Südschleswig

Wir streiten, Facebook streitet: Heißt es jetzt „krütsch“ oder „krüsch“?

Wir streiten, Facebook streitet: Heißt es jetzt „krütsch“ oder „krüsch“?

Wir streiten: Heißt es jetzt „krütsch“ oder „krüsch“?

Götz Bonsen/shz.de
Flensburg
Zuletzt aktualisiert um:
Die Junge mag all das Essen nicht. Er ist krüsch. Pardon krütsch. Foto: imago stock&people/shz.de

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Es begann mit einem Streit in der Redaktion. Es geht um ein Wort aus dem Inventar der Schleswig-Holsteiner.

Wie stempelt man in Schleswig-Holstein jemanden ab, der sich stark ablehnend zu vielerlei Kost positioniert, einfacher gesagt, der beim Essen wählerisch ist und allzu oft die Nase rümpft? „Krütsch“, sagen die aus Dörfern in Angeln stammenden Leute aus der Redaktion, darunter Erichsen, Clausen und Bonsen.

Stille herrscht daraufhin im Newsroom. Ja... aber es heiße doch „krüsch“, versucht sich die Fraktion der Holsteiner jetzt am Rotstift. Von „krütsch“ habe man noch niemals etwas gehört, heißt es da siegesgewiss. Die Stimmung ist komisch angespannt, ja kämpferisch, denn „krüsch“, das klingt für die „Krütschen“ ein bisschen wie „Plüsch“, eine Verharmlosung (!) einer verächtlichen Eigenschaft!

Kaum jemand, der eines der Worte zu seinem festen Vokabular zählt, ist hier um einen derben Spruch verlegen.

Eigentlich ist krüsch bzw. krütsch etwas, das den Norden verbindet, wie der Atlas Alltagssprache aufzeigt, denn dieses Wort gibt es fast nur in Schleswig-Holstein. Ganz wenige Ausnahmen existieren im äußersten Nordens Niedersachsens und in Teilen Hamburgs.

„Es kommt aus dem Plattdeutschen, ist aber in die hochdeutsche Alltagssprache hineingewandert“, sagt Niederdeutsch-Dozent Robert Langhanke von der Uni Flensburg, „und das ist wirklich etwas Besonderes“.

Eine Frage der Herkunft?

Aber wer hat recht im Streit krütsch/krüsch? Sind Schleswig und Holstein doch nicht up ewig ungedeelt? Gut möglich, denn es verwirrte die T-Fraktion in der Redaktion dann umso mehr, als sich plötzlich die Nordfriesin Lempfert offen zu „krüsch“ bekannte. Die Eider ist also schon mal nicht der Krüsch-Nimes.

Es folgt ein kurzer Internet-Check: Bei Wiktionary steht, es gibt beide Formen, aber „krütsch“ ist die Hauptform. Im Duden steht aber ausschließlich „krüsch“! Aber geht es um Hochdeutsch?

Polarisierende Umfrage bei Facebook und Instagram

Wir fragten die Leute bei Facebook und Instagram, die Beteiligung war prächtig und es polarisierte wie fast schon erwartet mächtig. Erstes Fazit: Kaum jemand lässt auch hier beide Formen durchgehen, im Grunde ist es immer nur die angestammte Version, die eine Berechtigung hat.

Lange ist es ein recht ausgeglichener Kampf zwischen den „Krütschen“ und die „Krüschen“ der sozialen Netzwerke. Am Ende wendet sich das Blatt und eine Mehrheit mobilisiert sich insgesamt für „krüsch“, wobei „krütsch-Beiträge“ tendenziell mehr Zustimmung über Likes erhalten haben.

Leider haben wir die User nicht befragt, woher sie kommen oder stammen. Bei einigen lässt sich dennoch herausfinden, wo sie ihre Wurzeln haben. Denn es gibt ihn noch, den Krüsch-Äquator.

Der Krüsch-Äquator

Das bevölkerungsstarke Kiel erweist sich als krüsch, aber Flensburg klar krütsch. Angeln ist hiernach fast vollständig krütsch, Ostholstein und Mittelholstein sind klar krüsch, Nordfriesland ist mehrheitlich krüsch.

Interessant ist auch hier: Laut ihrer typischen Nachnamen Alteingesessene wie Jensen, Petersen, Hansen und Christiansen sagen „krütsch“, so wie vorher genannte Erichsen, Clausen und Bonsen. Vielleicht hat dies mit landwirtschaftlicher Herkunft zu tun.

In Dithmarschen, das zeigt sich nun wieder unter Kollegen, ist man anders als in größeren Bereichen Nordfrieslands ganz und gar nicht um das T verlegen. Also wieder krütsch. In Schwansen wirds kompliziert, quasi gestreift.

Die Unterschiede haben also mit regionalen Trennlinien zu tun, das bestätigt auch Robert Langhanke von der Uni Flensburg. Er schickt uns dazu seine Referenz: Das „Schleswig-Holsteinische Wörterbuch“ von Otto Mensing, Band 3, Neumünster 1931, das auch online über die Uni Kiel abfrufbar ist.

