Wochenthema Kommunalwahl 2021
Politik heute: Zu viel Egoismus und zu wenig Wir-Gefühl
Politik heute: Zu viel Egoismus und zu wenig Wir-Gefühl
Politik heute: Zu viel Egoismus und zu wenig Wir-Gefühl
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Das sozialdemokratische Stadtratsmitglied Peter Christensen wird zum Jahreswechsel die aktive Politik an den Nagel hängen. 31 Jahre lang saß er in zwei Stadträten, im nordschleswigschen Amtsrat und im Regionsrat. Den Parteiwechsel während einer Wahlperiode bezeichnet der ehemalige Bürgermeister als Wahlbetrug.
Peter Christensen aus Hoyer hat seit mehr als drei Jahrzehnten in der Politik im Landesteil mitgemischt und zwar auf drei Ebenen: Im Marschenort war der Sozialdemokrat Stadtratsmitglied und Bürgermeister, nach der Kommunalreform war er 1. Vizebürgermeister der Kommune Tondern. Jeweils vier Jahre war er Mitglied des nordschleswigschen Amtsrats und des Regionsrata für Süddänemark, bevor er wieder in die Kommunalpolitik zurückkehrte.
Echte Bewährungsprobe für Sozialdemokraten
Am 31. Dezember endet für ihn das politische Geschäft. Mit seinem Rückzug gibt es eine jede Menge Stimmen zu verteilen. Denn der populäre Christensen hat nicht nur Wähler in den eigenen Reihen gehabt. Bürgerliche Wähler wählten ihn aufgrund seiner menschlichen und politischen Qualitäten. Der Stimmenmagnet landete bei seinen Kandidaturen stets unter den Top 10. Für die Sozialdemokraten ist sein Rückzug eine echte Bewährungsprobe.
Seine politische Karriere begann 1986 in Hoyer. Sieben Jahre war er 1. Vizebürgermeister und auch Vorsitzender des Personenausschusses. Es folgten vier Jahre als Mitglied des nordschleswigschen Amtsrats. Nach elf Jahren in der Politik legte er aufgrund beruflicher Veränderungen und Fortbildung ab 1998 eine Pause ein.
Nach dem Jahrhundertwechsel startete er sein politisches Comeback in Hoyer. Er wurde 2002 Bürgermeister. „Es war für mich etwas sehr Großes, in meinem eigenen Wohnort diesen Posten bekommen zu haben." Nach der Kommunalreform wurde er Mitglied des Stadtrats der neuen Großkommune Tondern, unternahm dann für vier Jahre einen Abstecher in den Regionsrat.
Nur vier Jahre hielt es ihn in Vejle, bevor er sich 2017 zu einer weiteren Kandidatur bei der Kommunalwahl entschied. Er hielt die Kommunalpoltik für sehr viel interessanter. Seine Zeit im Regionsrat tat ihm und seiner Partei nicht gut. Die Sozialdemokraten verloren 282 Stimmen und landeten auf insgesamt 4.373 Stimmen. Peter Christensen entfielen nur noch 955 persönliche Stimmen auf ihn.
Aber immerhin. Jede vierte, sozialdemokratische Stimme wurde von ihm gewonnen. Christensen wurde aber um Längen von Bürgermeister Henrik Frandsen (V) geschlagen, auf den 2.647 persönliche Stimmen entfielen.
Der Sozialdemokrat hat bei jeder seiner Kandidaturen immer persönlich sehr gute Ergebnisse eingefahren. Bei der ersten Wahl zur Großkommune Tondern 2005 holte er von 6.034 sozialdemokratischen Stimmen 2.179 und überflügelte ganz klar den späteren Venstre-Bürgermeister Vagn Therkel Pedersen, der nur 272 persönliche Stimmen einfuhr.
Mehr Stimmen als Laurids Rudebeck
Bei der Kommunalwahl vier Jahre später schnitt Christensen noch besser ab. Von 5.830 sozialdemokratischen Stimmen hatten 2.368 Wähler ihr Kreuz bei seinem Namen gesetzt. Damit übertraf er auch den späteren Bürgermeister Laurids Rudebeck (Venstre), der es auf 2.005 Stimmen brachte.
