Sankelmark 2023
Frauen in der Nazi-Zeit – das Thema lässt Ilse Friis nicht los
Frauen in der Nazi-Zeit – das Thema lässt Ilse Friis nicht los
Frauen in der Nazi-Zeit - Thema lässt Ilse Friis nicht los
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Die ehrenamtliche Historikerin hat Lebensläufe von Heldinnen, Opfern, Mitläuferinnen und Täterinnen während der Zeit der deutschen Besatzung ausgegraben. Sie meint, es sei an der Zeit, auch die Geschichten der Frauen zu erzählen.
Ilse Friis hat ihren Vortrag kaum eingeleitet, da herrscht bereits eine fast elektrische Stille im Saal. Die gut 100 Menschen im Raum Stockholm der Akademie Sankelmark lauschen konzentriert ihren Worten. Worte, die von den Lebensläufen von Frauen der Minderheit während des Nationalsozialismus berichten.
„Frauen haben es verdient“
Die ehemalige Leiterin des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig ist ehrenamtlich im Archiv des Deutschen Museums in Sonderburg (Sønderborg) tätig, wo sie auch Vorsitzende ist. Mithilfe der Archivalien hat sie die Lebensläufe zusammengestückelt. Zunächst war sie gespannt, wie viel sie finden wird. Es war viel mehr als erwartet, fast 150 Frauenbiografien hat sie beschrieben. Jetzt lässt sie das Thema nicht mehr los.
„Ich finde das Thema fasziniert, und die Frauen haben es auch einmal verdient, in den Fokus zu kommen, damit wir auch aus der Geschichte lernen können. Es gibt dicke Bücher über die Männer in Faarhus, ich denke, die Frauen haben es ebenso verdient, genannt und erforscht zu werden“, sagt sie, nachdem das Publikum mit anhaltendem Beifall quittiert hat.
Vielschichtiges Thema
Fragen und Kommentare gibt es nach ihrem Vortrag nur wenige, jedoch Dank dafür, dass sie diese vergessenen und verdrängten Geschichten der Frauen ausgegraben hat. Aus den Gesprächen an den Mittagstischen ist zu entnehmen, dass ihre Erzählungen, wie bereits ihr erster Vortrag im November auf dem Knivsberg, Eindruck auf die Zuhörerinnen und Zuhörer gemacht haben. Den Tag hindurch kommen immer wieder Menschen zu ihr, die mehr mit ihr über das Thema sprechen möchten.
„Mich fasziniert die Vielschichtigkeit. Nicht allein, dass die Frauen die Familien zusammenhalten, sondern auch nach seiner Entlassung den Mann aufbauen, die Minderheit aufbauen, die Familie zusammenhalten und Hof oder Betrieb bewirtschaften sollten. Das sind ganz schön viele Aufgaben auf einmal“, meint die Historikerin.
Die Überzeugten
Fast 3.000 Frauen mussten nach dem Krieg die Familie allein führen, weil ihre Männer in Faarhus interniert waren. Friis hat jedoch auch die Lebensläufe von jenen erfasst, die als Krankenschwestern an die Front gingen, jenen, die als Lehrerinnen – freiwillig oder unfreiwillig – den Kindern die Nazi-Ideologie eingetrichtert haben und jenen, die als Führerinnen der Mädchen- und der Frauenschaft Teil des braunen Apparates waren. Und dann waren da noch die wirklich überzeugten Nationalsozialistinnen.
„Sie kamen typisch aus sehr deutschen Familien, und das, was unter anderem in den Gerichtsverhandlungen durchklingt, ist, dass sie meinen, sie sind Deutschland etwas schuldig.“
Die Grenzziehung 1920 hat für diese sehr deutsch gesinnten Frauen eine entscheidende Rolle dafür gespielt, dass sie sich der Nazi-Ideologie zuwandten. Typisch hatten sie kaum Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung.
„Eine sagt, ich bin Deutsche. Ich bin dem Vaterland etwas schuldig, ich muss hier noch etwas leisten. Das ist das, was sie dazu treibt, sich freiwillig zu melden“, erläutert Friis.
Denunziantinnen
51 Frauen aus der Minderheit wurden nach dem Krieg verurteilt, weil sie der NSDAP oder der Gestapo geholfen hatten. Die meisten von ihnen bekamen verhältnismäßig geringfügige Strafen, aber sieben Frauen wurden zu zwischen sechs und zehn Jahren Haft verurteilt.
Die härteste Strafe bekam die Wirtin des Krugs Sølyst bei Apenrade, Eline Jürgensen. Sie hatte Freiheitskämpfer an die Gestapo verraten, ein Freiheitskämpfer und eine Haushälterin wurden bei der Verhaftung erschossen, und drei weitere landeten im Konzentrationslager Neuengamme.
Helferin des Chef-Ideologen
Doch es gab auch Überzeugte, die nicht verurteilt wurden, wie etwa Annelise Weiss aus Hadersleben (Haderslev), die in Berlin für den Chef-Ideologen der Nazis, Alfred Rosenberg, in dessen System für nationalsozialistische Kultur- und Überwachungspolitik arbeitete. Im „Amt für Schrifttumspflege“ sorgte sie unter anderem dafür, dass Bücher sichergestellt wurden, die nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie in Einklang waren.
„Aus einigen Briefen klingt durch, dass sie von der nationalsozialistischen Ideologie wirklich überzeugt waren. Sie geben die vorherrschende Propaganda wieder.“
Ilse Friis sammelt weiterhin Material über die Frauenschicksale. Sie sei zu alt, selbst eine Doktorarbeit darüber zu schreiben, ist jedoch gerne bereit, ihr Material jemandem zu überlassen, der es tun möchte.