Hier erfahren wir nicht nur, wie sich das Wort in seinem Gebrauch über die Regionen verteilt, nämlich auch heute noch ähnlich wie aus der Online-Befragung hervorgegangen. Auch eine wichtige Notiz auf dieser Druck-Seite ist erwähnenswert: Im Mittelniederdeutschen ist krüsch/krütsch nicht einmal belegt! Ist es also die Jugendsprache unserer Urgroßväter? Wissen wir nicht, aber es könnte durchaus sein.

Besonders interessant in diesem Werk ist auch Wort-Entstehung, die bei krüsch/krüsch durchaus unterschiedlicher Natur sein könnte, wobei sie in der Bedeutung letztlich doch aufs Gleiche hinausläuft. Beide Varianten stammen schon mal nicht von der quakenden Kröte ab, wie anfangs noch vermutet.

„Krüsch“ kommt laut dem Mensing-Werk wohl von der oft vorkommenden Umstellung des „r“ im Niederdeutschen. Demnach stammt es von „kürsch“, das mit „küren“ oder der „Kür“ verwandt ist, also wählerisch/wählen bedeutet. Der Krüsche oder die Krüsche ist also einfach wählerisch beim Essen und nimmt sich nur, was ihm gefällt. Ein Rosinenpicker.

„Krütsch“ kommt laut Mensing besonders in Gegenden des schleswig-holsteinischen Nordens vor. Genannt werden Angeln, Stapelholm, Nordfriesland, aber auch Dithmarschen, Eiderstedt und Rendsburg. Das Wort sei aber in Neumünster und Lauenburg kaum bezeugt. Ähnlich wie heute.

„Krütsch“ ist laut der Herleitung bei Mensing nicht an „küren“ angelehnt, sondern wohl an „krüden“, was so viel bedeutet wie jäten oder dann im speziellen Fall „das Beste was man auf dem Teller hat, auswählen“, picken, die Spreu vom Weizen trennen.

Was auch erwähnt wird: Ausgestorbene Formen wie „krüdatsch“ und „krüdausch“ seien vielleicht nur als Verstärkungen gebildete Entstellungen gewesen. Es könnte also sein, das sich das „t“ daher in bestimmten Regionen oder Gesellschaften eingenistet hat, in denen es kulturell als besonders verwerflich gilt, sich gewisser Kost ablehnend gegenüberzustellen.

Wie einer der Kollegen anmerkte: Das „t“ im vermutlich derber klingenden „krütsch“ habe auch eine onomatopoetische (lautmalerische) Funktion und symbolisiere das Ausspucken des Essens, zusammen mit dem Zischlaut „sch“ oder „ß“ , der auch in der englischen Sprache abfällige gemeinte Worte prägt. Vielleicht ist „krütsch“ also einfach nur die derbere Variante von „krüsch“ oder eine ehedem (jugendliche), aber dann etablierte Verballhornung?

Ob das „t“ nun aus Gründen dazugekommen oder wie in „krüdatsch“ bzw. „krüdausch“ verschwunden ist, ist kaum zu beantworten. Interessant wird es allerdings noch einmal bei der Betrachtung der Karausche, einem häufig vorkommenden, äußerst grätenreichen Fisch, der deshalb zu Tisch auch nicht unbedingt den besten Ruf genießt und der vom Wortklang dem „Krütsch“ sehr ähnelt.

Im Plattdeutschen wird die Karausche als „Krutsch“ in „die Fische der Ostsee“ (Möbius, Heincke, 1883), und auch in „Sass Hochdeutsch-Plattdeutsches Wörterbuch (1989)“ geführt. Vermehrt tritt sie allerdings als „Kruusch“ oder „Karuus“ (ostfriesisch) auf. In mehreren Online-Wörterbüchern lässt sich dies feststellen, insbesondere bei solchen, die sich eher auf den hamburgisch-niedersächsischen Sprachraum konzentrieren. Ist die Krutsch also eine schleswig-holsteinische Spezialität? Nicht ganz, aber „krütsch“ wie auch „krusch“ sind es ganz gewiss.

Wie dem auch sei. Wir sind eigen in SH, auch was unsere vielen Sprachen und Dialekte angeht. Robert Langhanke zum Kern dieser verblüffend angeregten Diskussion:

Das liegt einfach in der unterschiedlichen regionalen sprachlichen Verankerung der Menschen in Schleswig-Holstein begründet, denn landschaftlich hat das Niederdeutsche viele Unterschiede ausgeprägt. Diese Eigenheiten sind den Sprechern und Sprecherinnen sehr wichtig!

Robert Langhanke M.A., Sprecher Abteilung für Niederdeutsche Sprache und Literatur an der Uni Flensburg
Mehr lesen
Matthias Weuthen

„Mojn Nordschleswig“

Jetzt im Podcast: Wie Sportjournalist Matthias Weuthen Nordschleswig erlebt

Apenrade/Aabenraa In Folge 44 von „Mojn Nordschleswig“ spricht Gerrit Hencke mit seinem Kollegen Walter Turnowsky darüber, welche Auswirkungen das Ampel-Aus in Berlin und die Wahl von Donald Trump auf Dänemark haben – und warum vielleicht auch hier bald gewählt wird. Außerdem spricht er mit unserem Praktikanten Matthias Weuthen über seine ersten anderthalb Monate in der „Nordschleswiger“-Redaktion. Im Quiz testet Hannah Kerrin Trautmanns Wissen zum Jeisinger Sprachcafé.