Leitartikel
Fleischlose Revolution: Supermärkte ändern sich
Fleischlose Revolution: Supermärkte ändern sich
Fleischlose Revolution: Supermärkte ändern sich
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In Berlin eröffnet die Supermarkt-Kette Rewe den ersten Supermarkt ganz ohne tierische Produkte, während man als Vegetarier oder Veganer Produkte ohne tierische Inhaltsstoffe in nordschleswigschen Läden oft lange und mitunter vergeblich suchen muss. Dänemark will bei dem Thema zwar aufholen, hinkt dem Nachbarn aber um Jahre hinterher. Es muss kein Fleisch auf den Teller, schreibt Gerrit Hencke in seinem Leitartikel.
Während der Schwangerschaft konnte meine Frau kein Fleisch mehr ertragen. Der Anblick von Geschnetzeltem in einer Pfanne sorgte für Ekel. Der ist geblieben. Seit fünf Jahren lebt sie vegetarisch und zeitweise auch vegan. Ich mache mit, und die Kinder kennen es nicht wirklich anders. Selten gibt es für sie Ausnahmen.
Jeder soll essen, was er möchte. Dieser Leitartikel soll weder bekehren noch verurteilen. Auch ich mag den Geschmack von Fleisch noch immer, lehne aber den Konsum aus ethischen Gründen ab. Es geht mir um Nachhaltigkeit und Tierwohl.
Produktvielfalt wächst
Glücklicherweise wächst das Angebot an Ersatzprodukten in deutschen Supermärkten und Discountern immer weiter und ist kaum mit dem vergleichbar, was noch vor zehn Jahren angeboten wurde. Die Produkte werden geschmacklich und von der Konsistenz immer besser.
Nach einigen Jahren kann ich sagen: Es muss kein Fleisch mehr auf den Teller. Der Burger schmeckt auch mit dem pflanzlichen Patty hervorragend und Sojaschnitzel, Tofu oder Blumenkohl eignen sich mit den richtigen Gewürzen perfekt als Ersatz für die Bolognese. Den Unterschied schmeckt man kaum.
Erster tierproduktfreier Supermarkt
Weil immer mehr Menschen ihren Fleischkonsum ebenfalls zurückfahren, wachsen die Regalreihen vor allem auf deutscher Seite immer weiter, in denen man vegane Wurst, vegetarischen Fleischsalat oder das vegane Steak kaufen kann. In Berlin hat die Handelskette Rewe jetzt den ersten vollkommen pflanzlichen Supermarkt eröffnet. 2.700 vegane Lebensmittel finden sich in dem Laden an der Warschauer Brücke. Für das Unternehmen ein wichtiger Test. In den regulären Filialen gibt es bereits heute 1.400 vegane Lebensmittel. Auch in kleineren Städten wie Flensburg.
Wenige Alternativen in Nordschleswig
In Nordschleswig sucht man diese Vielfalt bislang vergeblich. Die großen Ketten verstecken die wenigen vegetarischen und veganen Produkte nahezu. Hier mal drei Tiefkühlprodukte, dort eine Hafermilch und ein Sojajogurt. Dazwischen Schnitzel, Wurst und Fisch.
Egal, ob fertige Salate, belegte Brötchen oder Mittagstisch-Gerichte: 95 Prozent davon sind nicht fleischfrei. Bacon, Hühnchenstreifen und Schinkenwürfel dominieren die Frischetheken von Føtex, Kvickly, Rema und Co.
Doch auch hierzulande wächst die Zahl der Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren. Waren es 2017 noch 1,8 Prozent, sind es heute bereits 3 Prozent. Vor allem die Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen ist mit 7,6 Prozent besonders stark vertreten.
In Deutschland ernähren sich laut Erhebungen aus dem vergangenen Jahr neun Prozent der Bevölkerung vegetarisch, drei Prozent vegan. Weitere 41 Prozent der Befragten bezeichnen sich als Flexitarier, essen also nur gelegentlich Fleisch. Das ist auch in Dänemark zunehmend so.
