Deutsche MInderheit
Minderheiten-Frauen und die Nazi-Zeit: „Als ich das über sie erfuhr, konnte ich es gar nicht fassen“
„Als ich das über sie erfuhr, konnte ich es gar nicht fassen“
„Als ich das über sie erfuhr, konnte ich es nicht fassen“
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Sie waren Opfer, sie waren Heldinnen und sie waren Täterinnen: Als Erste überhaupt hat Ilse Friis Biografien von Frauen aus der Minderheit gesammelt und kritisch in Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus gestellt. Bei ihrem Premieren-Vortrag zum Thema auf dem Knivsberg machte sie klar: Die Arbeit geht weiter – auch dann, wenn es manchmal weh tut.
Das gab es noch nie: Zahlreiche Frauenbiografien standen im Fokus, als die langjährige Leiterin des Deutschen Gymnasiums für Nordschleswig, Ilse Friis, im Knivsberghaus am Sonntag einen etwas anderen Blick auf die Geschichte der Minderheit im Nationalsozialismus warf. Und dabei auch eine ganz persönliche Geschichte mitbrachte.
„Meine Welt zerbrach mit Annelise Weiss“, sagt Friis. „Sie wohnte im gleichen Stadtteil in Hadersleben wie ich ,und ich kannte sie, solange ich denken kann“, so die Historikerin, die die angesehene Dame nur unter ihrem Ehenamen Annelise Meyer kannte.
Ihr Mann war viele Jahre Mitarbeiterin von Friis‘ Mutter bei der Brauerei Fuglsang gewesen und sie war in Hadersleben bekannt als kulturell engagierte Persönlichkeit.
Was die Frau gemacht hat, das habe ich einfach nicht gewusst.
Ilse Friis
Doch wie Ilse Friis herausfand, war sie auch eine überzeugte Nationalsozialistin.
1938 war sie, noch als Fräulein Weiss, nach Berlin gezogen, um unter dem Chef-Ideologen der Nazis, Alfred Rosenberg, in dessen System für nationalsozialistischen Kultur- und Überwachungspolitik zu arbeiten. Im „Amt für Schrifttumspflege“ sorgte sie unter anderem dafür, dass Bücher sichergestellt wurden, die nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie in Einklang waren. Sogar ihre dänische Staatsbürgerschaft legte sie ab.
Für ihre Arbeit, die sie bis zum Kriegsende weiterführte, wurde sie auf Betreiben von Rosenberg noch 1944 mit einem Orden ausgezeichnet, worauf sie besonders stolz war.
„Diese Frau war die netteste Frau überhaupt. Und dann zu hören, was für ein hohes Tier sie in Berlin gewesen ist. Den Orden bekommst du ja nicht, weil du eine gute Dolmetscherin bist“, erzählt Ilse Friis.
„An dem Tag, als mir klar wurde, dass Annelise Meyer und Annelise Weiss eine Person waren, da brach eine Welt zusammen. Was die Frau gemacht hat, das habe ich einfach nicht gewusst“, sagt sie.
Friis deckt bisher unbekannte oder verschwiegene Geschichten auf
Überhaupt ist über die Geschichte der Frauen der Minderheit in der Zeit des Dritten Reichs und in den Jahren direkt davor und danach nur wenig bekannt.
„Im Archiv unterhielten wir uns darüber, weshalb eigentlich immer die Männer im Mittelpunkt stehen, wenn es um die Geschichte der Minderheit geht“, sagt Friis im Anschluss an ihren Vortrag „Lebensläufe – Frauen der Minderheit in der Zeit des Nationalsozialismus“ zum „Nordschleswiger“.
Knackpunkt, nachzuhaken, waren für sie Briefe, die sich Marie „Mimi“ Møller mit ihrem Ehemann Jens Møller nach dem Krieg geschrieben hatte – als letzterer bis 1950 wegen seiner Rolle als Nazi- und ab 1938 zugleich Minderheiten-Führer in Nordschleswig inhaftiert war.
