Deutsche Minderheit

Thema Deutsche in Nordschleswig im internationalen Kontext

Thema Deutsche in Nordschleswig im internationalen Kontext

Thema Deutsche in Nordschleswig im internationalen Kontext

Apenrade/Aabenraa
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Im Juni hat Peter Thaler das von ihm herausgegebene Buch „Like Snow in the Sun?“ im Reichsarchiv in Apenrade vorgestellt (Archivbild). Foto: Volker Heesch

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Mit dem englischen Werk „Like Snow in the Sun?“ vermitteln neun Autorinnen und Autoren Interessierten außerhalb des deutsch- und dänischsprachigen Raums Geschichte und Gegenwart der Minderheit in Dänemark. Auf 230 Seiten wird wissenschaftlich Fragen wie nationale Identitätsbildung, Kollaboration und Ausgrenzung der Volksgruppe nachgegangen.

Im Juni stieß die Präsentation des englischsprachigen Werkes „Like Snow in The Sun?“, herausgegeben vom Historiker Peter Thaler, über die Geschichte und Gegenwart der deutschen Minderheit in Nordschleswig während einer Veranstaltung im Reichsarchiv (Rigsarkivet) in Apenrade auf großes Interesse.

Aktueller Forschungsstand international präsentiert

Das 230 Seiten starke Buch zielt darauf ab, den aktuellen Forschungsstand in Sachen deutsche Minderheit in Dänemark der internationalen Wissenschaft, der Politik und den Organisationen leichter zugänglich zu machen. An dem auch als E-Book im renommierten Wissenschaftsverlag De Gruyter Oldenbourg erschienenen Werk haben Autorinnen und Autoren aus der Historikerszene im deutsch-dänischen Grenzland ebenso wie auswärtige Forschende mitgewirkt. Das Buch ist illustriert mit Fotos und Karten, auch enthält es ein Verzeichnis deutscher und dänischer Ortsnamen, auf die man bei der Lektüre stößt.

Das Buch ist mit zahlreichen Abbildungen illustriert, beispielsweise mit einer Postkartendarstellung des 1945 gesprengten Knivsbergturms, der bis 1919 mit einer Bismarck-Statue versehen war. Foto: De Gruyter Oldenbourg

 

Alle Beiträge sind mit wertvollen Fußnoten und einem umfangreichen Literaturverzeichnis versehen.

Falsche Prognose als Titel

Der Buchtitel „Like Snow in the Sun?“ knüpft an die Prognose des dänischen Schleswig-Sachverständigen H. V. Clausen an, der bereits 1918 angesichts einer am Ende des Ersten Weltkriegs absehbaren Neuziehung der deutsch-dänischen Grenze einer künftigen deutschen Minderheit im bald dänischen Teil Schleswigs ein baldiges Ende voraussagte. Das Deutschtum dieser  Bevölkerungsgruppe würde „wie der Tau in der Sonne“  („som dug for solen“) rasch verschwinden.

 

Die Karte von Karl Alnor zeigt blau eingezeichnet dänische Mehrheiten bei den Abstimmungen 1920 in einzelnen Kommunen, rot deutsche Mehrheiten. Foto: Volker Heesch

 

Mit einem Fragezeichen versehen, leitet der Titel aber schon auf Erkenntnisse des Buches hin, dass es bis heute eine viele Tausend Menschen umfassende deutsche Minderheit im seit 1920 nach den Volksabstimmungen zu Dänemark gehörenden nördlichen Teil des einstigen Herzogtums Schleswig gibt – ungeachtet eines Fortzugs mehrerer Tausend Angehöriger des deutschen Bevölkerungsteils Nordschleswigs nach 1920 und einer weiteren Existenzkrise nach der Kollaboration der deutschen Nordschleswiger mit der deutschen Besatzungsmacht in Dänemark von 1940 bis 1945 mit anschließenden juristischen und sozialen Konsequenzen.

Lange Geschichte des Deutschen in Nordschleswig

Peter Thaler lenkt bereits in seinem einleitenden Kapitel auf die weit in die Vergangenheit reichende Entstehung der Vielfalt im Bereich des Herzogtums Schleswig hin. Es werden die Besonderheiten des territorialen „Flickenteppichs“ mit der Existenz des zeitweise souveränen Staates Schleswig-Holstein-Gottorf ebenso wie die Weichenstellungen hin zu einer „nationalen Selbst-Identifikation“ der von Mehrsprachigkeit geprägten Bewohnerschaft im 19. Jahrhundert vorgestellt.

