Nord- und Südschleswig
„Eine Grenze mitten durch meine Heimat“
„Eine Grenze mitten durch meine Heimat“
„Eine Grenze mitten durch meine Heimat“
Von der Freude über ein nettes Polizisten-Lächeln über Anspannung vor der Kontrolle bis hin zu traumatischen Erinnerungen an die innerdeutsche Grenze: Unsere Leserinnen und Leser hat es nicht kaltgelassen, dass das Grenzland plötzlich gespalten war. Verunsichert hat viele vor allem, dass so viele Fragen lange unbeantwortet blieben.
Sie stellen „eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit“ dar.
Diesen Vorwurf konnten manche Südschleswiger, die seit Jahren und Jahrzehnten wie selbstverständlich ihren Alltag zwischen Süd- und Nordschleswig gestalten, plötzlich über sich lesen. In einem polizeilichen dänischen Schreiben, das ihnen an der streng bewachten Grenze ausgehändigt wurde. Sie durften wegen der Corona-Schutzmaßnahmen nicht nach Dänemark einreisen.
Die Grenze ist geschlossen
Nur an drei Stellen ist seit März der Grenzübertritt zwischen Nord- und Südschleswig überhaupt noch möglich. Die Schengener Abkommen, die europäische Freizügigkeit sind außer Kraft. Noch ist nicht klar, wann die Grenzen wieder geöffnet werden – und ob Dänemark sich überhaupt wieder vollumfänglich an Schengen beteiligen wird.
Und es werden Fragen danach laut, was sie den Regierenden in Kopenhagen und Berlin in Krisenzeiten wert ist, die viel beschworene offene, zusammengewachsene Region, deren grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit EU-Mitteln gefördert wird und die von dänischer und deutscher Regierung des friedlichen Zusammenlebens wegen erst kürzlich bei den Vereinten Nationen für das immaterielle Kulturerbe vorgeschlagen wurde.
Sicher ist: Die Grenzschließung, die in der Corona-Krise für Sicherheit sorgen sollte, hat im Grenzland auch zu viel Verunsicherung geführt.
Zeitungsredaktion als Auskunftei für verunsicherte Bürger
Davon kann Gwyn Nissen ein Lied singen. Der Chefredakteur des „Nordschleswigers“ bekommt täglich Anrufe, vor allem aus Deutschland: „Ich kann die Uhr danach stellen: Jedesmal, wenn in Dänemark neue Regeln eingeführt werden, steht das Telefon nicht still. Kann ich meine Familie besuchen? Darf ich wieder zu meinen Pferden? Wann darf mein Freund einreisen? Kann ich zu meinem Boot? Darf meine französische Freundin mit über die Grenze?“ erzählt Gwyn Nissen.
Das Problem ist laut Nissen, dass die Regierung generelle Entscheidungen trifft, doch es sind die Details, die am Ende entscheiden, ob Leute ein- oder ausreisen dürfen – oder nicht.
„Im Internet gab es von den Behörden entweder keine detaillierten Antworten oder nur in Englisch – obwohl viele Fragen besonders für das deutsch-dänische Grenzland wichtig waren. Außerdem wurden Regeln laufend verändert, sodass vielen Deutschen die Informationen fehlten. Darum haben sich in den vergangenen Wochen Hunderte an uns gewandt, um Hilfe zu bekommen, die sie eigentlich von offizieller Seite hätten haben sollen“, sagt Gwyn Nissen.
Naujeck: „Jeder Anruf ist mit vielen Emotionen verbunden“
Ähnliche Erfahrungen macht auch Thore Naujeck, Koordinator des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN): „Ich bekomme drei bis vier Anrufe am Tag zum Thema Grenzübertritt. Die meisten Anrufer haben sich bereits vorab informiert, zum Beispiel über die Corona-Hotline, doch die Fragen sind so speziell, dass ihnen an der Hotline meist auch nicht weitergeholfen werden kann und dort darauf verwiesen wird, dass die Polizei im Einzelfall entscheidet.“ Hinter jedem Anruf stecke eine andere Geschichte, immer gebe es einen neuen Winkel, aber eins haben alle Fragen gemeinsam: „Jeder Anruf ist mit vielen Emotionen verbunden“, so Naujeck.