Als Vorsitzende des Deutschen Museums Nordschleswig verbringt Friis, die Geschichte studiert hat, viel Zeit im Deutschen Archiv Nordschleswig, das im Museums in Sonderburg untergebracht ist, wo sie sich mittwochs mit einer kleinen Gruppe trifft, um Museumsarchivalien zu registrieren. Darunter auch den Møller-Nachlass.
Bei den Møller-Briefen blieb es jedoch nicht. Die Idee, Biografien von Frauen anzufertigen, war geboren. Aus angedachten zehn, 15 Stück sind inzwischen um die 150 geworden. „Es war dann wie die Schachteln der Pandora. Du öffnest immer mehr.“
Minderheiten-Gastwirtin sorgte dafür, dass Widerstandskämpfer ins KZ kamen
Es sei bisher vollkommen unbekannt gewesen, wie aktiv sehr viele Frauen aus der Minderheit auch in den Kriegsjahren waren, sagt Friis, über deren Arbeit der „Nordschleswiger“ mehrfach berichtet hat.
Da gibt es die Frauen, die humanitäre Arbeit leisteten, an der Front und in der Heimat, und die dabei ums Leben kamen. Oder die, wie Anna Martensen, aufopferungsvoll dafür sorgten, dass Tausenden Soldaten und Flüchtlingen in Südjütland geholfen wurde – und die noch vor Kriegsende an Tuberkulose starb.
Aber auch Frauen, die Kindern an den Schulen oder im Mädchenbund die Nazi-Ideologie eintrichterten. Frauen, die im Dibbernhaus für die nationalsozialistische Minderheiten-Führung arbeiteten. Viele Frauen, die während der Kriegsjahre und der Jahre der Gefangenschaft nach dem Krieg die Geschicke in Heim und Hof leiteten. Und Frauen, die mit den Nazis so wenig wie möglich zu tun haben wollten und die sich zurückzogen.
Wäre ich 40 Jahre jünger, würde ich meine Doktorarbeit darüber schreiben, aber nun begnüge ich mich damit, diese Frauen zu beschreiben und ihre Leben darzustellen.
Ilse Friis
Und dann gab es auch die, die etwas taten, worüber später niemand in der Minderheit mehr sprechen wollte. Wie eine Gastwirtin, die aus dem Fenster der Gastwirtschaft in Sölyst (Sølyst) eine Gruppe Widerstandskämpfer beobachtete – und ans Messer lieferte, wofür sie später zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde.
Oder die überzeugte Nationalsozialistin, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Widerstandskämpfern das Handwerk zu legen – und die nach ihrer langen Haft beim „Nordschleswiger“ in der Lokalredaktion Hadersleben arbeitete und sich bis zuletzt ungerecht behandelt fühlte.
„Faszinierende Geschichten“
„Wäre ich 40 Jahre jünger, würde ich meine Doktorarbeit darüber schreiben, aber nun begnüge ich mich damit, diese Frauen zu beschreiben und ihre Leben darzustellen“, so die 70-Jährige, die ihre ehrenamtliche Tätigkeit als „unheimlich faszinierend“ bezeichnet.
Sie hat die Frauen, über die sie forscht, in Kategorien unterteilt.
- Die Humanitären
- Die Überzeugten
- Die Lehrerinnen
- Die „Führerinnen“
- Die Frauen im Dibbernhaus
- Die Dahinterstehenden
- Die Gegnerinnen
Zur siebten Gruppe muss Ilse Friis jedoch konstatieren, dass sie bisher vergeblich versucht habe, Frauen aus der deutschen Minderheit zu finden, die aktiv im Widerstand waren. Immerhin, fünf Frauen aber haben die Loyalitätserklärung unterschrieben, mit der sich Mitglieder der Minderheit nach Kriegsende zum dänischen Staat bekannten.
Sie alle seien „fromme“ Frauen gewesen, die sich in der Nazizeit in die sogenannte innere Immigration zurückgezogen haben und erst nach dem Krieg wieder in die Öffentlichkeit zurückkehrten.