Hier will man mithilfe eines Pflanzenfonds (Plantefonden) die Entwicklung pflanzenbasierter Ernährung unterstützen. Aus dem Grünen Fonds (Grøn Fond) werden dafür bis 2026 zusätzliche 60 Millionen Kronen freigegeben, wie Mitte April bekannt wurde.
Es geht langsam voran in Dänemark
Schon im vergangenen Jahr sagte Ulrike Johannsen von der Universität Flensburg auf Nachfrage, dass Deutschland bei pflanzenbasierten Produkten fünf Jahre voraus sei. Die Expertin für Ernährung, Gesundheit und Konsum ist sich sicher, dass es auch mit dem Selbstverständnis Dänemarks als Exportnation für Milch und Fleisch zusammenhängt.
Die Zahlen der Schweineindustrie sind gerade erst wieder an die Oberfläche gespült worden. Demnach lebten am 1. Juli 2023 rund 11 Millionen Schweine in Dänemark – zehn Prozent weniger als 2022. Das sind noch immer mehr Tiere, als das Land Einwohnerinnen und Einwohner hat. 14,5 Millionen dieser Nutztiere wurden im vergangenen Jahr geschlachtet. Eine unfassbare Zahl und eine riesige Industrie. Aller Transparenz der Schlachthöfe zum Trotz: Das ist nicht erstrebenswert. Ich persönlich möchte nicht mehr Teil dieser Massentötung sein. Auch, weil ich es selbst nicht könnte.
War es vor Jahren exotisch, kein Fleisch zu essen, wird es heute gesellschaftlich immer akzeptierter. Allerdings nur langsam. In meinem Freundeskreis gibt es die Seite, wo niemand hinterfragt, weil alle mindestens vegetarisch leben. Die andere Seite stellt die Fleischlosigkeit beim gemeinsamen Grillabend manchmal vor Ratlosigkeit. Auch sonst höre oder lese ich immer wieder dieselben Argumente:
- „Der Mensch braucht Fleisch!“ Die Antwort: Nein braucht er nicht. Das schreibt sogar die Verbraucherzentrale: „Für eine gesunde Ernährung ist es nicht nötig, Fleisch zu essen, da alle darin enthaltenen Nährstoffe auch in anderen Lebensmitteln vorkommen. Zu viel Fleisch und Wurst zu essen, kann der Gesundheit schaden.“
- „Warum nennt ihr es Schnitzel und formt es so, wenn ihr kein Fleisch wollt.“ Die einfache Antwort: Weil ich zwar den Geschmack mag, dafür aber kein Tier sterben soll. Warum man es Schnitzel nennt: Weil es so leichter zu identifizieren ist. Ich weiß, was ich bekomme, wenn ich Mortadella oder Fleischsalat lese – nur dass meine Produkte beispielsweise auf Basis von Erbsenprotein entstehen.
- Über die Zutatenliste wird dann ebenfalls geschimpft. „In Ersatzprodukten ist doch nur ein Cocktail aus Chemie und Zusatzstoffen drin“. Ja, mag sein. Aber was hat das Schwein, der Fisch oder das Huhn bekommen, bevor es in der Kühltheke gelandet ist? Massentierhaltung ist erwiesenermaßen für die Zunahme von Antibiotikaresistenzen verantwortlich, da die auf engem Raum eingepferchten Tiere schneller krank werden und gegen Bakterien – auch vorbeugend – medikamentös behandelt werden. Hinzu kommen Hormone und Kraftfutter, damit die Tiere schnell wachsen. Ein weiteres Beispiel gefällig? Aktuell berichtet „Der Spiegel“ über Lachsfarmen im Meer vor Island. Hier tobt inzwischen eine öffentliche Debatte über den Schrecken der Massenzucht, in die sich sogar die isländische Sängerin Björk eingeschaltet hat. Es geht um geimpfte, kranke und verfettete Tiere, die ohne Platz zum Schwimmen, Körper an Körper in Netzkäfigen gefangen sind. Die Tiere werden dabei von Bakterien und Seeläusen zerfressen. Die „Bild“-Zeitung spricht von Zombie-Lachsen. Lecker, oder?
Am Ende ist meine Zutatenliste allerdings frei von Tierleid. Und darum geht es.