Keine Überlappung Sprache/Identität

In den Kapiteln des Buches taucht immer wieder die Erkenntnis auf, dass es in der Region Schleswig keine Überlappung der sprachlichen und nationalen Identität gegeben hat – und auch in der Gegenwart nicht vorhanden ist. Darüber gibt der Beitrag von Ruairidh Tarvet zur „Linguistischen Identität“ der deutschen Minderheit Auskunft.

Historiker Hans Schultz Hansen ist Forschungsleiter im Landesarchiv (Rigsarkivet) in Apenrade. Foto: Karin Riggelsen

 

Im Beitrag von Hans Schultz Hansen wird eingehend auch die soziale Komponente bei der Herausbildung der nationalen Lager in Schleswig dargestellt. Es wird der Blick auf die lange Tradition deutscher „Eliten“ und deutscher Sprache im Betrieb des dänischen Gesamtstaates ebenso gelenkt wie auf wirtschaftliche Interessen, die das nationale Zugehörigkeitsgefühl der Menschen beeinflussten.

Neue Identität nach 1864

Schultz Hansen geht auf die Identifikation der deutschen Nordschleswiger mit der schleswig-holsteinischen Unabhängigkeitsbewegung im 19. Jahrhundert ein. Er beschreibt daneben eine neue deutsche Identität in Nordschleswig im überwiegend dänisch gesinnten Gebiet nach dem Zweiten Schleswigschen Krieg 1864 im Fahrwasser der preußischen Dominanz im Kaiserreich. Trotz Aufbaus deutscher Institutionen und Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber dem dänischen Bevölkerungsanteil änderte das nichts am Festhalten der Mehrheit der Einwohnerschaft an einer dänischen Identität im 1920 nach der Volksabstimmung an Dänemark abgetretenen Nordschleswig bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

US-Historiker erforscht transnationale Tradition

Die Darstellungen Schultz Hansens über die Vorgeschichte der neuen Grenzziehung 1920 verdienen ebenso eine Übersetzung ins Deutsche oder Dänische wie die übrigen Kapitel im Buch, wie beispielsweise der Beitrag des US-amerikanischen Historikers Ryan J. Gesme, der unter anderem die Problematik der vom US-Präsidenten Woodrow Wilson 1918 präsentierten „Lösung“ der nationalen Konflikte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs anspricht.

 

Ryan Gesme hat mit Unterstützung von Archivleiterin Nina Jebsen 2021 im Deutschen Archiv Nordschleswig in Sonderburg gearbeitet. Foto: Volker Heesch

 

Gesme nennt die heutige deutsch-dänische Grenzregion als Beispiel vieler Regionen „transnationaler Traditionen“ und nationaler Indifferenz in Europa, denen das Selbstbestimmungsrecht der Völker in Wilsons Manier mit Bildung neuer Staaten und Grenzziehungen nicht gerecht werden konnte.

Zeitraum 1920 bis 1939 ein Kapitel

Sehr lesenswert ist Henrik Becker Christensens Kapitel über die Phase der deutschen Minderheit in Nordschleswig seit der Grenzziehung 1920 bis 1939. Sehr differenziert zeigt der Autor auf, wie sich eine relativ konservative Minderheitenausrichtung schon kurz nach 1920 herausbildete, die nach 1933 eine der Voraussetzungen für eine „Nazifizierung“ großer Teile der Minderheit bildete.

Minderheit in der Zwickmühle

Anika Seemanns Kapitel über die deutsche Minderheit während des Zweiten Weltkriegs und die juristischen Folgen der Kollaboration mit der Besatzungsmacht ab 1940 verdeutlicht die Zwickmühle, in der die NS-Minderheitenspitze steckte, die den deutschen Nordschleswigern „verkaufen“ musste, dass die erhoffte Grenzrevision nicht zustande kam, aber zugleich Freiwillige für die Kriegsmaschinerie des Hitler-Regimes geliefert werden sollten. Die Autorin beschreibt auch die späte selbstkritische Auseinandersetzung der Minderheit mit ihrer braunen Vergangenheit.