Hinrich Jürgensen, Hauptvorsitzender des BDN, kann die Verunsicherung in der Bevölkerung nachvollziehen: „Die Regelungen waren sehr undurchsichtig. Über Nacht gab es neue Vorschriften und neue Unklarheiten wie zum Beispiel bei dem Besuch von Lebenspartnern. Erst nach einiger Zeit gab es ein Formular, das beim Grenzübertritt vorgezeigt werden konnte. Vorher mussten die Beamten an der Grenze Fotoalben durchsehen.“ Jürgensen hat das Gefühl, dass Kopenhagen bei der grenzüberschreitenden Kommunikation die deutsche Sprache vergessen hat.
Mehr Klarheit bei der Kommunikation hätte sich auch Ruth Candussi, Parteisekretärin der Schleswigschen Partei (SP) gewünscht: „Verwirrender hätte es aus Bürgersicht nicht laufen können. Was ist ein triftiger Grund? Wer ist Lebenspartner? Wer zählt als Familienangehöriger?“ Die Regeln hätten klarer formuliert werden müssen, damit kein Frust bei den Bürgern entsteht, findet sie.
Von wegen gelebtes Europa
Neben vielen Urlaubern sind von der Grenzschließung vor allem auch Menschen betroffen, deren Privatleben sich wie selbstverständlich über die europäische Binnengrenze erstreckt.
Unser Leser Lars Wölbing berichtet zum Beispiel: „Ich wohne als Flensburger in Pattburg, mein Sohn, 2,5 Jahre, mit seiner Mutter in Flensburg. Ich hatte bei der Grenzüberquerung nie Probleme. Mein Sohn konnte auch von seiner Mutter nach Dänemark gebracht werden. Dennoch sorgt diese extreme Maßnahme für ein stark unangenehmes Gefühl. Ich denke öfter darüber nach, das Haus hier zu verkaufen und zurück nach Deutschland zu ziehen.“
Kira Schade, die in Nordschleswig lebt, berichtet uns, sie sei das erste Mal seit 15 Jahren froh, ihren deutschen Pass nicht gegen einen dänischen eingetauscht zu haben. Denn „um meine kranke Mutter zu besuchen, bin ich in den vergangenen Wochen mehrfach bei Süderlügum rübergefahren“.
Wie viele, die in der Corona-Zeit die Grenze überquert haben, berichtet sie von freundlichen Grenzbeamten – und von dem Eindruck, dass auch die nicht immer genau wüssten, welche Regeln gerade gelten. „Meistens muss ich selber nachfragen, was sie denn jetzt sehen wollen, da außer ein Moin an beiden Seiten erst mal nix kommt. Dann zeige ich meinen Perso vor, und fahre weiter, meist ohne Fragen“, schreibt Schade.
Bei der Rückreise nach Dänemark wird dann auch der dänische Führerschein und die Krankenversicherungskarte vorgezeigt – und „hier gibt es aber immer ein, zwei Fragen zum Wohnort oder was ich drüben gemacht habe. Einmal wurde mein Perso gescannt, ebenso der Pass meines Sohnes“, so Schade, die keine genaue Antwort darauf bekam, weshalb dies geschah oder was mit den Daten passiert. „Auf Nachfrage hieß es, das machen wir schon lange so“, berichtet Schade – dabei sei ihr das „vorher und nachher nie wieder passiert“.