Ausblick: Friis macht weiter – und freut sich auf neue Zuhörerinnen und Zuhörer
„Ich hoffe, dass ich meinen Vortrag noch an einigen anderen Orten halten kann – und möchte dann auch immer Personen einbauen, die gerade den Ort betreffen“, sagt sie nach dem Vortrag auf dem Knivsberg, wo sie auch zwei Frauen beschrieb, die namentlich auf den Gedenktafeln in der Gedenkstätte erwähnt werden.
„Ich habe genügend Auswahl. Weil sich so viele Menschen auch ans Archiv wenden, und fragen, habt ihr was über meine Oma oder habt ihr was über meine Tante, stelle mir vor, dass man ein Porträt-Album, elektronisch, über die Frauen macht“, sagt sie. Eine Stelle, „wo die Menschen nachlesen können, was es mit ihnen auf sich hat“.
Die Zeit des Schweigens ist vorbei
Warum werden diese Geschichten eigentlich erst jetzt und durch sie bekannt?
„Es muss eine Kultur gegeben haben, nicht über diese Dinge zu sprechen. Diese Geschichte im Wirtshaus vor Apenrade muss doch jeder gekannt haben. Das kann doch keine Überraschung gewesen sein. Aber es hieß immer wieder, dass das doch nicht sein könne, dass eine Frau, und schon gar nicht jemand aus der Minderheit, sich so verhalten habe“, sagt Friis.
Die Zeit des Schweigens ist nun vorbei. Und für Ilse Friis ist es auch wichtig, ihre Forschung den Jüngeren in der Minderheit zu vermitteln. Aber dazu müsste sie ihren Vortrag ganz umgestalten, sagt sie, denn mit vielen Begrifflichkeiten könne der Nachwuchs nur wenig anfangen.
Deshalb sei sie auch nicht traurig gewesen, dass unter den zahlreichen Besucherinnen und Besuchern – der Saal des Knivsberghauses war bis auf die Bänke entlang der Fenster gefüllt – nur wenige junge Menschen waren.
„Wir hoffen, dass sich das in den nächsten Jahren weiterentwickelt“
„Wir verzeichnen die Veranstaltung absolut als Erfolg. Aber ja, wir hatten uns durchaus erhofft, dass mehr junge Leute kommen und teilnehmen“, sagt Friederike Schmidt von der Bildungsstätte Knivsberg dem „Nordschleswiger“, „Aber das hat sich leider nicht ergeben“ – was auch an dem Termin am Sonntagvormittag gelegen haben mag.
„Wir hoffen, dass sich das in den nächsten Jahren weiterentwickelt“, sagt sie. Mit ihrem Projekt „Gegen das Vergessen“ ist sie in den Schulen in Nordschleswig unterwegs und informiert über den Volkstrauertag – und will mit Kindern und Jugendlichen erarbeiten, was der „mit uns zu tun“ hat und was sie dazu bewegen könnte, in Zukunft teilzunehmen.
„Eine der Rückmeldungen war, dass man mehr über die Menschen erfährt, um die es geht, weil dieser Tag für die jungen Menschen so abstrakt ist“, sagt sie.
Etwas, was Ilse Friis ins Zentrum ihres Vortrages gestellt hat – was sie aber ganz bewusst für ein junges Publikum noch anders aufbereiten will.
„Ich muss da in eine Unterrichtssituation gehen und das Vokabular entsprechend anpassen“, sagt Friis, die froh war, dass ihr Premieren-Vortrag gut ankam, und die sich darauf freut, das Thema auch Jugendlichen zu vermitteln: „Wie mein Mann sagt; du hast ja mehr als 45 Jahre unterrichtet, das vergisst du ja nicht von einem Tag auf den anderen!“
Anmerkung: Zwei Fehler im Ursprungstext wurden am Montag, 14. November korrigiert: Bei Annelise Meyer handelte es sich nicht um eine Kollegin von Ilse Friis' Vater. Stattdessen war Meyers Ehemann Kollege von Friis Mutter. Die beiden Frauen, über die Friis in Bezug auf den Knivsberg berichtete, waren dort nicht tätig, vielmehr tauchen ihre Namen dort auf den Gedenktafeln auf.