Neuer Blick in die Vergangenheit
„Aktuelles“ Nordschleswig-Geschichtsbuch im Jubiläumsjahr
„Aktuelles“ Nordschleswig-Geschichtsbuch im Jubiläumsjahr
„Aktuelles“ Nordschleswig-Geschichtsbuch im Jubiläumsjahr
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100 Jahre nach der Vereinsgründung feiert „Historisk Samfund for Sønderjylland“ sein 100-jähriges Bestehen mit dem Werk „Sønderjylland – en særlig historie“ von Carsten Porskrog Rasmussen und Hans Schultz Hansen. Das 208-seitige Buch umreißt die Historie des Landesteils von der Steinzeit, Teilung Schleswigs bis zur Grenzregion mit Wildschweinzaun.
Der 1922 gegründete Geschichtsverein „Historisk Samfund for Sønderjylland“ feiert sein 100-jähriges Bestehen in diesem Jahr nicht nur mit einer Festveranstaltung am 12. November im Folkehjem in Apenrade.
Jubiläumsgeschenk für die Mitglieder
Als Jubiläumsgeschenk für alle Mitglieder, die dem Verein in diesem Jahr angehören, erscheint unter dem Titel „Sønderjylland – en særlig historie“ ein aktuelles Nordschleswig-Geschichtsbuch, das auf 208 Seiten die Historie des Landesteils berücksichtigt – seit dem Treiben der steinzeitlichen Jäger, Fürstenherrschaft über nationale Auseinandersetzungen, die Volksabstimmungen 1920 mit der Teilung Schleswigs bis zur Regionzusammenarbeit und der Wiedereinführung dänischer Grenzkontrollen und dem Bau des Wildschweinzauns. Das kurze neue Geschichtsbuch stützt sich teilweise auf Material des 2008 und 2009 erschienenen umfangreichen Werkes „Sønderjyllands Historie“.
Das später durch ein Nachschlagwerk „Sønderjylland A-Å“ ergänzte Werk von über 1.000 Seiten ist inzwischen vergriffen. Die Autoren des neuen gestrafften Werks, der Leiter des Museums Sønderjylland Schloss Sonderburg, Carsten Porskrog Rasmussen, und der Forschungsleiter am Staatsarchiv Apenrade, Hans Schultz Hansen, haben das Geschichtswerk nicht nur um die jüngste Epoche des Landesteils ergänzt.
Modernes Geschichtsbild
Auch spiegelt der Inhalt, beispielsweise das Kapitel über die nationalen Bewegungen und die Schleswigschen Kriege zwischen 1800 und 1867, den neuesten Stand der Geschichtsforschung zu Entwicklung des lange von sprachlicher Vielfalt geprägten Herzogtums Schleswig wider. Auch die Sozialgeschichte wird berücksichtigt. So heißt es zur deutschen nationalen Einheits- und Freiheitsbewegung, die als Reaktion auf die Herrschaft Napoleons in den deutsch geprägten Gebieten entstanden war, dass dahinter vor allem das Bestreben steckte, die Herrschaft nicht länger absolutistisch regierenden Fürsten zu überlassen, die vielfach durch zufällige Erbfolge auf ihrem Thron saßen. Bestimmten Vorstellungen deutscher Philosophen von gemeinsamer Sprache, Kultur und Geschichte prägten das bis nach Schleswig und Holstein vordringende deutsche Nationalbewusstsein.
Die parallel aufkommende dänische Bewegung bestimmten der Anspruch auf eine historische Verbindung Schleswigs mit Dänemark und die einst bis zur Eider reichende dänische Sprache. So wird berichtet, dass 1832 der dänisch gesinnte Professor Christian Paulsen in deutscher Sprache das Unrecht kritisierte, dass im Herzogtum Schleswig die deutsche Sprache die Verwaltung, das Rechtswesen, Kirche und Schule auch dort beherrschte, wo die Bewohner sich der dänischen Volkssprache bedienten. Der Vordenker der schleswig-holsteinischen Unabhängigkeitsbewegung, Uwe Jens Lornsen, wird als Mann mit Karriere im königlich-dänischen Staatsapparat vorgestellt, der sich aber für demokratische Rechte einer schleswig-holsteinischen Landesversammlung einsetzte.
Thema Krieg 1864
Zur Vorgeschichte des Zweiten Schleswigschen Krieges 1864 heißt es, dass die dänische Regierung unter dem Druck der öffentlichen Meinung bewusst die Auflagen der Großmächte nach dem Ende des Ersten Schleswigschen Krieges 1851 missachtete, die ein Dänemark bis zur Eider untersagten. So ist nachzulesen, dass die Regierung in Kopenhagen mit der Inkraftsetzung der Novemberverfassung 1863 dem preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck die Vorlage zuspielte, nach dem Krieg 1864 ganz Schleswig-Holstein ins Königreich Preußen einzuverleiben – mit den für die dänischen Schleswigern bitteren Jahren bis 1920 unter preußisch-deutscher Herrschaft.