Auf eigenen Wunsch hat er eine weitere Kandidatur abgelehnt. Bei einer weiteren Kandidatur hätte er vier Jahre vorausplanen müssen. Daher sei die Zeit jetzt reif, sich auszuklinken, ohne dass er ganz die Politik zu den Akten legen wird. „Ich werde mich weiter dafür interessieren und mich auf dem Laufenden halten. Aber ich werde es wie der frühere Bürgermeister in Hoyer, Knud Hansen, halten. Ich werde die Politik nur vom Seitenrand mitverfolgen, aber mich nicht einmischen. Aber die Politik lässt mich nicht los. Dazu ist sie viel zu interessant".
Dabei verstehen wir uns persönlich gut, und die Arbeit in den Fachausschüssen läuft gut. Nur im Ökonomieausschuss und im Stadtrat hapert es. Es gibt im Stadtrat zu viele Animositäten und zu viel Hickhack.
Peter Christensen, sozialdemokratisches Stadtratsmitglied
Sein Beschluss sei ausschließlich seinem Alter geschuldet und habe nichts mit den vergangenen vier turbulenten Jahren im Stadtrat zu tun, dessen Arbeit von vielen persönlichen Querelen geprägt wurde. „Dabei verstehen wir uns persönlich gut, und die Arbeit in den Fachausschüssen läuft gut. Nur im Ökonomieausschuss und im Stadtrat hapert es. Es gibt im Stadtrat zu viele Animositäten und zu viel Hickhack“, bedauert der frühere Gefängniswärter.
Der Gentleman zeigt Zähne
Die Politik in heutiger Zeit würde vom Egoismus beeinträchtigt. „Zu viele denken nur an das Ich statt an das Wir. Früher fanden wir Lösungen, mit denen alle leben konnten. Ich bin ein neugieriger Mensch und habe mich immer um einen Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen sowie meinem Umfeld bemüht. Das politische Sparring ist für mich wichtig gewesen“, unterstreicht der 72-Jährige, der als „politischer Gentleman" bezeichnet werden kann, der aber auch Zähne zeigt, wenn ihm eine Diskussion zu bunt wird.
„Ich habe mich stets darum bemüht, ehrenhaft aufzutreten. Denn es geht auch im großen Maß um Vertrauen. Unflätig aufzutreten ist ein Ausdruck von Kulturmangel. Man hat zu wenig Respekt vor der Politik. Aber ich bin vielleicht zu alt, zu altmodisch, ich weiß es nicht", fragt er sich selbst.
Soziale Medien und die Politik
Mit den sozialen Medien habe sich auch das politische Tagesgeschäft geändert. Die Diskussionen würden oft aus dem Lot geraten, und man müsse cool bleiben, auch Entscheidungen gegen den Willen des Volkes treffen. Ich will aber die sozialen Medien nicht missen. Ein wenig nuancierter dürfte es aber gerne vor sich gehen".
Wer die Partei wechselt, sollte sein Mandat an die Partei zurückgeben, für die er oder sie in den Stadtrat eingezogen ist.
Peter Christensen, sozialdemokratisches Stadtratsmitglied
Als moralisch verwerflich und als Wählerbetrug bezeichnet er die vielen Parteiwechsel, die sich in der nun zu Ende gehenden Wahlperiode vollzogen haben. „Wer die Partei wechselt, sollte sein Mandat an die Partei zurückgeben, für die er oder sie in den Stadtrat eingezogen ist", fordert Christensen. „Wir haben mit elf Wechseln in der Kommune Tondern den Rekord in ganz Dänemark. Das sind sehr viele bei nur 31 Mandaten“, bedauert er.
