Gesundheitswesen

Pläne zur Allgemeinmedizin sorgen für scharfe Kritik aus Nordschleswig

Pläne zur Allgemeinmedizin sorgen für scharfe Kritik aus Nordschleswig

Pläne zur Allgemeinmedizin: Kritik aus Nordschleswig

Kopenhagen/Hadersleben
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Arztpraxis
Gerade in der Fläche fehlt es an Allgemeinmedizinerinnen und - medizinern. Foto: Johan Gadegaard/Jysk Fynske Medier/Ritzau Scanpix

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Die Dänischen Regionen und die Gesundheitsbehörde machen Vorschläge zur Stärkung der praktizierenden Ärztinnen und Ärzte. Mehr Fachkräfte und eine nationale Hotline sollen für Entlastung sorgen. Allgemeinmediziner Hans-Iver Kley spricht von einer „Schnapsidee“. Wie das Gesundheitssystem künftig aussehen wird, soll im Herbst 2024 entschieden werden.

Die dänischen Regionen (Danske Regioner) und die Gesundheitsbehörde (Sundhedsstyrelsen) wollen die Allgemeinmedizin stärken, damit weniger Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern behandelt werden müssen. Eine landesweite Hotline soll Anrufe bei Hausärztinnen und Hausärztinnen unterstützen. Doch es regt sich bereits Kritik an einem „bürokratischen Monstrum“. 

24-Stunden-Hotline

Die Idee von Danske Regioner ist die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle für das Gesundheitssystem. Sie sollte 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche erreichbar sein und die Möglichkeit bieten, mit einer medizinischen Fachkraft in Kontakt zu treten, die Ratschläge und Hilfestellung bei der Behandlung geben kann – auch bei der Frage, ob es notwendig ist, den eigenen Arzt aufzusuchen. 

Die Lösung soll den Plänen nach die Allgemeinmedizin entlasten und könnte langfristig mit dem regionalen medizinischen Akuttelefon 1318 kombiniert werden.

Das bedeutet in meinen Augen keine Verbesserung für den Patienten – eher das Gegenteil.

Hans-Iver Kley
Hans-Iver Kley hat eine Praxis in Hadersleben. Foto: Ute Levisen

Kritik von Ärzten und Verbänden

„Das bedeutet in meinen Augen keine Verbesserung für den Patienten – eher das Gegenteil“, sagt Hans-Iver Kley, der praktizierender Arzt in Hadersleben (Haderslev) ist. „Wir sind gut erreichbar, haben täglich drei Stunden Telefonzeit und es gibt aktuell keine Warteschlangen“, so Kley zum „Nordschleswiger“ am Telefon. Weil über eine Hotline oft keine hinreichenden Befunde möglich sind und auch keine Rezepte ausgestellt werden dürfen, könnte die Folge für praktizierende Ärztinnen und Ärzte Mehrarbeit sein, so Kley. 

„Schon die Einführung der Hotline 1813 im Großraum Kopenhagen habe damals für Chaos gesorgt und dabei ging es nur um Notfälle“, sagt der Mediziner. Weiterhin habe eine solche 24-Stunden-Rufnummer möglicherweise auch Folgen für sein eigenes Personal, weil dann weniger Menschen direkt in der Praxis anrufen würden. Es sei eine „Schnapsidee“, so Kley. „Ich finde es total überflüssig, denn die Kosten sind unklar und eine solche Hotline bindet auch wieder zahlreiche Fachkräfte.“ 

Ähnlich sieht es Jørgen Skadborg, Vorsitzender des dänischen Verbandes der Allgemeinmediziner (PLO). „Es ist fachlich unverständlich, dass die dänischen Regionen den Menschen das Recht nehmen wollen, ihren eigenen Arzt oder ihre eigene Ärztin zu kontaktieren. Es ist einer der Eckpfeiler des dänischen Gesundheitssystems und der Wohlfahrtsgesellschaft.“ Dieser Teil des Vorschlags sei daher unverständlich, sagt er.

Für die Bürgerinnen und Bürger würde es eine große Verschlechterung bedeuten, wenn dieser direkte Zugang durch ein Discount-Callcenter ersetzt wird, so Skadborg in einer schriftlichen Erklärung an Ritzau. „Es wäre ein bürokratisches Monster und ein völlig unnötiges zusätzliches Bindeglied zwischen den Menschen und ihrem eigenen Arzt.“

Viele Menschen finden es schwierig, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Eine einzige Anlaufstelle wird es einfacher und klarer machen, wohin man sich wenden kann.

Verband Danske Patienter

Fürsprecher für nationale Rufnummer

Nach Ansicht von Heino Knudsen (Soz.), Vorsitzender des Gehalts- und Praxisausschusses von Danske Regioner sollte es weiterhin möglich sein, mit dem eigenen Arzt oder der eigenen Ärztin in Kontakt zu treten. „In Wirklichkeit wollen wir die Zugänglichkeit für unsere Bevölkerung noch weiter verbessern. Manche kennen das von ihrer Versicherung, wo man rund um die Uhr mit medizinischem Fachpersonal in Kontakt treten kann“, sagt er in einer Pressemitteilung. 

Der Verband der Patienten- und Pflegeorganisationen (Danske Patienter) hält eine Hotline ebenfalls für eine gute Idee. „Viele Menschen finden es schwierig, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden. Eine einzige Anlaufstelle wird es einfacher und klarer machen, wohin man sich wenden kann“, schreibt der Verband in einer Pressemitteilung.

