Die Woche am Alsensund
Aus dem Leben einer Unbefugten
Aus dem Leben einer Unbefugten
Aus dem Leben einer Unbefugten
Diesen Artikel vorlesen lassen.
In dieser Woche stellt sich Kolumnistin Sara Eskildsen die Frage, ob eine Popcorn-Maschine vor dem Stadtratssaal die politische Partizipation der Menschen anregen könnte und wer eigentlich schuld ist an der Schuld.
In dieser Woche am Alsensund hat sich der Stadtrat im Sonderburger Rathaus mit der Frage auseinandergesetzt, ob man in Zukunft mehr Bürgerbeteiligung in der Lokalpolitik wünscht, und wenn ja, in welcher Form.
Soll es in Zukunft offene Fragerunden im Stadtrat oder in den Ausschüssen geben, bei denen Bürgerinnen und Bürger vorsprechen? Wenn ja, wie soll das organisiert werden, und werden die Sitzungen dann doppelt so lange, wenn Jens Ove, Mikkel und Karen ihre Anliegen vorbringen?
Ich begrüße den Vorschlag und bitte um eine Einbeziehung des Pressetisches. Nahezu bei jeder Sitzung stellen sich mir Fragen, die ich zu gerne direkt stellen würde.
Mehr politische Partizipation am Alsensund
Außerdem wünsche ich mir schon lange einen Popcorn-Stand vor dem Ratssaal. Bislang gibt es für Politik und Presse lediglich Kaffee und lasche Obststückchen im Plastikbecher. Das ist gesund, aber ausbaufähig.
Ich bin mir sicher, dass eine Popcorn-Maschine zur Bürgernähe beitrüge und die politische Partizipation am Alsensund beflügele. Eine Zuschauertribüne gibt es immerhin schon. Aber vermutlich wird der Gesundheitsausschuss ein Veto einlegen, damit die Bevölkerung nicht aus den Fugen gerät und verfettet.
Apropos Fugen. Beim Wort Fuge dachte ich bislang zu wissen, worum es sich handelt. Bei mir im Haus fehlt sie nämlich meterweise. Überall klaffen zwischen alten Holzleisten und noch älteren Dielenböden Zwischenräume. Die nicht vorhandenen Fugen sind wie schwarze Löcher – nur länglich, nicht rund. In ihnen kommen regelmäßig Haargummis, Ohrringe und Popcorn-Krümel für alle Ewigkeiten abhanden. Positiv anzumerken ist jedoch, dass auch so manch Fussel beim Fegen wie von allein verschwindet.
Ob ich damit zu jenen Unbefugten gehöre, denen oftmals der Zutritt verboten ist?
Eines Tages, in ferner Zukunft und schätzungsweise 175 Tuben Acrylfuge Dana Lim später, wird mein Haus über korrekte Fugen verfügen. Ich bin gespannt, ob damit dann auch die Marienkäfer-Produktion zum Stillstand kommt, die an einem unbekannten Ort im Obergeschoss vor sich geht. Bislang habe ich die Quelle nicht finden können, und so schmeiße ich täglich Dutzende schlappe und wintermüde Marienkäfer aus dem Schlafzimmer ins Freie. Bei aller Tierliebe – ich bin schließlich kein Insektenhotel.
Als ich in dieser Woche am Alsensund in einer Pressemitteilung vom Organisten der Marienkirche das Wort Fuge erneut las, musste ich schmunzeln. Angekündigt wurde für ein Orgelkonzert zur Passionszeit das Musikstück „Fuge e-moll“ von Johann Sebastian Bach.
Beim nächsten Verfugen werde ich mir ausmalen, wie eine solche Fuge in E-Moll wohl aussieht.
Wer andere mies behandelt, macht sich mitschuldig
Ein Gespräch über Menschen, deren Leben aus den Fugen geraten ist, konnte ich am Dienstag in Gravenstein (Gråsten) führen, als ich die Psychologin Linda Lassen zum Interview traf. Anlass war, dass die 74-Jährige einen Roman geschrieben hat, in dem sie die Frage nach der Schuld stellt. Wer ist schuld daran, dass Menschen morden, stehlen, rauben und mobben? Die Person selbst? Oder das Umfeld, das zuvor verletzt, ausstößt und beleidigt?
Mit ihrem Buch „Der Schuldige“ verlegt sie die Frage nach der Schuld ins deutsch-dänische Grenzland, wo Anschuldigungen und Beleidigungen immer wieder Hand in Hand mit der Nationalität der Menschen gingen.
Linda Lassen bringt es in ihrem Buch gut auf den Punkt: Hass und Unversöhnlichkeit ziehen Kreise. Über Jahrzehnte. In Gesellschaften ebenso wie in Familien.
Im Interview gab die Autorin zu bedenken: Wir alle prägen mit unserem Verhalten andere Menschen. Wer andere mies behandelt, macht sich mitschuldig, wenn das frühere Mobbing-Opfer zum Täter oder zur Täterin wird. Im übertragenen Sinne können also nicht nur Schüsse, sondern auch Worte und Blicke tödlich sein.
Wir haben schließlich alle unsere offenen Fugen. Alte Verletzungen, nicht ordentlich verarbeitete Streitigkeiten, unausgesprochene Vorwürfe oder Enttäuschungen, mit denen zu leben man gelernt hat.
Sara Eskildsen, Kolumnistin
Während der Stadtrat um mehr Bürgerbeteiligung rang und die Popcorn-Maschine auf sich warten ließ, stellte ich mir daher die Frage, wie ich an meiner Bürgernähe, an meiner Mitmenschlichkeit arbeiten kann.
Wo im Alltag mehr Raum sein darf für ein aufmunterndes Gespräch oder Freundlichkeit, trotz Stress, To-do-Listen und Wintermüdigkeit. Für mehr Partizipation am Leben anderer.
Die Lebensmelodie als Fuge in Moll
Wir haben schließlich alle unsere offenen Fugen. Alte Verletzungen, nicht ordentlich verarbeitete Streitigkeiten, unausgesprochene Vorwürfe oder Enttäuschungen, mit denen zu leben man gelernt hat. Schwarze Löcher, die Energie schlucken.
Im Gegensatz zu den Fugen meines Hauses, kann man diese Abgründe nicht einfach so mit Acrylmasse versiegeln. Wie ein altes Haus benötigt auch das eigene Leben bisweilen Aufmerksamkeit und Arbeit, um kaputte Bereiche wieder herzustellen. Schließlich hat niemand auf Dauer Lust darauf, dass die eigene Lebensmelodie als Fuge in Moll in Dauerschleife läuft.