Besondere Geschichte dargestellt
Es gelingt den Autoren, die besondere Geschichte „Sønderjyllands“ durch die Jahrhunderte zu beleuchten. Dabei wird die repressive Herrschaft während der Kaiserzeit von 1871 bis 1918, Preußen wird als halbdemokratischer Staat bezeichnet, ebenso dargestellt wie die Stärkung der dänischen Bewegung bis zum Ersten Weltkrieg trotz der „Verdeutschungsbemühungen“. Die Modernisierung der Gesellschaft wird ebenso beleuchtet wie die zunehmende Dominanz eines Kaiserkultes unter den deutschen Nordschleswigern, die auch nach 1864 zeitweise noch Anhänger eines unabhängigen Schleswig-Holsteins gewesen waren.
Abstimmungszeit verständlich erklärt
Sehr gut dargestellt werden in dem Buch die Zeit des Ersten Weltkriegs, die neue Chance für die dänischen Schleswiger mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs nach der deutschen Niederlage 1918 und der Ablauf der Volksabstimmungen 1920 nach Vorgaben des Versailler Friedensvertrag und einem dänischen Agieren im Sinne des weitsichtigen Politikers H. P. Hanssen. Dessen Grenzpolitik sicherte den Bestand der Trennungslinie in einer Region mit nationalen Minderheiten auch in nachfolgenden Krisenzeiten. So wie in den Kapiteln über die Geschichte Schleswigs im Mittelalter, die Zeit unter anderem des Gottorfer Staates oder des dänischen Gesamtstaates, der gesamte Raum zwischen Königsau und Eider berücksichtigt wird, umfasst das gut lesbare und reich illustrierte Werk auch in den Zeiträumen nach 1920 bis in die Gegenwart den gesamten historischen Bereich Schleswigs.
Naziherrschaft im Grenzland
So wird neben der Nazifizierung der deutschen Minderheit, die sich seit 1920 nicht mit der neuen Grenze abgefunden hatte, auch die Nazi-Herrschaft südlich der Grenze behandelt, die vor 1933 mit Versprechungen hinsichtlich einer Grenzrevision dort auf Stimmenfang gegangen war. Lesenswert sind die Kapitel über die Besatzungszeit, Kollaboration der deutschen Nordschleswiger und die Befreiung Nordschleswigs von deutschem Terror.
Die Reaktionen nach 1945 gegenüber den deutschen Nordschleswigern sind ebenso Thema wie die Expansion der dänischen Minderheit in Südschleswig nach dem Ende der Nazizeit. Ausführlich werden die zunächst sehr langsame Verbesserung des deutsch-dänischen Verhältnisses, die Entwicklung der Minderheiten zu beiden Seiten der Grenze und die Partnerschaft in einer gemeinsamen Grenzregion erläutert, in der sich im Rahmen einer inoffiziellen Gegenseitigkeit bei Minderheitenrechten und Förderung über die Grenze hinweg eine Modellregion mit europaweiter Wirkung entwickelt hat. Es wird die Entwicklung von der Grenze als Barriere zur Brücke hin zu deutsch-dänischer Harmonie beschrieben.
Thema Minderheiten im Grenzland
Auch wird erwähnt, dass die Schleswigsche Partei als Vertretung der deutschen Minderheit seit 2017 mit dem Begriff „Sønderjylland“ werben konnte, während zuvor nur „ Nordschleswig“ gefragt war. Ernste Details wie die Umbenennung des „Ehrenhains“ auf dem Knivsberg in eine „Gedenkstätte“ für die deutsch-nordschleswigschen Kriegsfreiwilligen im Zweiten Weltkrieg, meist in Waffen-SS-Uniformen, oder Zwist um zweisprachige Ortstafeln, aber auch der weniger belastete Moin-Gruß als Kennzeichen gemeinsamer Identität werden nicht ausgespart.
Auf dem Umschlag des neuen Buches ist ein Foto vom Besuch Königin Margrethes in Apenrade anlässlich des Grenzjubiläums zu sehen. Auf der Rückseite sind die Goldenen Hörner von Gallehuus (Gallehus) abgebildet, deren Fund und zeitliche Einordnung im Frühgeschichtsteil des Buches behandelt wird.
Das Buch ist für 198 Kronen im Buchhandel erhältlich. Der dänischen Sprache nicht kundige Leserinnen und Leser würden sich bestimmt über eine Ausgabe des Buches in deutscher Sprache freuen.