Es fing an mit Jens Møller, der schon bei der Konstituierung des neu gewählten Stadtrats aus Protest vom Venstre-Mitglied zum fraktionslosen Einzelgänger wurde. Es folgten die sechs früheren Venstre-Abgeordneten, die im vergangenen Jahr die Tønder Listen gründeten, Harry Sørensen, der von der Dänischen Volkspartei zu den Konservativen wechselte, Allan Skjøth (von Venstre zur Borgerlisten), Møllers Rückkehr zu Venstre und Claus Hansen, der von der Liberalen Allianz zu Venstre ging.
Man bringe der Kommunalpolitik nicht den nötigen Respekt entgegen und mache sie lächerlich. Parteiwechsel verunsicherten zudem die Wählerinnen und Wähler, meint der bald Ex-Politiker, der kein Freund von Wahltipps ist, denn seine Prognosen würden nie hinhauen, lacht er.
Dennoch wagt er für den „Nordschleswiger“ einen vorsichtigen Tipp. Als Erstes hoffe er, dass die Neuen Bürgerlichen wegen ihrer rabiaten Meinungen nicht in den Stadtrat rücken. Und er sieht Mandatsverschiebungen voraus. Für seine Partei hofft er, die sechs Mandate halten zu können. Doch jede Partei, die einen Führungsanspruch anmelde, sei auf Unterstützung anderer Parteien angewiesen.
„Ich komme mit meiner Bewertung der Schleswigschen Partei, der Borgerlisten und Tønder Listen nicht hin. Daher tippe ich auf 4 Mandate für die Tønder Listen und jeweils 3 Mandate für die beiden anderen, damit wir auf die 31 Mandate kommen. Ich hoffe auf einen Führungswechsel. Der ist immer gut, und wir benötigen einen Wechsel“, unterstreicht der 72-jährige Nestor des Tonderner Stadtrats, dem im vergangenen Jahr für seine vielen Jahre in der Politik das Ritterkreuz verliehen wurde.
Die Frage, wie man mehr Frauen und junge Mitglieder in die Stadträte bekommt, um so einen besseren Querschnitt der Gesellschaft zu erreichen, kann der alte Hase in der Politik nicht beantworten. „Meiner Meinung nach ist es kein Problem, Frauen für eine Kandidatur zu gewinnen. Wie wir aber die jungen Leute motivieren können, weiß ich wirklich nicht“, so ein überfragter Sozialdemokrat.
Er sei mit 35 Jahren in Hoyer in die Politik gegangen. Dass es für die Sozialdemokraten war, sei eigentlich für ihn selbstverständlich gewesen, obwohl er bei seinem Parteieintritt bestimmt linker war als heute.
„Ich bin in einer Arbeiterfamilie groß geworden. 1978 zogen meine Frau Ellen und ich von Seeland nach Hoyer. Drei Jahre später meldete ich mich in die Partei ein. Dass Hoyer unser Ziel wurde war eher Zufall, als ich einen Job im Arresthaus in Tondern bekam. Aber als Kind habe ich oft meine Ferien bei meiner Oma Helene Sofie Löck in der Postgade verbracht. Die Familie war ein Teil der deutschen Minderheit“.
Nichts versäumt
Er habe nicht das Gefühl, dass seine Familie oder seine Freizeitinteressen aufgrund seiner politischen Arbeit zu kurz gekommen sind. „Unsere Tochter war elf Jahre alt, als ich in die Politik ging. Als Gefängniswärter hatte ich Schichtarbeit und habe bei Nachtschichten den Tag mit unserer Tochter verbringen können. Und mit meiner Frau bin ich immer noch glücklich verheiratet. Die Politik war neben Handball und Fußball auch mein Hobby, und ich meine, Zeit genug dafür gehabt zu haben.“
Nochmals wiederholt Christensen beim Interview, dass die Zeit zum Aufhören gekommen sei. „Ich werde aber nicht alles auf Stand-by schalten, denn ich muss die immer noch in mir steckende Energie irgendwie anwenden. Wie, weiß ich noch nicht. Aber ich finde schon etwas“, verrät er geheimnisvoll. Energie habe er noch. „Wenn man seine Teenager-Enkelin in Kopenhagen müde laufen kann, ist es noch nicht so schlecht um mich bestellt."