Leitartikel
„Die Nato und die Minderheit“
Die Nato und die Minderheit
Die Nato und die Minderheit
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Seit 1949 sitzen Deutsche und Dänen in Nordschleswig in einem Boot, seit der dänischen Nato-Mitgliedschaft, die auch für die deutsche Minderheit 1955 schicksalhafte Bedeutung hatte. Ex-Chefredakteur Siegfried Matlok analysiert die Rolle der 75-jährigen Nato – auch mit der parallelen Kriegsgefahr!
In diesen Tagen feiert die Nato in Washington ihr 75-jähriges Bestehen. Wer auf die Geschichte der deutschen Minderheit in Nordschleswig nach 1945 zurückblickt, wird zunächst nicht an einen militärischen Hintergrund denken, sondern Europa als Schlüssel für den erfolgreichen Weg definieren, aber das ist historisch falsch! Die Nato kam für Dänemark bereits 1949, die EWG 1957, und der dänische EU-Beitritt erfolgte sogar erst am 1. Januar 1973. Als die drei Punkte als Voraussetzung für die dänische Mitgliedschaft 1948 bekannt wurden, da schrieb „Der Nordschleswiger“ mitten im Kalten Krieg im Grenzland: „Nun sitzen Dänen und Deutsche in einem Boot.“
Zurückhaltung
Die deutsche Minderheit gab die Parole „Zurückhaltung und Einordnung unter Wahrung des Eigenen“ heraus und hielt sich nur wenige Jahre nach Beendigung der Besetzung Dänemarks in dieser sicherheitspolitischen Frage strikt zurück. Während die Zeitung darauf verwies, „dass jeder nur die Rolle zu spielen hat, die das Gesetz in dem Lande, in dem wir leben, auferlegt“, diskutierten die dänische Politik und Bevölkerung heftig über Pro und Kontra Nato.
Es ging um eine Zeitenwende: Als Dänemark unter den 14 Gründungsländern in Washington den Nato-Vertrag unterschrieb, handelte es sich um ein epochales Ereignis, denn damit verabschiedete sich die dänische Politik offiziell von der Doktrin der Neutralität, die seit 1864 – zwischen 1940 und 1945 besonders verhängnisvoll – die dänische Außenpolitik bestimmt hatte.
Zustimmung
Die parlamentarische Zustimmung fand ohne jede Begeisterung im Volk statt. Der damalige Chefredakteur Ernst Siegfried Hansen („Ensi“) beschrieb die Situation wie folgt: „Entscheidend war die Angst vor der Waffenlosigkeit und Freundesarmut der Neutralität. Man wollte nicht eine Traube sein, die so niedrig hängt, dass jeder, der des Weges kommt, sie pflücken kann. Oder gar eine reife Apfelsine, die ihm in den Turban fällt.“
Und „Ensi“ machte zu Recht darauf aufmerksam, dass Dänemark wegen seiner geografischen Lage und Beschaffenheit außerstande sei, sich gegen eine ungehindert anstürmende Großmacht zu behaupten. „Das muss jedes Kind ebenso wissen, wie dass 2 mal 2 nun 4 ist.“ Die mit der Nato-Mitgliedschaft geplante Aufrüstung des dänischen Heeres (bis zu 100.000 Mann!) sei aber – so der Chefredakteur – nur dann sinnvoll, wenn sie im Zusammenhang mit einer starken deutschen Wehrmacht (!) erfolgen würde. Für militärische Sachverständige war klar, dass Deutschland für die Sowjetunion Aufmarschgebiet für die westliche Welt und eine tote Zone bleiben würde, und sie folgerten daraus, dass dann der Verlust des dänischen Territoriums als unvermeidbar gelte.
Für viele war der Nato-Beitritt 1949 – nachdem die Pläne der dänischen Regierung Hedtoft gescheitert waren, eine nordische Verteidigungsgemeinschaft zu gründen – aber auch als „Bollwerk“ gegen ein eventuelles Wiedererwachen eines revanchistischen deutschen Militarismus gedacht. „Krigsgalskab“, die Kriegstollwut der Deutschen war das Schlagwort zur Diffamierung neuen deutschen Soldatentums – just vier Jahre nach Beendigung des von Deutschland verschuldeten Zweiten Weltkrieges auch tragisch, mit vielen dänischen Opfern. Übrigens, auch zu einer Zeit, da Dänemark selbst in (Nord-)Deutschland eine Brigade als Besatzungstruppen unterhielt.
Minderheitenfrage
Der Kalte Krieg zwischen den Weltmächten, die Teilung Deutschlands in Ost und West und die unmittelbare Bedrohung durch die Sowjetunion ließen frühzeitig sowohl in Washington als auch in Kopenhagen die Erkenntnis reifen, die 1949 demokratisch gegründete Bundesrepublik auch sicherheitspolitisch in die eigenen Verteidigungsreihen einzugliedern. Ohne eine starke deutsche Armee würde Dänemark (Jütland) buchstäblich überrannt werden, und hier kam nun die Minderheitenfrage ins Bild, eine deutsch-dänische Streitfrage seit 1864, die den Weg für eine gemeinsame Verteidigungsallianz zwischen den Nachbarn versperrte.
