Diese Woche in Kopenhagen

„Vom Erstaunen über einen altmodischen Brief und dem Schreiben mit Bleistift“

Vom Erstaunen über einen altmodischen Brief und dem Schreiben mit Bleistift

Vom Erstaunen über einen altmodischen Brief

Kopenhagen
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Von einem plumpen Betrugsversuch gelangt Walter Turnowsky über verschlungene Pfade zur Liebe des Unterrichtsministers für das Analoge. Wer sich die Mühe macht, die Kolumne zu Ende zu lesen, wird mit einer Anekdote aus der Schulzeit des Kolumnisten belohnt.

Als ich vor einiger Zeit in meinen Briefkasten schaute, war ich doch einigermaßen überrascht. Lag da doch tatsächlich ein Brief, an mich persönlich adressiert.

Der Absender war kein Geringerer als der Anwalt (oder sogar Abogado) Antonio Gómez Iglesias Casal. Nicht dass ich weiß, wer er ist, aber der Name gibt schon mal etwas her. Er vertritt einen Verwandten von mir, Luc Robert Turnowsky. Leider ist dieser gestorben.

Wir hatten zwar in den vergangenen Wochen zwei Todesfälle in der Familie, aber ein Luc Robert war nicht dabei. Allerdings habe ich von ihm auch bis zum Brief von Herrn Casal nichts gewusst. 

Aussicht auf 3,4 Millionen Euro

Daher ist mir auch entgangen, dass er mit Frau und Kind bereits 2018 ums Leben gekommen ist. Meine Verwandtschaft mit ihm ist so entfernt, dass der gute Anwalt sich nicht sicher ist, ob wir überhaupt verwandt sind, aber der Nachname sei ja schon mal richtig. Und engere Verwandte konnte er nicht finden.

Die Sache ist nämlich die, dass mein vielleicht-Verwandter Luc Robert ein Vermögen von 3,4 Millionen Euro hinterlässt. Ich brauche Herrn Abogoda Antonio Gómez Iglesias Casal nur anzurufen oder eine Mail zu schicken, dann könnten wir alle weitere inklusive seines Honorars vereinbaren. Er stellt sich so 45 Prozent des Vermögens vor.

Der analoge Nachkomme der Nigeria-Briefe

Vielleicht hätte er das „Turnowsky“ jedoch nicht ganz so offensichtlich in den Text hineinkopieren sollen, da wurde der Schwindel dann doch allzu plump. Zumal gerade diese Nummer so ungefähr fünf Minuten nach dem Internet erfunden wurde.

Sie waren einst als „Nigeria-Briefe“ bekannt, haben einen jedoch per E-Mail erreicht. Aber diesmal, also ganz analog, mit der guten alten Post inklusive Briefmarke – und aus Spanien. Vielleicht ist der Herr Antonio Gómez Iglesias Casal, oder wie immer er oder sie auch heißen mag, ja drauf gekommen, dass das mit den E-Mails nicht mehr so richtig zieht. 

Ich stelle mir vor, er/sie hat sich gedacht, da ist so ein richtiger Brief mit Stempel und Unterschrift doch gleich viel vertrauenerweckender, doch da muss ich ihn leider enttäuschen. Ich kam beim ersten Lesen noch nicht einmal bis zum Namen meines so tragisch verunglückten Verwandten, bevor ich den Brief beiseitelegte. Da sind so einige der heutigen digitalen Betrugsversuche, dann doch um einiges überzeugender.

Das Schreiben mit Bleistift

Während Antonio Gómez Iglesias Casal versucht zu betrügen, möchte Unterrichtsminister Mattias Tesfaye (Soz.) Schwindel verhindern – wenn auch Schwindel ganz anderer Art. So gegensätzlich die beiden Herren auch sind, scheinen sie eine Vorliebe dennoch zu teilen: die Vorliebe für das Analoge.

Sehr geehrter Herr Anwalt, beim Einsetzen des Nachnamens hätten sie etwas sorgfältiger arbeiten können. Foto: Walter Turnowsky

Tesfaye hat es sich zum Ziel gemacht, dass in den Schulen wieder weniger Schirm und dafür mehr Papier verwendet wird. Über seinen jüngsten Vorstoß in diese Richtung hat „Ritzau“ berichtet: Er möchte an den Gymnasien wieder schriftliche Prüfungen mit Papier und Bleistift einführen. 

„Unbeschwerte Handschrift“

Das würde, so der Minister, Examensschwindel verhindern. Hier möchte ich jedoch einwenden, dass, wie das Beispiel oben zeigt, Schwindel auch analog daherkommen kann. Wir nannten das seinerzeit Spickzettel. Eingestanden, sie waren, ähnlich wie der Brief von Herrn Casal, weniger kraftvolle Werkzeuge als die digitalen. Künstliche Intelligenz eröffnet beim Schreiben von Aufgaben ganz neue Möglichkeiten. 

Der Vorsitzende des Verbandes der Gymnasiallehrer, Tomas Kepler heißt der übrigens, unterstützt grundsätzlich das Anliegen von Tesfaye. Er merkt jedoch an, dass dann auch der Unterricht bereits mehr mit Bleistift geschrieben werden müsse, weil „den Schülerinnen und Schülern die unbeschwerte Handschrift fehlt, die frühere Generationen besaßen“.

Ich frage mich jedoch, wie häufig die Schülerinnen und Schüler nach dem Abitur jemals die Eigenschaft brauchen werden, einen Text per Hand zu schreiben. Ob das Arbeiten ohne digitale Unterstützung jemals wieder ein Teil ihres Alltags sein wird. 

Über den Konjunktiv

Vielleicht könnten sie ja die Unterrichtszeit auch dafür verwenden, den sinnvollen und verantwortungsbewussten Umgang mit dem Internet, sozialen Medien und künstlicher Intelligenz zu erlernen. Nach meiner Beobachtung geht dieser den bereits erwähnten früheren Generationen ein wenig ab. Aber das ist nur so ein Gedanke von mir, und ich bin ja schließlich nur Journalist und nicht Unterrichtsminister. 

Vielleicht kommt meine Skepsis auch nur daher, dass es bei mir (Jahrgang 1964) mit der „unbeschwerten Handschrift“ nicht so weit her ist. In den Zeugnissen aus der Unterstufe hat mein Lehrer zu besagter Handschrift angemerkt: „Walters Ordnung könnte besser werden“. Die Feststellung ist nie über den Konjunktiv hinausgekommen. 

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