Skadborg ist der Meinung, der Vorschlag zeige, wie ungeeignet die Regionen sind, um in Zukunft für die Allgemeinmedizin zuständig zu sein. „Die Regionen sehen sich im Wesentlichen als Krankenhausträger und verstehen und erkennen den Wert der persönlichen Beziehung und des direkten Kontakts zwischen Bürgerinnen und Bürgern und dem eigenen Arzt nicht an“, so Skadborg.

Vertrag mit der Region

Die Vision der Regionen für die Zukunft der Allgemeinmedizin beinhaltet auch den Vorschlag, dass diejenigen, die als Allgemeinpraktizierende arbeiten wollen, einen Vertrag mit der Region abschließen und eine Reihe grundlegender Aufgaben und Anforderungen u. a. in Bezug auf Qualität und Daten akzeptieren sollen.

Kley glaubt, dass viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen dann frühzeitig in Pension gehen. „Ich bin Arzt geworden, damit ich auch ein Stück weit selbst bestimmen kann.“ Würden künftig die Regionen diktieren, was er wie zu machen habe, würde er sich eingeengt fühlen. 

Der Vorschlag der dänischen Regionen kommt zur gleichen Zeit wie ein Vorschlag der Gesundheitsbehörde. Darin heißt es, dass die Tätigkeit außerhalb der Krankenhäuser in den nächsten Jahren um 30 bis 40 Prozent zunehmen muss. „Wir müssen das Richtige für die Menschen tun, und das ist eine deutliche Steigerung der Aktivitäten in der Nähe der Bürgerinnen und Bürger und weg von den spezialisierten Krankenhäusern“, sagt Jonas Egebart, Direktor der Gesundheitsbehörde, gegenüber „Politiken“.

Mehr Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern

Hintergrund ist, dass in den vergangenen 20 Jahren immer mehr Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern angestellt wurden. Von 2003 bis 2020 stiegt die Zahl um 68 Prozent auf 19.000. Die Zahl in der Allgemeinmedizin hingegen ist langsamer gewachsen, nämlich um 21 Prozent auf insgesamt 4.400. Der dänische Kommunalverband (KL) forderte in der vergangene Woche eine Stärkung der sogenannten Gesundheitscluster. Diese arbeiten zwischen Krankenhäusern, Allgemeinpraktizierenden und Kommunen zusammen.

Danske Regioner, die Krankenhäuser und allgemeinmedizinische Praxen verwaltet, weist darauf hin, dass es in den kommenden Jahren 5.000 Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner mehr geben wird. Sie sollen zunächst in Gebieten mit einem Ärztemangel arbeiten. 

Dies seien auch Gebiete, in denen die Menschen älter oder kränker sind. Deshalb sollten die medizinischen Fachkräfte in diesen Gebieten weniger Patientinnen und Patienten haben, sagt Heino Knudsen (Soz.), Vorsitzender des Gehalts- und Praxisausschusses der dänischen Regionen laut Pressemitteilung. Die Allgemeinmedizin müsse einen noch stärkeren und wichtigeren Teil des Gesundheitssystems einnehmen. „Wir können uns nur darauf konzentrieren, wenn die Praktizierenden auch dort sind, wo der Bedarf der Bevölkerung am größten ist“, so Knudsen.

Das wird sich nicht so einfach lösen lassen und man kann nicht 1.500 Ärzte aus dem Hut ziehen.

Hans-Iver Kley

Fehlendes Fachpersonal

Generell sei es gut, mehr Ärzte zu haben, sagt Kley. Den Bedarf zu decken, hält er aber fast für unmöglich. Die Ausbildung zur Ärztin oder zum Arzt dauere im besten Fall zehn Jahre. Schon jetzt sei ein Riesenproblem absehbar, denn viele Ärztinnen und Ärzte seien 50 oder 60 Jahre alt und blicken in Richtung Pension. Seit 2007 sei die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die in der PLO registriert sind, um 369 zurückgegangen. „Das wird sich nicht so einfach lösen lassen und man kann nicht 1.500 Ärzte aus dem Hut ziehen“, sagt der Haderslebener Arzt. Es brauche mehr Ausbildungsstellen, sagt Kley, und auch die seien nicht immer leicht zu besetzen.

Dass Fachkräfte aus den Krankenhäusern in die Fläche beordert werden, hält er für ebenso kaum möglich, wie noch nicht fertig ausgebildetes Personal in die Allgemeinpraxen zu schicken. Die derzeitige Entwicklung umzukehren werde schwer, so Kley. Der private Gesundheitssektor, ineffektive Krankenhäuser und Investoren, die Ärztehäuser aufkauften, würden die Entwicklung mit vorantreiben.

Politische Entscheidung in Christiansborg

Wie das Gesundheitssystem der Zukunft organisiert wird, ist letztlich eine politische Entscheidung in Christiansborg, die im Herbst 2024 fallen soll. Diese wird an Fahrt aufnehmen, wenn die von der Regierung eingesetzte Gesundheitsstrukturkommission im neuen Jahr ein Konzept vorlegt, das sich unter anderem mit der Organisation der Allgemeinmedizin befasst.

Es deutet also vieles darauf hin, dass sich das Gesundheitssystem, das die Bürgerinnen und Bürger in einigen Jahren vorfinden werden, deutlich verändern wird. Ob es sich um ältere oder chronisch kranke Menschen handelt, die einen hohen Bedarf an medizinischer Versorgung haben, oder um gesunde Menschen, die nur selten einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen – für sie alle könnte die Allgemeinmedizinerin und der Allgemeinmediziner in Zukunft in den Mittelpunkt rücken.

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