75 Jahre SSW
Was der SSW als Regierungspartei zuerst tun würde
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Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) feiert im September sein 75-jähriges Bestehen im Kieler Landtag. „Der Nordschleswiger“ hat den schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden Christian Dirschauer und den Bundestagsabgeordneten Stefan Seidler gefragt, was sie tun würden, würde die Partei die Regierung stellen. Der Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen spricht über die Chance eines Wiedereinzugs in den Bundestag.
Die Partei der dänischen Minderheit in Südschleswig feiert Jubiläum. Seit dem 25. Juni 1948 vertritt der Wählerverband die Interessen der Bevölkerungsgruppe. Die Partei ist im Kieler Landtag seit 1958 durchgehend und mit Stefan Seidler seit September 2021 auch wieder im Bundestag vertreten. Das soll am 27. September im Kieler Landtag gefeiert werden. Im zweiten Teil der SSW-Geschichte wirft „Der Nordschleswiger“ einen Blick in die Zukunft der Partei.
Minderheitenpolitik ins Grundgesetz
Wie es weitergeht und welche Ziele der SSW für die nächsten Jahre hat? Da hat der Parteivorsitzende Christian Dirschauer genaue Vorstellungen. Die Wahlerfolge in 2021, 2022 und 2023 nennt er „historisch“. Nicht zuletzt, weil sie sehr viel personelle und ökonomische Ressourcen gebunden haben. „Daher will sich der SSW in den nächsten zwei Jahren insbesondere darauf fokussieren, die Parteiorganisation weiter zu modernisieren und zu stärken.“ Basisarbeit, Generationenwechsel, neue Mitglieder: Es wartet laut Dirschauer viel Arbeit.
Der Bundestagsabgeordnete Stefan Seidler setzt den Fokus bei den Zielen des SSW in Berlin: „Wir haben Minderheitenpolitik auf die Agenda gesetzt. Nun gilt es, dafür zu sorgen, dass Minderheiten bei relevanten Bundesgesetzen berücksichtigt werden.“ Langfristiges Ziel sei es, Minderheitenschutz im Grundgesetz zu verankern. „Zudem machen wir in Berlin immer wieder darauf aufmerksam, dass wir im hohen Norden zu oft vergessen werden.“
Unser Grenzland kann ein neues Silicon Valley für erneuerbare Energien werden.
Stefan Seidler, SSW-Bundestagsabgeordneter
Grenzkontrollen, Gesundheit und Arbeitsmarkt
Zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Zukunft hat der SSW als Stimme im Grenzland ganz genaue Vorstellungen. „Als Allererstes müssen die Grenzkontrollen abgeschafft werden, weil sie in den vergangenen Jahren immer wieder zu großen Frustrationen bei den Menschen in der Region, insbesondere bei den Pendlern, geführt haben“, so der Vorsitzende. Eine optimale grenzüberschreitende Zusammenarbeit baue Barrieren ab. Diese gebe es in der unterschiedlichen Gesetzgebung beider Länder – vornehmlich auch in der Sozialgesetzgebung.
Stichwort ist „eine gute Gesundheitsversorgung in der gesamten Region Sønderjylland-Schleswig, sodass man sich den Arzt über die Grenze hinweg aussuchen kann.“ Die Versorgung der gesamten Region über die Grenze hinweg mit erneuerbaren Energien sieht Dirschauer ebenso wichtig wie den Schutz der Umwelt. „Dies gilt insbesondere bei der Flensburger Förde, die große Umweltprobleme hat, oder für den Erhalt des Weltnaturerbes Wattenmeer. Diese Herausforderungen können nur grenzüberschreitend gelöst werden.“
Die optimale grenzüberschreitende Zusammenarbeit sorge überdies auch für einen durchlässigen Arbeitsmarkt und eine gemeinsame Wirtschaftsregion, in der es verstärkt grenzüberschreitende, gemeinsame Ausbildungen gibt und eine deutsch-dänische Wirtschaftsförderung.
„In allen angesprochenen Bereichen gibt es noch viel Verbesserungspotenzial, das wir in den nächsten Jahren gemeinsam mit unseren Partnern in der Region noch besser ausschöpfen wollen.“
Grenzland als neues Silicon Valley
Seidler sieht das ähnlich. „Mein Wunsch wäre, dass wir nicht mehr von Kontrollen oder gar irgendwelchen physischen Barrieren an der Grenze behindert werden. Mein Traum ist, dass das Grenzland zusammenwächst und seine tolle Vielfalt mit viel mehr gemeinsamen Institutionen und Organisationen lebt als bisher — sei es in der Bildung, in der Wirtschaft oder in der Kultur“, so der 44-Jährige.
