilt das natürlich nochmal in besonderem Maß.“
Der Perspektiv-Wechsel soll Walter bis heute und vermutlich auch künftig begleiten. Wird es dem 60-Jährigen zu einseitig, sucht er nach neuen Perspektiven. Wer seinen Lebenslauf sieht, dem wird auffallen, dass Walter in verschiedenen Jobs gearbeitet hat – nie länger als ein paar Jahre. Stillstand hält Walter nicht aus. „Wenn ich merke, es geht nicht weiter, und mein Arbeitsalltag ist nur noch Routine, dann weiß ich, es ist wieder Zeit für Veränderung.“
Grönland
Dieser Drang war es auch, der Walter veranlasst hat, mit 49 eines seiner prägendsten Abenteuer anzugehen: Grönland.
Die Schule seines Lebens? Wer Walter von seiner Zeit als Journalist in Grönland sprechen hört, bekommt genau diesen Eindruck. Die Perspektive, die er dort kennenlernen durfte, ist eine, die mit keiner zuvor vergleichbar wäre. Auch hier half Walters besondere Geschichte ihm, nicht als der besserwissende Däne aufzutreten. „Ich weiß, wie es ist, wenn einem mit Vorurteilen begegnet wird.“
Und er hat mehr als sonst wo gelernt, einfach nur zuzuhören. „Grönland und die Menschen dort haben noch mal mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen, als wir es in Dänemark gewohnt sind.“
Gleichzeitig gebe es in Grönland eine große Offenheit, auch über schwere Themen zu sprechen. Selbstmord oder der sexuelle Missbrauch von Kindern seien in Grönland sehr präsent. „Bei solchen Themen kannst du nur zuhören.“ Den Drang, Erlebnisse anderer immer an die eigenen Maßstäbe anzulegen, hat Walter spätestens in Grönland abgelegt. „Es muss nicht immer eine Wertung geben.“ Zuhören und beschreiben. Das sei es, was er als Journalist können und auch im eigenen Alltag leben möchte.
„Es ist nicht ohne Grund, dass wir mit zwei Ohren aber nur einem Mund geboren werden.“
Rückkehr zur Minderheit
Nach langer Zeit des Abstands, hat es Walter dann doch wieder in die Minderheit verschlagen. Seit 2020 arbeitet Walter aus Kopenhagen als Hauptstadtkorrespondent für den „Nordschleswiger“ und möchte die Geschehnisse dort aus Minderheiten-Perspektive beleuchten und die Minderheiten-Perspektive in die Hauptstadt bringen.
Ob die Minderheit heute anders ist, als er sie damals verlassen hat? „Ein Unterschied wie Tag und Nacht“, sagt Walter. Die Minderheit sei heute offener. Sie scheint heute sehr viel besser zu Walter zu passen, und auch er scheint besser zu ihr zu passen.
„Ich sage eigentlich in jedem Job, dass ich dort wahrscheinlich nicht in Rente gehen werde. Aber hier beim Nordschleswiger möchte ich das nicht ausschließen.“
Walter Turnowsky wird heute, am 13. April 2024, 60 Jahre alt. Er ist ein Mann, der anderen mit seiner Offenheit für andere Perspektiven ein Vorbild ist.