Bildung
Ist die Zeit für den Deutschunterricht abgelaufen?
Ist die Zeit für den Deutschunterricht abgelaufen?
Ist die Zeit für den Deutschunterricht abgelaufen?
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Deutsch vom Stundenplan streichen – dieser Vorschlag einer Lehrerin schlägt landesweit Wellen. Die ehemalige Unterrichtsministerin Ellen Trane Nørby fordert im Gegenzug mehr Deutsch an den Volksschulen im Lande.
Deutsch vom Lehrplan streichen, weil der Deutschunterricht ein Überbleibsel aus der Vergangenheit sei – das ist der Vorschlag von Tenna Bay. Sie ist Lehrerin an der Herfølge Skole auf Seeland, unterrichtet selbst jedoch kein Deutsch.
„Ich finde, dass Deutsch eine veraltete Qualifikation ist, jetzt, wo wir so international geworden sind, dass sämtliche Kommunikation auf Englisch vonstatten geht, selbst wenn man mit Deutschen spricht“, sagt sie.
Die meisten Deutschen verstünden gut Englisch, ist sie sich sicher, schließlich hätten sich die Englischkenntnisse in Deutschland in den vergangenen Jahren ebenfalls verbessert.
Ich finde, dass Deutsch eine veraltete Qualifikation ist.
Tenna Bay, Lehrerin an der Herfølge Skole
Ellen Trane Nørby möchte Deutschunterricht stärken
Der Beitrag auf dem Portal folkeskolen.dk hat die Politikerin Ellen Trane Nørby (Venstre), die auch Mitglied im Kontaktausschuss für die deutsche Minderheit in Nordschleswig ist, zu einer Stellungnahme auf ihrem Facebook-Profil veranlasst. Darin fordert sie, dass der Deutschunterricht gestärkt statt entfernt werden solle.
„Deutsch ist in keinerlei Hinsicht ein Überbleibsel aus der Vergangenheit. Es ist ein wichtiges Sprachenfach, das wir stärken müssen, statt es abzuschaffen“, schreibt sie.
Deutsch ist in keinerlei Hinsicht ein Überbleibsel aus der Vergangenheit. Es ist ein wichtiges Sprachenfach, das wir stärken müssen, statt es abzuschaffen.
Ellen Trane Nørby, Politikerin (Venstre)
Deutschland sei schließlich Dänemarks wichtigstes Exportland, und außerdem sei Deutsch vital im dänisch-deutschen Grenzland. Deswegen plädiert Ellen Trane Nørby dafür, den Deutschunterricht landesweit ab der ersten Klasse beginnen zu lassen, so wie es in Nordschleswig bereits der Fall ist, und richtet einen Appell an die Regierung und Unterrichtsministerin Pernille Rosenkrantz-Theil (Soz.), den Sprachunterricht weiter zu stärken.
BDN-Bericht fordert Stärkung des Deutschunterrichts
Der Kontaktausschuss der deutschen Minderheit hatte das Thema „Deutschunterricht“ bereits auf seinem Treffen im Juni vergangenen Jahres auf der Tagesordnung.
Der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN) hatte im Vorfeld des Treffens einen Bericht zur deutschen Sprache in Dänemark ausgearbeitet, der die rückläufige Entwicklung für das Interesse an Deutsch aufzeigt und verschiedene Vorschläge macht, dies zu ändern. Kernpunkte des Berichts sind die Forderung nach einer Stärkung des Deutschunterrichts sowie das Ziel, Deutsch in Nordschleswig einen höheren Status als den einer Fremdsprache zu verleihen.
Nach dem Treffen war man sich einig, dass der Katalog noch mal durchforstet und zu den skizzierten Vorschlägen Stellung genommen werden sollte.
Seit dem Treffen ist nichts passiert
Harro Hallmann, Kommunikationschef des BDN und Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit, sagt gegenüber dem „Nordschleswiger“, dass seit dem Treffen im vergangenen Juni nichts Konkretes passiert sei. Er habe das Thema jedoch mit einigen Politikern, die einen Bezug zu Nordschleswig haben, diskutiert.
