Shanty-Chöre
Husum, Sylt, Nordstrand: Nordfrieslands Shanty-Chöre kämpfen ums Überleben
Nordfrieslands Shanty-Chöre kämpfen ums Überleben
Nordfrieslands Shanty-Chöre kämpfen ums Überleben
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Stimmungsvolle Seemannslieder gehören zu Nordfriesland wie die Krabbe und das Schaf. Aber die Shanty-Chöre stehen vor Problemen: Alter, Inflation und kein Nachwuchs. Was tun?
Der Vereinsvorsitzende des Husumer Shanty-Chors Dieter Pilz sitzt an seinem Esszimmertisch und ist frustriert. Seit Ende Juni habe sich die Lage für ihn und den Husumer Shanty-Chor weiter verschlechtert: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir uns auf unserer nächsten Vereinssitzung am 7. November auflösen werden“, sagt der 75-Jährige. „Die Corona-Pandemie hat uns den Rest gegeben.“
Dann holt er ein Blatt Papier hervor, auf dem die Namen seiner aktuell 22 Sänger verzeichnet sind. „Fünf sind derzeit krank“, erklärt er. Der Konzertausfall vom 8. Oktober auf den Husumer Krabbentagen sei für ihn besonders tragisch. Der Husumer Shanty-Chor hätte die 25. Husumer Krabbentage zum 25. Mal eröffnen sollen. „Es tut mir aufrichtig leid“, entschuldigt sich Pilz.
Hinzu kämen neue Probleme in Form von gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen. „Unsere Auftritte bei privaten Feiern in Gaststätten wollen sich die Leute da nicht mehr leisten.“ Das größte Problem sei jedoch nach wie vor der Nachwuchs, betont Pilz. Der Altersdurchschnitt im Husumer Shanty-Chor läge derzeit bei 75 Jahren. In anderen nordfriesischen Shanty-Chören sähe es ähnlich aus.
Shanty-Chöre in Schleswig-Holstein: Eine Männerdomäne?
Nachfragen beim Husumer und Sylter Shanty-Chor sowie beim Shanty-Chor „De Fideelen Nordstrander“ haben gezeigt: Die Shanty-Chöre planen derzeit nicht, Frauen zum Erhalt ihrer Gesangskunst mit ins Boot zu holen. Da habe man noch gar nicht drüber nachgedacht, erklärt Uwe Witt, Vereinsvorsitzender beim Sylter Shanty-Chor.
Dieter Pilz argumentiert kulturell: „Shantys sind Arbeiterlieder, die traditionell von Männern auf den Schiffen gesungen wurden. Das Singen hat ihre Moral gestärkt und für den nötigen Rhythmus bei der Arbeit gesorgt.“ Vor 42 Jahren sei der Husumer Shanty-Chor jedoch als gemischter Chor gegründet worden. Die letzten verbliebenen Frauen seien vor noch nicht allzu langer Zeit ausgetreten. Über die Gründe wolle Pilz auch auf Nachfrage hin keine Auskunft geben.
Pilz nennt Veränderungen in Arbeits- und Lebensgewohnheiten als einen Grund für den fehlenden Nachwuchs. Früher hätten alle um 18:00 Uhr Feierabend gehabt. „Doch heutzutage arbeiten viele Menschen noch sehr spät am Abend, Handwerker fahren oft wochenlang auf Montage. Für gemeinsames Proben bleibt da kein Raum.“ Außerdem, sagt Pilz, werde der Musikunterricht in den Schulen zu spärlich erteilt.
Pilz ist mit seiner Einschätzung nicht allein. Hans Klein ist der Vereinsvorsitzenden beim Shanty-Chor „De Fideelen Nordstrander“. Kleins Stimme klingt am Telefon merklich angegriffen. Er habe selbst gerade eine Corona-Erkrankung hinter sich und ringe noch immer mit den Folgen. „Viele Männer, die singen können“, sagt er, „werden von den verpflichtenden Strukturen eines Chors abgeschreckt.
Dieter Pilz: „Der Husumer Shanty-Chor wird sich verändern müssen“
Für Klein sei es vor allem die Unverbindlichkeit, nach der viele Menschen heutzutage verlangten. Doch für einen Chor ginge das nicht. „Wir haben um die 130 Lieder.“ Davon würden bis zu 20 Werke für Auftritte eingeübt. Um attraktiver zu werden, hätten „De Fideelen Nordstrander“ bereits die Bandbreite ihrer Stücke erweitert. „Wir singen Lieder vom ‚König der Löwen‘ bis hin zu Schlagern.“ Wie andere Shanty-Chöre auch habe man zudem Weihnachtslieder im Repertoire.
Über Auftrittsmöglichkeiten könnten sich „De Fideelen Nordstrander“ nicht beklagen, sagt Klein. Der Sylter Shanty-Chor erklärt Ähnliches. Die Nachfrage sei mit 30 bis 40 Konzerten im Sommer gut gewesen. Doch mit zunehmendem Alter vergrößere sich eben auch die Anstrengung. Damit hätten alle zu kämpfen.
„Kämpfen“ ist auch ein Stichwort für Dieter Pilz. „Bei unserer Vereinssitzung am 7. November werden wir uns verändern müssen“, erklärt er motiviert. An anderer Stelle sagt er aber auch angesichts der Faktenlage: „Wir werden in den nächsten Jahren ein großes Chorsterben erleben.“