Reichsgerichtsverfahren
Worum geht es im Fall Støjberg?
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Am Montag, Dienstag und Mittwoch hat Inger Støjberg vor dem Reichsgericht ausgesagt. Walter Turnowsky erklärt den Stand der Dinge und versucht, die zentralen Fragen zu beantworten.
Worum geht es bei dem Reichsgerichtsverfahren?
Am 10. Februar 2016 erklärte die damalige Ausländer- und Integrationsministerin Inger Støjberg in einer Pressemitteilung, dass sie das Einquartieren von „Kinderbräuten (barnebrude) stoppt“. Nach den neuen Richtlinien dürften „keine Minderjährigen unter 18 Jahren im gleichen Asylzentrum einquartiert sein“.
Die Rechtslage ist jedoch, dass eine individuelle Bearbeitung sämtlicher Fälle und eine Anhörung der Betroffenen stattfinden muss. Dies ist ein grundsätzliches Rechtsprinzip, wenn Behörden Entscheidungen über die Rechte Einzelner fällen.
Demnach ist eine ausnahmslose Trennung der Paare widerrechtlich. Die Frage, die das Reichsgericht beantworten soll, ist demnach nicht, ob eine solche Praxis illegal ist, denn das steht fest. Die zentrale Frage ist, ob die Ministerin Inger Støjberg diese illegale Praxis direkt angeordnet hat.
Ist Neues nach den Aussagen von Inger Støjberg bekannt geworden?
Nein, eigentlich nicht. Dies war auch nicht zu erwarten, denn die sogenannte Anordnungskommission (instrukskommissionen) hat den Fall bereits gründlich untersucht. Während dieser Arbeit ist plötzlich ein bislang unbekanntes Aktenstück aufgetaucht. Es ist nicht anzunehmen, dass während des Verfahrens weitere solche Überraschungen zutage gefördert werden. Entscheidend wird, wie die 26 Richter die Faktenlage beurteilen.
Die Anordnungskommission ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Inger Støjberg eine ausnahmslose Anordnung abgegeben hat. Doch hier sollte man die Arbeit der Kommission eher mit der Arbeit der Polizei bei einem herkömmlichen Verfahren vergleichen, eine Arbeit, auf der die Anklage aufbaut. Es gilt also, wie in allen Fällen, die Unschuldsvermutung.
Was sind die Argumente der Verteidigung?
Das zentrale Argument ist das oben erwähnte interne Aktenstück des Ministeriums. Hier ist erwähnt, dass Ausnahmen gemacht werden können. Inger Støjberg hat das Aktenstück gesehen und am 9. Februar, also am Tag vor der Pressemitteilung, gegenzeichnen lassen. Sie hat ausgesagt, sie sei danach davon ausgegangen, dass in Übereinstimmung mit diesem Aktenstück gehandelt wurde, und habe die Frage nicht weiter verfolgt. Allerdings habe sie Ausnahmen zu diesem Zeitpunkt als „hypothetisch“ aufgefasst. Dieses Aktstück beweise nach Auffassung der Verteidiger Nicolai Mallet und René Offersen die Unschuld Støjbergs.
Die Schwäche des Argumentes ist, dass mehrere Beamtinnen und Beamten vor der Anordnungskommission ausgesagt haben, das Aktenstück habe mit der Veröffentlichung der Pressemitteilung jegliche Bedeutung verloren. Die Abteilungschefin des Ministeriums, Lykke Sørensen, hat diese Aussage am Mittwoch vor dem Reichgericht wiederholt.
Wie lauten die Argumente der Anklage?
Das zentrale Argument der Anklage fällt in drei Teile. Als Erstes ist da die Pressemitteilung, in der nicht von Ausnahmen die Rede ist. Støjberg hat bestätigt, dass sie darauf bestanden hat, einen entsprechenden Passus zu entfernen. Danach ist da die Aussage von unter anderem Lykke Sørensen, Støjberg habe ausschließlich von einer ausnahmslosen Regelung gesprochen. Das Aktenstück habe sie nicht gekannt, und es habe keine Rolle gespielt.
Als Drittes hat die Ausländerbehörde mindestens bis Mitte März vermutlich sogar bis Ende April in Übereinstimmung mit der ausnahmslosen Anordnung agiert.
Die Schwäche beim Argument der Anklage ist, dass der direkte Beweis, dass Støjberg eine illegale Order erteilt hat, fehlt. Die Anordnungskommission kommt demnach auch zu dem Ergebnis, die Ministerin habe keinen direkten Dienstbefehl erteilt, die Beamten des Ministeriums sollten widerrechtlich handeln. Die Ankläger Anne Birgitte Gammelgaard und Jon Lauritzen müssen also darauf setzen, dass die Richter die Kette der Indizien als so belastend einschätzen, dass sie Støjberg schuldig sprechen.
Warum ist das alles überhaupt wichtig?
Grundsätzlich müssen wir uns als Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können, dass die Regierung ausschließlich in Übereinstimmung mit dem Gesetz handelt. Dabei ist es nicht erheblich, ob eine Ministerin oder ein Minister bei einem möglichen Gesetzesbruch hehre Ziele verfolgt hat oder nicht.
Im konkreten Fall kommt hinzu, dass die Trennung bei mehreren der 15- bis 18-jährigen Frauen zu ernsten Folgen geführt hat. Es ist zu Androhungen und Versuchen von Selbstmord gekommen. Mindestens drei mussten aus psychosozialen Gründen in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Die Frage ist, ob eine Einzelfallbewertung einige dieser Folgen hätte verhindern können.
Wer sind die Richter?
Das Reichsgericht besteht aus den 13 Richtern des Obersten Gerichtshofs mit dem höchsten Dienstalter sowie 13 Mitgliedern, die von den Parteien des Folketings nach Verhältniszahlen für sechs Jahre gewählt worden sind. Letztere kann man mit Schöffen oder Geschworenen bei herkömmlichen Verfahren vergleichen.
Den Vorsitz hat der Präsident des Obersten Gerichts, Thomas Rørdam.
Wann fällt das Urteil?
Das Reichgericht hat 38 Verhandlungstage anberaumt. Der letzte Verhandlungstag ist der 30. November. Das Urteil soll vor Weihnachten fallen. Es ist endgültig und kann nicht angefochten werden.