„Dort, wo wir das Thema ansprechen, stoßen wir auf großes Verständnis, aber was nützt das, wenn dann dennoch nichts passiert. Die dänischen Politiker sind der deutschen Sprache positiv gegenüber eingestellt, aber die Forderung nach einer Stärkung des Deutschunterrichts ist für keinen von ihnen die Nummer 1, 2 oder 3 ihrer politischen Ziele. Deswegen passiert da meiner Meinung nach auch nichts“, gibt Harro Hallmann zu bedenken.
Deswegen ist er im Grunde auch nicht ganz uneins mit dem kritischen Blick auf den Deutschunterricht.
Momentaner Einsatz geht in die falsche Richtung
„Entweder muss man drastisch etwas machen, oder Deutsch stirbt in Dänemark aus. Wenn man nichts macht, dann muss man sich in der Tat überlegen, ob das, was heute noch gemacht wird, noch etwas bringt. Der momentane Einsatz geht in die falsche Richtung“, sagt Harro Hallmann.
Er sieht den Deutschunterricht deswegen an einem Scheideweg. Natürlich trete der BDN jederzeit dafür ein, Deutsch zu stärken, dafür gebe es schließlich viele gute Gründe. Und dies sei auch weiterhin der Wunsch und die Hoffnung des BDN.
Ich bin selbst aber natürlich nicht dafür, den Deutschunterricht abzuschaffen. Aber wenn man keine konkreten Maßnahmen ergreifen will, dann muss man sich überlegen, ob man überhaupt noch Deutsch unterrichten sollte.
Harro Hallmann, Kommunikationschef des BDN und Leiter des Kopenhagener Sekretariats der deutschen Minderheit
„Ich bin selbst aber natürlich nicht dafür, den Deutschunterricht abzuschaffen. Aber wenn man keine konkreten Maßnahmen ergreifen will, dann muss man sich überlegen, ob man überhaupt noch Deutsch unterrichten sollte“, sagt Hallmann.
Unterrichtsumfang nicht ausreichend
Das deckt sich mit der Kritik von Lehrerin Tenna Bay. Ihrer Meinung nach sei der Unterrichtsumfang nicht ausreichend, um die notwendige sprachliche Kompetenz zu vermitteln, weshalb der Wissensstand der Volksschüler nicht ausreiche.
„Wenn die Schüler aufs Gymnasium kommen und mit Deutsch anfangen, beginnen sie sowieso fast wieder von vorne“, meint sie auf dem Portal folkeskolen.dk, das vom dänischen Lehrerverband, Danmarks Lærerforening, mit dem Zweck betrieben wird, Hintergründe und Perspektiven für den Schulunterricht zu liefern.
Begrenzte Anzahl an Deutschlehrern
Ein weiteres Problem sieht sie in der begrenzten Anzahl an Deutschlehrern. An der Herfølge Skole, an der Tenna Bay unterrichtet, gibt es nur zwei Deutschlehrer, und das seien zu wenige. Bereits im Jahr 2011 sei es ein Problem gewesen, Lehramtsstudenten dazu zu bewegen, Deutsch als kommendes Unterrichtsfach zu wählen; eine Tendenz, an der sich bis heute nichts geändert hat.
„Statt weitere Stunden in das Fach zu investieren, sollte man vielleicht stattdessen sagen, jetzt haben wir 2021, und damit ist es nicht mehr so wichtig, Deutsch in der Volksschule zu unterrichten“, sagt Tenna Bay.
Jetzt haben wir 2021, und damit ist es nicht mehr so wichtig, Deutsch in der Volksschule zu unterrichten.
Tenna Bay, Lehrerin an der Herfølge Skole
Ihre Antwort ist Teil einer Serie, die seit Dezember von „Folkeskolen“ durchgeführt wird und bei der zufällig ausgewählte Lehrerinnen und Lehrer nach ihrer Meinung zu den fachlichen Ergebnissen der Volksschulreform befragt werden.
Umfang des Deutschunterrichts seit der Reform verringert
Deutschlehrerin Diana Dudmish von der Strandskole ist jedoch anderer Auffassung. Sie möchte Deutsch gerne als Unterrichtsfach bewahren und meint auch, dass die derzeitige Stundenzahl beibehalten werden müsse.
„Eine weitere Beschneidung des Deutschunterrichts würde ich bedauern. Als ich anfing, hatte man vier Lektionen, jetzt hat man drei pro Woche, und ich finde, dass es zu schwer wird, das anvisierte Pensum zu erreichen, wenn man die Stundenzahl weiter reduziert“, sagt Diana Dudmish.