Neben der Wichtigkeit der sprachlichen Vielfalt sei auch klar, dass das Grenzland zusammen stärker ist. „Unser Grenzland kann ein neues Silicon-Valley für erneuerbare Energien werden.“
Den Klimaschutz und insbesondere die Wende hin zu erneuerbaren Energien hätten wir alle schon vor 10 bis 20 Jahren viel konsequenter und energischer angehen müssen. Dann hätten wir heute nicht diese großen Umstellungsprobleme, um der Klimakrise Herr zu werden.
Christian Dirschauer, SSW-Landesvorsitzender
Sofortmaßnahmen gegen den Klimawandel
Die größte Herausforderung für Schleswig-Holstein und das Grenzland ist der Klimawandel. Mit dem heutigen Wissen würde die Partei einige Dinge anders angehen als noch vor ein oder zwei Dekaden. „Den Klimaschutz und insbesondere die Wende hin zu erneuerbaren Energien hätten wir alle schon vor 10 bis 20 Jahren viel konsequenter und energischer angehen müssen. Dann hätten wir heute nicht diese großen Umstellungsprobleme, um der Klimakrise Herr zu werden“, sagt Dirschauer.
Was würde der SSW sofort umsetzen, würde er die Regierung stellen? Auf diese Frage hat Dirschauer klare Antworten. Das Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel würde gestoppt. „Diese Milliarden-Investitionen zementieren über Jahrzehnte die fossile Infrastruktur“, so der 42-Jährige.
„Darüber hinaus würden wir für ganz Schleswig-Holstein ein 29-Euro-Ticket einführen, um den ÖPNV zu stärken.“ Außerdem würden mehr Landesmittel in den Ausbau der Schieneninfrastruktur gesteckt, um die Attraktivität des ÖPNV zu steigern. „Dies würde einen echten Schub für die Verkehrswende bedeuten.“
Initiieren würde der SSW darüber hinaus ein Programm zur Unterstützung der Kommunen bei der Klimafolgenanpassung. So können sich die Gemeinden auf die wachsenden Herausforderungen und Risiken anpassen, etwa starke Niederschläge und Hochwasser, Stürme und Dürren.
Küstenschutz und Netzentgelte
Seidler wird hier noch konkreter: „Wir würden den Küstenschutz an Nord- und Ostsee bei uns zur Chefsache machen. Hier dauern viele Maßnahmen, wenn sie denn überhaupt kommen, zu lange.“ Der Klimawandel warte jedoch nicht. Nachhaltiger Umweltschutz und der Ausbau nachhaltiger und sauberer Energieformen sind weitere Punkte.
„Vor allem aber würden wir die hohen Netzentgelte endlich angehen. Sauberer Strom aus dem Norden muss für die Menschen in Schleswig-Holstein erschwinglich sein“, so Seidler.
Nächste Bundestagswahl vorbereiten
Ab Mitte nächsten Jahres wird dann die Bundestagswahl 2025 vorbereitet, zu der der SSW wieder antreten wird. „Die Weichen für einen erfolgreichen Wahlkampf werden bereits Ende 2024 gestellt, und wir wissen, wie wichtig eine gute Vorbereitung der gesamten Partei dafür ist“, so Dirschauer.
Der Kieler Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen glaubt an einen Wiedereinzug in den Bundestag: „Der SSW wird nicht weniger Stimmen als beim vergangenen Mal bekommen. Daran ändern auch die Wahlrechtsreform und die Verkleinerung des Bundestags auf 630 Abgeordnete nichts“, sagt er bei einem Telefonat mit dem „Nordschleswiger“.
Ich sage das mit einem Schmunzeln. Was die Partei betrifft, gibt es heute keine Zweifel mehr daran, dass der SSW für den Bundestag kandidieren sollte. Vor 10 oder 20 Jahren war das noch anders.
Stefan Seidler, SSW-Bundestagsabgeordneter
Laut dem Politikwissenschaftler habe Stefan Seidler in Berlin bisher einen soliden Job gemacht. So habe er in der bisherigen Zeit im Bundestag als Ein-Mann-Partei und Angehöriger einer Minderheit die Aufmerksamkeit im Unterschied zu minderheitenpolitischen Sprechern anderer Parteien besser auf sich ziehen können. Das Bewusstsein für die Existenz nationaler Minderheiten sei gestiegen.
Wenig Einfluss in Berlin
Außerdem habe er einzelne Themen aus dem Grenzland, etwa Verkehr und Wirtschaft, in den Fokus gerückt. „Man muss aber auch sagen, dass er als einzelner Abgeordneter nur einen kleinen Einfluss auf die deutsche Politik nehmen kann.“
Mit dem heutigen Blick sieht Stefan Seidler vor allem einen Kritikpunkt an seiner Partei. „Ich sage das mit einem Schmunzeln. Was die Partei betrifft, gibt es heute keine Zweifel mehr daran, dass der SSW für den Bundestag kandidieren sollte. Vor 10 oder 20 Jahren war das noch anders.“