Früherer Archivleiter Frank Lubowitz Mitautor

Der langjährige Leiter des Archivs und der historischen Forschungsstelle der deutschen Minderheit, Frank Lubowitz, liefert den Beitrag über den Neustart der deutschen Minderheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei würdigt er die große Bedeutung des NS-kritischen Haderslebener Kreises beim Neuaufbau der Minderheit im deutschfeindlichen Umfeld in Nordschleswig nach der Befreiung Dänemarks.

 

 

Frank Lubowitz hat mehrere Jahrzehnte das Archiv der deutschen Volksgruppe in Nordschleswig geleitet. Foto: Karin Riggelsen

Lubowitz geht auch auf die Bedeutung des neuen demokratischen Schleswig-Holsteins für die Neuausrichtung der Minderheit ein. Sehr gut stellt der Autor das Engagement der deutschen Nordschleswiger für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit dar, das in der dänischen Mehrheitsbevölkerung für Goodwill sorgte.

Blick ins Schulleben der Minderheit

Michael Byram gibt in seinem Beitrag einen interessanten Einblick in das Innenleben der deutschen Schulen der vergangenen Jahrzehnte mit ihrer Kompetenz, Zweisprachigkeit zu vermitteln. Im Beitrag von Jørgen Kühl wird sehr gut der erstaunliche Wandel der deutschen Minderheit und ihres Verhältnisses zur dänischen Umwelt beschrieben. Es geht um zunehmende Akzeptanz der modernen Minderheit durch dänische Kreise, aber auch um Trends wie Erfolge der Schleswigschen Partei bei Kommunalwahlen und steigenden Schülerzahlen.

Die Titelseite des neuen Buches „Like Snow in the Sun?“ Foto: De Gruyter Oldenbourg

 

Dabei wird aber nicht darüber hinweggesehen, dass Minderheitenschulen geschlossen worden sind und das Medium der deutschen Nordschleswiger, „Der Nordschleswiger“, als Papierausgabe eine schrumpfende Auflage erlebte. Thema ist die Zusammenarbeit der deutschen Minderheit in Nordschleswig mit der dänischen Minderheit in Südschleswig ebenso wie gemeinsames Engagement für internationalen Minderheitenschutz oder Förderung von Minderheitensprachen.

Kühl stellt Trends wie die Nutzung von Institutionen der Minderheit durch Zuzügler in eine Region mit teilweise dramatischem Einwohnerrückgang ebenso vor wie die Nutzung von Schulen der Minderheit durch Menschen, die sich nicht mit der Minderheit selbst identifizieren.  

Fortbestand einer veränderten Minderheit

In seinem Schlusskapitel kommt Peter Thaler zur Aussage, dass sich im Bereich der deutschen Minderheit, die einen erstaunlichen Beharrungswillen in ihrer Geschichte unter Beweis gestellt hat, ein erstaunlicher Wandel vollzogen habe, der den Fortbestand der Minderheit als „beschwingter“ Bestandteil der dänischen Gesellschaft befördert habe.

Auch 100 Jahre nach Grenzziehung neue Erkenntnisse

Das Buch liefert eine fundierte Darstellung zum Thema deutsche Minderheit. Sie zeigt, dass die Wissenschaft auch 100 Jahre nach den Volksabstimmungen und der Grenzziehung 1920 noch neue Erkenntnisse aus der Beschäftigung mit der Vergangenheit und Gegenwart der Grenzregion zieht.

Während das Grenzjubiläum in Dänemark mit nationalromantischen Untertönen gefeiert wird, konzentriert sich der bundesdeutsche Blick auf die Grenzregion weniger auf ein Gebiet auch einer traditionellen deutschen Bevölkerungsgruppe, sondern eher auf ein oft verklärtes Urlaubs-Nachbarland.  

Peter Thaler (Hg.): Like Sow in the Sun? The German Minority in Denmark in Historical Perspective.

De Gruiter Oldenbourg, Berlin 2022, Preis: 102,95 Euro. 

 

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Kommentar

Jakob Münz
Jakob Münz Praktikant
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Leitartikel

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Marle Liebelt Hauptredaktion
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