Eine weitere Beschneidung des Deutschunterrichts würde ich bedauern.
Diana Dudmish, Lehrerin an der Strandskole
Sollte man dennoch weitere Einschnitte vornehmen, müsse man auch die Anforderungen herunterschrauben. Denn bereits jetzt sei es schwierig, das angestrebte Unterrichtsniveau zu erreichen. Hinzu komme nach Auffassung von Diana Dudmish, dass viele Schüler glauben, dass im Deutschunterricht die gleichen Erwartungen an sie gestellt werden wie im Englischunterricht, und das würde viele demotivieren.
Diana Dudmish ist sich deshalb sicher, dass es vor der Reform einfacher war, das angepeilte Niveau beim Deutschunterricht zu erreichen, da man mehr Zeit hatte, um die erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln.
Wie interpretieren wir den klassischen Bildungsbegriff?
Auch auf dem Portal folkeskolen.dk gibt es mehrere Reaktionen.
So fragt die Lehrerin Anita Bach Danielsen, was eigentlich aus dem Begriff „Bildung“ geworden ist. Sie meint, dass das Verständnis für den Wert von Bildung bei mehr und mehr Lehrerkollegen in Vergessenheit gerät.
„Immer mehr Lehrkräfte haben keine Vorstellung mehr davon, was Bildung für eine Größe ist“, kommentiert sie kritisch.
Immer mehr Lehrkräfte haben keine Vorstellung mehr davon, was Bildung für eine Größe ist.
Anita Bach Danielsen, Lehrerin
Stattdessen würde zu viel Wert auf die Frage gelegt, was die Schüler als interessant empfinden und wie man darauf basierend seine Popularität als Lehrerin stärken kann. Doch das sei der falsche Ansatz.
Anita Bach Danielsen fordert deshalb, wieder mehr auf die Tugenden des Bildungsbegriffes zu setzen, da sie ansonsten eine Gesellschaft sieht, in der die Menschen geschichts- und kulturvergessen nur noch lustgesteuert und impulshaft agieren.
Alle Unterrichtsfächer verdienen Respekt und Anerkennung
Tine Lund, Vorsitzende der Deutschlehrervereinigung für die Grundschule, gibt zu bedenken, dass alle Unterrichtsfächer Respekt und Anerkennung verdienen, statt bestimmte Fächer als Überbleibsel aus der Vergangenheit zu brandmarken, nur weil man sie selbst nicht als relevant empfindet.
Der Wunsch nach einem kürzeren Schultag könne womöglich auf andere Art und Weise erreicht werden. Die Kritik an der Schulreform teilt Tine Lund nicht. Sie meint, dass durch den Beginn des Deutschunterrichts bereits ab der fünften Klasse sich das Fach für eine breitere Schicht an Schülerinnen und Schülern geöffnet habe, statt es nur den sprachlich Interessierten zu überlassen.
Keine kulturellen Zusammentreffen mit Ausnahme des Grenzlands
Volksschullehrer Tim Johannsen fragt hingegen, in welchen Situationen wir Deutsch in einem nationalen Kontext anwenden und meint, dass es das kulturelle Zusammentreffen nicht ohne nach Deutschland zu reisen gibt, das Grenzland einmal ausgenommen.
Deutschkenntnisse gute Kompetenz für Jobsuche und Zukunft
Anke Tästensen vom Deutschen Schul- und Sprachverein für Nordschleswig (DSSV) hält dem entgegen, dass gerade Deutschkenntnisse extrem gute Kompetenzen für die Jobsuche und die Zukunft geben. Das gelte vor allem für das Grenzland, aber auch für den Rest des Landes.
Wenn das gestärkt werden soll, muss ein größerer Einsatz stattfinden.
Anke Tästensen, Schulrätin
„Deswegen kann ich die Aussage der Lehrerin überhaupt nicht nachvollziehen. Deutschland ist unser großer Nachbar, deshalb denke ich, dass man eher das Deutschfach stärken sollte, als dass es der Vergangenheit angehört.“
Mit einer einzelnen Unterrichtsstunde pro Woche sei es jedoch nicht getan. „Wenn das gestärkt werden soll, muss ein größerer Einsatz stattfinden“, gibt auch Anke Tästensen zu bedenken.