Auf einer Sitzung der Nato-Außenminister 1954 in Paris, an der als Beobachter Bundeskanzler Konrad Adenauer (damals auch Außenminister) teilnahm, wurde die deutsch-dänische Minderheitenfrage vom norwegischen Außenminister Halvard Lange als Hindernis offiziell zur Sprache gebracht, natürlich in enger vorheriger Abstimmung mit dem ebenfalls anwesenden dänischen Außenminister H. C. Hansen. Adenauer wusste, dass er diese deutsch-dänische Barriere bestens entfernen musste, um das eigentliche Ziel, die Nato-Mitgliedschaft und damit die westliche Anerkennung der Bundesrepublik, nicht zu gefährden.
Am Rande der Nato-Konferenz trafen sich Adenauer und H. C. Hansen zu einem Vieraugengespräch, bei dem Adenauer Hansen auch persönlich überzeugte, nachdem er deutlich signalisiert hatte, sich beim schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Kai-Uwe von Hassel – wie Adenauer von der CDU – für eine befriedigende Lösung der Probleme der dänischen Minderheit in Südschleswig einzusetzen. Die Bonn-Kopenhagener Minderheitenerklärungen fielen 1955 also nicht vom Himmel, sondern wurden zum Spielball auch höchster militärischer Interessen, eher mehr multilateral als bilateral.
Lösung
Damit wurde der Weg für eine Minderheiten-Lösung entscheidend geöffnet, aber der Weg blieb dennoch zunächst steinig. Das dänische Folketing beschloss ein Junktim, einer bundesdeutschen Nato-Mitgliedschaft nur zuzustimmen, wenn eine befriedigende Lösung für die dänische Minderheit gefunden werde, mit anderen Worten, die eine Lösung setzte gleichzeitig die Lösung der anderen voraus. Die Kopenhagener Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern aus Bonn, Kopenhagen und Kiel – von den beiden Minderheiten damals aus unterschiedlichen Gründen gar nicht erwünscht und kritisch beäugt – führten schließlich zu den sogenannten Bonn-Kopenhagener Erklärungen, die heute auch von den beiden Minderheiten als ihr Grundgesetz, als Magna Charta, gefeiert werden. Was zunächst nur als eine Lösung für die dänische Minderheit gedacht war, wurde am Ende mit einer Art Gegenseitigkeit besiegelt, da nicht zuletzt dank von Hassel auch die Rechte der deutschen Minderheit garantiert wurden.
Als sich der Ratifizierungsprozess im Folketing jedoch verzögerte, wurden die Botschafter mehrerer Nato-Länder im dänischen Außenministerium vorstellig, um auf Tempo zu drängen. Insbesondere übte die US-Regierung in Kopenhagen Druck auf eine schnelle Verabschiedung durch das Folketing aus, wobei es den Amerikanern in erster Linie um die Aufnahme der Bundesrepublik in die Nato ging, gleichzeitig spielte aber schon damals der US-Stützpunkt Thule auf Grönland eine wichtige Rolle bei den diplomatischen Vorstößen. In Erkenntnis der arktisch-strategischen Bedeutung, die nach 75 Jahren für die USA, Dänemark und die Nato noch immer eine zentrale sicherheitspolitische Position einnimmt.
Mit der Nato-Mitgliedschaft und den Bonn-Kopenhagener Erklärungen vom 29. März 1955 – vom Folketing beide am selben Tage mehrheitlich verabschiedet – wurde auch im Grenzland ein neues Kapitel aufgeschlagen, aber der große Frieden war nicht ausgebrochen.
Krieg und Frieden
Im Gegenteil: Über den Deutschen Tag 1956 in Hoyer schrieb „Der Nordschleswiger“: „Eine erregende Woche geht zu Ende. Es ging um Krieg oder Frieden. Die Gefahr eines dritten Weltkrieges war vorhanden.“ Und unsere Zeitung fügte hinzu: „Angesichts der großen Krisen, in denen sich die Welt heute befindet, mögen unsere heimatlichen Probleme, die hier angesprochen worden sind, klein erscheinen.“
Die per Nato-Mitgliedschaft indirekt erzwungenen Bonn-Kopenhagener Erklärungen haben ihre historische Wirkung erzielt, wurden vor allem durch die gemeinsame EWG/EU Mitgliedschaft seit der Volksabstimmung am 2. Oktober 1972 in entscheidende Bahnen gelenkt, die dem Grenzland „ewigen“ Frieden bringen soll. Doch sicherer ist die Welt 75 Jahre nach der Nato Gründung leider nicht.
Staatsministerin Mette Frederiksen hat in ihrer Washingtoner Rede auf die Gefahren durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hingewiesen, ja sogar die Gefahr eines 3. Weltkrieges beschworen. Heute stehen im benachbarten Skrydstrup F-35 Bomber einsatzbereit, der Hafen Esbjerg ist offizieller Nato-Hafen, und die dänische Regierung hat jetzt sogar einer Stationierung von US-Bodentruppen auf (süd-)dänischem Territorium zugestimmt. Außerdem sind die Bürgerinnen und Bürger kürzlich von staatlicher Behörde dazu aufgefordert worden, sich eine Notfallversorgung für drei Tage zum Überleben anzuschaffen.
1949 ging es für Deutsche und Dänen im Grenzland um ein Entweder-oder. 2024 stellt sich diese Alternative nicht mehr!