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Internatsleiterin Nadja Grau: Mit der Pandemie kam die Einsamkeit

Internatsleiterin Nadja Grau: Mit der Pandemie kam die Einsamkeit

Mit der Pandemie kam die Einsamkeit

Apenrade/Aabenraa
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Nadja Grau hat für alle ein offenes Ohr. Foto: Karin Riggelsen

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Deutlicher Anstieg: Seit der Pandemie ist das Thema Einsamkeit im Internat des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig größer als in den Jahren zuvor. Die Internatsleiterin Nadja Grau kann den Schülerinnen und Schülern dank ihrer psychotherapeutischen Ausbildung helfen, diese Gefühle genauer zu betrachten und einzuordnen.

„Die Einsamkeit zog hier ein, als Corona weg war. Während dieser Zeit und auch danach konnte man merken, dass dies zu einem immer größeren Problem bei den Schülern geworden ist“, berichtet Nadja Grau, Internatsleiterin am Deutschen Gymnasium für Nordschleswig (DGN). 

Im vergangenen Oktober schloss sie eine psychotherapeutische Weiterbildung ab und sieht dies als absoluten Gewinn für ihre Arbeit mit den Jugendlichen. „Ich benutze das laufend“, erzählt sie.

Durch die Isolation während der Pandemie machte sich laut Grau hier und da das Gefühl von Einsamkeit in den jugendlichen Gemütern breit. „Viele waren in dieser Zeit wirklich sehr alleine. Und in Deutschland haben sich ja auch viele an die strikten Regeln gehalten, die dort galten – und haben dann keinen gesehen“, erinnert sich Grau an diese herausfordernde Zeit zurück.

Früher gab es junge Leute, die sich einsam fühlten, weil sie keine Freunde hatten, heute ist das mehr so ein generelles Ding, dass sie sich einsam fühlen, obwohl sie Freunde haben.

Nadja Grau
Im vergangenen Jahr schloss Nadja Grau eine psychotherapeutische Weiterbildung ab. Foto: Karin Riggelsen

Kaum Hemmungen, das Angebot in Anspruch zu nehmen

Das Gefühl von Einsamkeit ist kein neues Phänomen bei Jugendlichen. Schülerinnen und Schüler, die darunter leiden, habe es schon immer gegeben – aber eher vereinzelt, berichtet sie. „Früher gab es junge Leute, die sich einsam fühlten, weil sie keine Freunde hatten, heute ist das mehr so ein generelles Ding, dass sie sich einsam fühlen, obwohl sie Freunde haben“, beschreibt Grau ihre Erfahrungen.

Die Internatsleiterin ist froh, dass die Schülerinnen und Schüler kaum Hemmungen haben, in ihr Büro zu kommen und sich auf ihrer Couch sitzend das von der Seele zu reden, was sie gerade bedrückt oder was einfach eingeordnet werden muss – ihre Tür stehe ohnehin meistens offen.

Aber auch der generelle sowie der eigene Fokus auf herausfordernde psychische Situationen mache laut Grau viel aus. Über mentale Gesundheit und Selbstfürsorge wird heute viel mehr berichtet als noch vor ein paar Jahren; das gesellschaftliche Bewusstsein und die Toleranz seien daher heute mehr vorhanden. Es sei legitimer geworden, sich Hilfe zu suchen.

Das soziale Netzwerk hat seinen Namen eigentlich nicht verdient.

Nadja Grau

Handy als Isolationskatalysator

Neben den Isolationserfahrungen sieht Grau noch weitere Ursachen, die ihrer Einschätzung nach ebenfalls bei der Entstehung von Einsamkeitsgefühlen eine Rolle spielen. „Ich würde es auch als Problem sehen, dass Kinder immer früher in Institutionen gegeben werden. Der feste Familienrahmen ist dann nicht mehr so gegeben. Pädagogen sind obendrein oft überfordert“, sagt sie.

Auch das Mobiltelefon sei eher ein Isolationskatalysator. Die Jugendlichen seien „viel zu viel am Handy“. „Und das isoliert ja. Sie haben 2.000 Freunde auf Instagram, aber in Wirklichkeit sind davon natürlich längst nicht so viele übrig.“ Manchmal würden sie Zeit am Handy verbringen, obwohl sie sich gegenübersitzen, und das schirme ab. „Das soziale Netzwerk hat seinen Namen eigentlich nicht verdient“, zieht Grau ihre Schlüsse.

Gute Erfahrungen mit Hypnose

Neben Gesprächen bietet Grau Hypnosen an – bei Jugendlichen unter 18 natürlich ausschließlich mit Einverständnis der Eltern. Mit dieser Therapieform habe sie schon viele gute Erfahrungen gemacht. „Das ist meiner Meinung nach das, was am meisten und am schnellsten hilft. Insbesondere bei Ängsten.“

Viele Jugendliche kämen zu ihr, um sich etwas von der Seele zu reden, hätten Fragen oder bräuchten die Perspektive eines Erwachsenen. In diesem Alter bespreche man nicht mehr alles mit den Eltern, so gut das Verhältnis auch sei – Grau ist selbst Mutter und kennt das zur Genüge.

Nadja Grau sieht verschiedene Ursachen für die Einsamkeitsgefühle bei Jugendlichen. Foto: Karin Riggelsen

Bewusstsein schaffen

Um den Jugendlichen manch eine erlebte Situation – die genug Grübelstoff in den jungen Köpfen hinterlassen hat – verständlicher zu machen, versucht Grau, eine Sensibilität für den eigenen Ausdruck zu vermitteln. „Wenn du in einen Raum kommst und ausstrahlst, ,sprecht mich nicht an’, ist es nur eine logische Konsequenz, dass diesem Wunsch auch Folge geleistet wird“, führt Grau als Beispiel an.

Oft verändere ein solcher Perspektivenwechsel schnell die Sicht auf die Dinge. „Am Ende lachen sie, weil ihnen deutlich wird, wie absurd es ist. Dabei sind solche ,blinden Flecken‘ ganz normal. Die haben wir alle manchmal“, erläutert die Expertin.

Sie versuche auch, die Aufmerksamkeit auf die Sprache der Jugendlichen zu lenken – erklärt ihnen, welche Wirkung Formulierungen haben können. „Wenn es heißt: ,Wir standen zu zweit alleine abseits der Gruppe‘, dann frage ich beispielsweise: ,Zu zweit alleine also‘? Das macht den Jugendlichen die Situation noch einmal ganz anders deutlich.“ So werde ihnen oft bewusst, dass das Gefühl zwar real ist und ernst genommen werden muss, aber oft wenig mit der Realität zu tun hat.

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