Flensburg
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Eine Forschungsgruppe an der Europa-Universität Flensburg (EUF) wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Unter dem Titel „Antiziganismus und Ambivalenz in Europa (1850-1950)” wird die Gruppe vier Jahre lang die Hintergründe, Verflechtungen und Dynamiken von Antiziganismus in Europa untersuchen. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Pressemitteilung hervor.
Der Begriff Anzitiganismus bezeichnet eine seit langer Zeit bestehende Ungerechtigkeit gegenüber der Minderheit der Roma und Romnija sowie Sinti und Sintize. Diese Ungerechtigkeit wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Darstellungen und Vorstellungen, die dieses Unrecht verstärkten oder normalisierten, führten zur Ausgrenzung und Diskriminierung dieser Minderheiten, heißt es in der Pressemitteilung. Gleichzeitig gab es Bestrebungen der betroffenen Gruppen, ihre eigene Stimme zu erheben und für Gleichberechtigung und Integration zu kämpfen. Diese Bestrebungen gilt es von Seiten der Wissenschaft zu erforschen und anzuerkennen.
Die Forschungsgruppe verfolgt zwei Hauptziele: Zum einen wird sie Ausgrenzung, Vorurteile und Stereotype, die zwischen 1850 und 1950 vorherrschten, untersuchen und hinterfragen. Zum anderen wird erforscht, wie die Minderheit in dieser Zeit eigene Handlungsmöglichkeiten entwickelte und nutzte.
„Unsere Forschung umfasst nicht nur historische Analysen, etwa wie es zu einer genozidalen Praxis in der Polizeiarbeit während des NS-Regimes kam. Gemeinsam untersuchen wir auch die Faszination, die mit der Kultur und dem Leben der Sinti und Roma verbunden war”, so Iulia Patrut, Sprecherin der Forschungsgruppe und Professorin an der EUF. Diese Faszination zeige sich unter anderem in der visuellen Inszenierung antiziganistischer Motive in der Kunst.
„Ein zentraler Angelpunkt in unserer Forschung ist die oft übersehene Selbstbestimmung und Handlungsmacht von Sinti und Roma, wie sie im Kampf um die eigenen Rechte immer wieder in Erscheinung trat”, so Patrut.
Die Arbeit der Gruppe ist interdisziplinär und berücksichtigt verschiedene Perspektiven auf Antiziganismus. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit Kunst, Populärkultur und Medien. Forschungsschwerpunkte werden an den Universitäten in Marburg, Regensburg, Gießen, Flensburg und Heidelberg liegen. Ebenso werden wissenschaftliche, publizistische und staatliche Diskurse in Gießen, Flensburg und Heidelberg untersucht - beispielsweise, wie stereotype Darstellungen wie die Handlesekunst, die Angehörige der Minderheit angeblich beherrschen, von Medien eigens konstruiert, in Erzählungen verfestigt und durch Malerei, literarische Texte oder Filme weiterverbreitet werden.
Werner Reinhart, Präsident der Europa-Universität Flensburg, betont in der Mitteilung: „Die Forschungsgruppe knüpft an unsere bisherigen Schwerpunkte in der Minderheitenforschung hervorragend an. Eine historische Betrachtung von Antiziganismus und seinen Verflechtungen in Literatur und Ethnographie, in Kunst und Medien, aber auch in Staat und Verwaltung, wird auch unser Verständnis für aktuelle Herausforderungen nicht nur in der Bekämpfung von Antiziganismus stärken, sondern auch mit Blick auf andere Formen von Rassismus sowie auf Antisemitismus.” Diese müssen in ihrer jeweiligen historischen Beschaffenheit und in ihrem Zusammenwirken verstanden werden, um sie zu überwinden.
Zu den kooperierenden Einrichtungen zählen unter anderem die Central European University (CEU) und das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. Auch Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, ist einer von vielen langjährigen Unterstützern der Forschungsgruppe. Dieses umfangreiche Netzwerk ist auch Grundlage für die Förderung der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Teilhabe der Minderheit.
Francesco Arman, Vertreter des Studierendenverbands der Roma und Romnija sowie Sinti und Sintize sowie Mitglied eines die Forschung begleitenden achtköpfigen Beirats, betont: „Durch unsere aktive Beteiligung im Forschungsprozess leisten wir einen Beitrag zur Überwindung historischer Ungerechtigkeit und Förderung von Vielfalt und Gleichberechtigung in der akademischen Landschaft.“