Diese Woche in Kopenhagen

„Als legaler Alien in Apenrade“

Als legaler Alien in Apenrade

Als legaler Alien in Apenrade

Kopenhagen
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Ein Besuch in Nordschleswig hat Walter Turnowsky an einen Song von Sting erinnert. Und daran, wie das einstige Zuhause zur Fremde werden kann.

Ich hatte diese Woche wieder einmal einen Anlass, Apenrade (oder vielleicht eher Aabenraa?) zu besuchen. Als ich am frühen Abend durch die leere Gehstraße ging (ja, in Apenrade heißt das Gehstraße und nicht Fußgängerzone), kam mir ein Lied in den Sinn.

Man muss vermutlich meiner Generation angehören, um sich an Stings „Englishman in New York“ zu erinnern. Was mir wohl vor allem in den Sinn kam, war das dazugehörige Musikvideo, in dem Sting mit dem Regenschirm durch die Straßen New Yorks wandert und so leicht als der Engländer unter den New Yorkerinnen und New Yorkern auszumachen war.

Und ein wenig so fühlte ich mich auch. Ich hatte zwar keinen Regenschirm dabei, aber so einer ist ja auch nicht gerade das Erkennungsmerkmal des Kopenhageners an sich. Jedoch hatte ich das Gefühl ein wenig der Fremde zu sein, oder in Stings Worten „I am a legal Alien“. 

Die Sache mit dem Dialekt

Und das, obwohl ich weitgehend in Apenrade aufgewachsen bin – und Sønderjysk für mich immer noch heimelig klingt. Doch beim Dialekt fängt der Ärger schon an. Wenn ich mich anstrenge, kann ich ihn immer noch sprechen. Aber für mich selbst klingt es immer so (und für andere vermutlich auch), als würde ich die Tonart nicht so richtig treffen. 

Auch in anderen Punkten würde ich als arroganter Großstädter auf (Re)Integrationsproblem stoßen, sollte ich wieder nach Nordschleswig zurückziehen. Zum Beispiel bei den Ladenschlusszeiten: Immer wieder muss ich hetzen, um es noch eben vor 21 Uhr in den Supermarkt zu schaffen (Ich weiß: Der Netto am Lügumklosterweg hat bis 22 Uhr auf).

In Kopenhagen finde ich auch bis 24 Uhr noch einen Supermarkt, einen Kiosk sowieso immer. Der Gemüsehändler bei mir an der Ecke hat in den mehr als 15 Jahren, die wir dort wohnen, überhaupt noch nie zu gehabt (zumindest so weit ich beobachten konnte).

Die Sache mit dem Dorsch

Deshalb hat es mich auch wieder mal kalt erwischt, als ich am Mittwoch frisch-fröhlich um 20.32 bei „Under Sejlet“ reinspazierte, um noch den Dorsch, den ich auf der Speisekarte erspäht hatte, zu genießen. Nur hatte ich auf deren Homepage nicht genau genug gespäht: Montag bis Donnerstag machen die um 21 Uhr dicht – die Küche schließt um 20.30 Uhr. Freundlicherweise haben sie mir noch einen Salat gezaubert. 

Der Grund für das späte Abendbrot war, dass ich nach dem Dienst in Apenrade noch meine Mutter im Pflegeheim in Ries (Rise) besucht hatte. Da ich schlauerweise den Schlüssel für mein klappriges Zweitrad in Kopenhagen gelassen hatte, war ich auf den Bus angewiesen.

Die Sache mit den Straßenarbeiten

Also hieß es in den Fahrplan zu schauen, was für den Metro-verwöhnten Großstädter schon fast wieder eine Zumutung ist. Es fand sich ein Bus, der beim Pflegeheim vorbeifährt. Allerdings hatte ich die Rechnung ohne den Wirt, beziehungsweise die Kommune, gemacht. Die war nämlich am Hærvej in Rothenkrug (Rødekro) wieder am Buddeln.

Der war zwar vor einigen Monaten schon aufgegraben worden, aber bei der Überführung des stillgelegten Gleises nach Apenrade war wohl wieder etwas angefallen. Das löste dann allerdings schon wieder fast ein ganz wohliges Gefühl aus. Auch die technische Verwaltung der Kommune Kopenhagen hat – so zumindest mein Endruck – den unbändigen Drang ein neues Loch zu schaufeln, sobald sie eines zugedeckt hat. 

Mit dem wohligen Gefühl spazierte ich also den Hærvej entlang und dann wieder zurück, um den – im Fahrplan ausgesuchten – Bus Richtung Apenrade zu schnappen. Die Expedition wurde jedoch so lang, dass aus dem erhofften Dorsch ein Salat wurde. 

Die Sache mit dem Bär

Nach einem weiteren Besuch in Ries spazierte ich dann am darauffolgenden Abend versonnen erneut den Hærvej entlang Richtung Bahnhof. Die Gedanken wurden kaum von Autos und gar nicht von Gehenden gestört. Sollte irgendwo in Rothenkrug Donnerstag gegen 19 Uhr noch der Bär tanzen, dann zumindest nicht auf dem Hærvej.  

Der, beziehungsweise ein relevanter Anteil der Hauptstadtjugend, tanzte dafür umso heftiger, als ich mich gut drei Stunden später meiner Wohnung auf Nørrebro näherte. Das jährliche Distortion-Festival hatte nämlich auf dem Platz gleich nebenan drei Bühnen für ihre DJs aufgestellt.

Selbst in Kopenhagen dürfen die allerdings – im Gegensatz zum Gemüsehändler – nicht die ganz Nacht durchmachen – um 23 Uhr war Schluss. Was natürlich nicht heißen will, dass die festgelaunte Jugend sofort die Heia ansteuerte. Und irgendwer hatte wohl auch noch eine Soundbox in der Hosentasche. 

Und mit dem Lärm von der Straße her war ich eben wieder zu Hause angekommen. Ähnlich wird es mit umgekehrten Vorzeichen vermutlich anderen ergehen, die nach dem Trubel in der Hauptstadt die Stille daheim in Nordschleswig genießen.  

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