Erinnerungen an die „Zonengrenze“
Karin Sønnichsen berichtet, dass sie ihre Tierarztbesuche in Nordfriesland fast wie gewohnt weitermachen konnte. „Wenn es in Strömen gegossen hat, wollten die deutschen Beamten nichts von mir und ich konnte gerade durch fahren. Das eine Mal musste ich alles rauskramen – Ausweise, Führerschein, Bescheinigung vom Tierarzt, Fahrzeugpapiere und was ich sonst noch in Deutschland wolle und warum ich einen deutschen Tierarzt hätte?“, schreibt sie. Und: „Bei den Dänen sollte ich immer halten und Ausweise zeigen, aber mit dem Inhalt des Kofferraums haben sie sich nicht beschäftigt.“
Fast alle Leserinnen und Leser heben die Freundlichkeit vor allem der dänischen Beamten hervor. Viele unterstrichen auch, dass es zumeist keine Probleme beim Grenzübertritt gebe.
Doch wie viele andere, so stört es auch Karin Jepsen, plötzlich mitten in der Heimatregion unter eine Art Generalverdacht gestellt zu werden. „Ich habe traumatische Erlebnisse mit geschlossenen bzw. scharf kontrollierten Grenzen aus meiner Kindheit und Jugend direkt an der ,Zonengrenze’ mit Cousins und Cousinen im abgeriegelten Osten“, berichtet sie.
„Ich habe deshalb die Grenze bislang nicht überquert, obwohl ich es als in DK wohnhafte Deutsche hätte tun können. Eine Grenze mitten durch meine Heimat (und dazu gehören Nord- und Südschleswig) mit Fragen nach meinen Gründen diese zu überqueren, das musste ich mir nicht antun. Aber ich FREUE MICH, dass der Zauber demnächst endlich vorbei ist. Nie wieder!!!“
Etliche Fragen in einem vielfältigen Grenzland-Alltag
Eine Leserin, die namentlich nicht genannt werden möchte, berichtet uns, sie sei nach dem Überqueren der Grenze auf den Parkplatz gefahren und habe geweint – vor Erleichterung, die Kontrolle hinter sich zu haben und die Familie nach vielen Wochen endlich wiedersehen zu können.
Gründe, über die Grenze zu wollen, gibt es im deutsch-dänischen Grenzland so viele, wie es sie auf Frederiksberg gibt, nach Kopenhagen zu wollen, von Eimsbüttel nach Altona oder von Potsdam nach Berlin.
Viele haben Familie und enge Freunde auf der anderen Seite der Grenze, haben ihr Segelboot im Nachbarland liegen, gehen zur Schule oder studieren auf der anderen Seite der Grenze, haben einen festen Campingplatz oder die Pferde im Stall einige Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Grenze stehen.
Etliche Fragen zu diesen Themen haben uns im Laufe der Zeit erreicht – und noch immer sind viele Punkte vielen Menschen unklar. Und immer wieder hörten wir von Leserinnen und Lesern, die nicht über die Grenze gelassen werden, obwohl sie in ganz ähnlichen Situationen sind wie Leserinnen und Leser, die ohne Probleme über die Grenze gelassen wurden.
Kein Besuch von Schwester oder Lebensgefährte
Karin Grunwald kommentierte Ende April zu einem Artikel über Lockerungen der Einreiseregeln für ausländische Familienangehörige nach Dänemark: „Ich bin am Samstag von der dänischen Grenzkontrolle wieder zurückgeschickt worden. Seit 10 Jahren pendeln mein Lebensgefährte aus Dänemark und ich jedes Wochenende hin und her, ich wurde abgewiesen mit der Begründung, dass ich einen Wohnsitz in DK haben muss oder eben verheiratet. Ich höre von anderen Seiten von Menschen in ähnlicher Situation, dass sie ihren Partner in Dänemark besuchen durften. Das ist alles äußerst verwirrend. Was uns etwas hilft: Wir sind beide auch Musiker und treffen uns an einem kleinen Grenzübergang, und musizieren gemeinsam, jeder auf seiner Seite.“
Ein Geburtstagsständchen von ihrer Schwester war Manuela Kapela aus Krusau zu ihrem Geburtstag nicht vergönnt. Eigentlich sollte ihre Schwester samt Familie zu Besuch kommen, nachdem die dänische Regierung die Grenzen für Familienangehörige geöffnet hatte.
„Ich wohne in Krusau, meine Schwester in Frörup. Wir sind beide deutsche Staatsbürger, meine Schwester gehört zur dänischen Minderheit in Südschleswig, ich mittlerweile zur deutschen Minderheit in Dänemark. Am Abend vor meinem Geburtstag habe ich dann zufällig gelesen, dass Geschwister sich nicht besuchen dürfen – das konnte ich ja nicht glauben, aber hatte dann doch eine unruhige Nacht: Ich wollte nicht riskieren, dass meine Schwester und Familie an der Grenze abgewiesen werden. Mein Mann arbeitet in Deutschland – Duborg Skolen – und fährt deshalb täglich über die Grenze. Ich habe ihn gebeten, mit der dänischen Grenzpolizei zu sprechen und zu hören, ob sie meine Schwester nach Dänemark fahren lassen. Kein Problem, hat er zu wissen bekommen“, berichtet Manuela Kapela.
Doch an ihrem Geburtstag erhält sie einen Anruf von ihrer Schwester – sie wurde an der Grenze abgewiesen. „Es ist ganz in Ordnung, dass es Regeln gibt, an die wir uns halten müssen – das haben wir in der ganzen Corona-Zeit gemacht und uns sehr daran gehalten. Doch Einigkeit an der Grenze dürfte es gerne geben. Es geht einfach nicht, dass man sich nicht einig ist, wie die Regeln gehandhabt werden sollen“, so Kapela.
Die Grenze wurde zum Hindernis
Wie unterschiedlich die Regeln ausgelegt werden, erlebt auch ein in Dänemark lebender Arzt, der täglich zur Arbeit nach Deutschland fährt.
„Während die Dänen immer freundlich waren, verhielten sich die teilweise schwer bewaffneten deutschen Polizisten oft unfreundlich und einschüchternd, leider auch gegenüber meinen Patienten (ich habe fast nur dänische Patienten), einige Male musste ich mich einschalten, wenn z.B. Patienten auf Deutsch nach Ihren Diagnosen befragt wurden, dieses geht ja aufgrund der Persönlichkeitsrechte gar nicht. Lediglich einem Patienten (ausgerechnet mit Brustschmerzen) wurde die Einreise zunächst verwehrt, er versuchte es nach 1 Woche noch einmal und wir konnten erfreulicherweise eine ernsthafte Herzerkrankung ausschließen. Ich freue mich jedoch, wenn das alles Geschichte sein wird und bin etwas traurig darüber, dass Deutschland doch ein so unfreundliches Gesicht gezeigt hat.“
Auch Karin und Jan Sörensen leben in Dänemark und arbeiten in Deutschland. Sie erzählen von langen Umwegen, die sie aufgrund der Grenzschließungen unternehmen mussten. „Der Arbeitsweg mit dem Fahrrad nach Flensburg war nicht mehr 6 km, sondern 11 km. Wir konnten nicht mehr den Grenzübergang in Pattburg benutzen, sondern mussten Umwege über Krusau oder Ellund in Kauf nehmen. Wir konnten nicht mehr einfach über die Grenze fahren, sondern mussten bei jedem Grenzübertritt anhalten, Pass sowie weitere Dokumente vorweisen, und oft noch erklären, wo und wieso wir zur Arbeit wollen, oder wieder nach Hause. Ein Besuch bei der Familie in Deutschland war gar nicht mehr möglich.“
Zumindest der Übergang in Pattburg wird nun bald wieder geöffnet und die Hoffnung bleibt, dass so schnell wie möglich wieder eine „Normalisierung“ im Grenzland eintreffen wird. Doch die Geschichten, Erlebnisse und Erfahrungen, die die Grenzschließung mit sich bringt, werden allen Bewohnern im Grenzland lange in Erinnerung bleiben, wie die vielen Anrufe, E-Mails und Kommentare unserer Leser zeigen.