Deutsche Büchereien

Buchtipp des Monats: Zwei Meisterinnen ihres Fachs

Buchtipp des Monats: Zwei Meisterinnen ihres Fachs

Buchtipp des Monats: Zwei Meisterinnen ihres Fachs

Erik Becker
Sonderburg/Sønderborg
Zuletzt aktualisiert um:
Eva Nielsens Alltag wird nicht nur von Literatur, sondern auch von Kunst bestimmt. Ebenso geht es den Protagonistinnen der beiden Werke, die sie vorstellt. Foto: Erik Becker

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Was lesen? In unserem Format „Buchtipp des Monats“ widmen wir uns Werken, die die Expertinnen und Experten der deutschen Büchereien vorstellen. Der Buchtipp für den Juli kommt von Eva Nielsen. Sie möchte allen Kunstbegeisterten zwei Romane ans Herz legen.

Kunst ist das verbindende Element der beiden Bücher, die Diplom-Bibliothekarin Eva Nielsen vorstellen möchte. „Doch die zentrale Botschaft beider Werke ist es, die eigenen Träume zu verwirklichen – und sich von diesem Weg nicht abbringen zu lassen”, sagt sie über die Protagonistinnen, die das Leben ihrer Kunst widmen.

Eva Nielsen ist nicht nur Teil des Leitungsteams der Deutschen Bücherei Sonderburg, sondern auch promovierte Kunsthistorikerin. Diese doppelte Expertise ermöglicht es ihr, beide Werke aus einer besonderen Perspektive zu betrachten. „Die Bücher zeigen auf eindrucksvolle Weise, wie Kunst unsere innersten Gefühle und Gedanken beeinflussen kann“, sagt sie.

Pionierin der modernen Kunst

Das erste Werk, das Nielsen vorstellt, ist brandneu: Der biografische Roman „Hilma“ befasst sich mit dem Leben und Nachlass der schwedischen Künstlerin Hilma af Klint. Erst vor Kurzem ist die breite Öffentlichkeit auf sie aufmerksam geworden.

Dies hat gesellschaftliche Gründe: Zum Zeitpunkt von Hilmas Geburt, Mitte des 19. Jahrhunderts, ist das Leben einer Künstlerin für Frauen keine Perspektive. Der Beruf ist damals ausschließlich Männern zugedacht. Hilma hält ihr Werk daher zu Lebzeiten im Verborgenen.

„Für Frauen galt Kunst damals höchstens als niveauvoller Zeitvertreib. Das zeigt sich auch darin, dass wir heute kaum Künstlerinnen aus vergangener Zeit kennen“, erklärt Nielsen. Umso mehr habe sie das Leben dieser Frau gereizt, deren Werke zeitgleich mit denen berühmter Männer wie Kandinsky, Mondrian und Malewitsch entstanden sind.

„Hilma“ von Sofia Lundberg, Alyson Richman und M. J. Rose Foto: Erik Becker

Ihrer Zeit voraus

Als eines der ersten Länder überhaupt gestattet Schweden im Jahr 1864 Frauen den Zutritt zur königlichen Kunstakademie. Hilma gehört zu den ersten Absolventinnen. Malt sie anfangs noch naturalistisch und „nach Lehrbuch“, wendet sie sich bald der abstrakten Malerei zu.

Doch die Gesellschaft ist noch nicht bereit für ihre Kunst. Hilma erfährt Anfeindungen und Ablehnung. Sie verfügt, dass die Bilder erst 20 Jahre nach ihrem Tod öffentlich gezeigt werden dürfen.

2018 werden Hilmas Werke im New Yorker Guggenheim Museum ausgestellt – mit überwältigendem Erfolg. Die Besucherzahlen brechen alle Rekorde.

Hilma af Klint sollte posthum die Stellung als Pionierin der modernen Kunst zuerkannt werden, die sie zu Lebzeiten nie erfahren durfte.

Eva Nielsen

Der Roman erzählt auf zwei Handlungsebenen, wie ein Kurator die Ausstellung im Guggenheim vorbereitet und Hilmas Nachkommen kontaktiert. Dazwischen gibt es immer wieder Zeitsprünge in das Leben der Künstlerin.

„Das macht die Geschichte sehr abwechslungsreich“, sagt Nielsen. Neben seinem Unterhaltungswert bereichere der Roman auch auf eine leichte und verständliche Art das Hintergrundwissen über Kunst und Geschichte.

Dieser Effekt ist dem Autorinnen-Trio aus Sophia Lundberg, Alyson Richman und M. J. Rose zu verdanken. Mit vereinten Kräften verarbeiten sie die vorhandenen Sachkenntnisse zu einer fiktiven Geschichte über eine reale Frau, die ihrer Zeit voraus war.

„Es freut mich, dass das Werk einer unbekannten Künstlerin wiederentdeckt wird. Auch ich kannte sie vor diesem Buch nicht. Hilma af Klint sollte posthum die Stellung als Pionierin der modernen Kunst zuerkannt werden, die sie zu Lebzeiten nie erfahren durfte”, findet Nielsen.

Die Kunst des Kochens

Im Zentrum des zweiten Buches, das Eva Nielsen vorstellen möchte, steht die Kunstform des Kochens.

„Babettes Gastmahl“ erzählt die Geschichte eines abgeschiedenen Fischerdorfes in Norwegen, dessen Bewohnerinnen und Bewohner streng lutheranisch in Abgeschiedenheit und Verzicht leben. 

In diese Gemeinschaft, die jede Form von Genuss ablehnt, kommt Ende des 19. Jahrhunderts Babette. Sie stammt aus Frankreich und lässt sich als Köchin bei der örtlichen Pastorenfamilie anstellen.

„14 Jahre kocht sie nichts anderes als Brotsuppe und Stockfisch. Dabei kann sie viel mehr“, sagt Nielsen und lächelt verheißungsvoll. Was im Dorf niemand weiß: Babette bekochte in Paris die gehobene Gesellschaft mit den allerfeinsten Speisen. „Sie war das, was man heute eine Starköchin nennen würde“, erklärt Nielsen.

„Babettes Gastmahl“ von Tania Blixen Foto: Erik Becker

Haute Cuisine im Fischerdorf

Eines Tages gewinnt Babette eine große Summe Geld in der Lotterie. Entgegen aller Erwartungen gibt sie das Geld nicht etwa für ihre Rückkehr nach Frankreich aus, sondern für ein Festmahl, das sie im Dorf ausrichtet. Aus den erlesensten Zutaten kocht Babette feine Speisen, die für die Dorfgemeinschaft exotisch und neu sind. 

An der Tafel blüht das Dorf auf: Es wird gescherzt und gelacht; alte Feindschaften werden begraben, und zum ersten Mal entsteht eine Form des Gemeinschaftsgefühls.

„Babette sagt an einer Stelle des Buches sinngemäß: ,Mein Reichtum ist nicht zählbar, denn er liegt in meiner Kunst’. Der Genuss dieser Kunst berührt die Seelen der Menschen und verändert sie“, sagt Nielsen. Aus diesem Grund wurde im Titel bewusst das Wort „Gastmahl” gewählt – die Bedeutung der Erzählung drehe sich weniger um das Essen als um die Gäste und ihre Empfindungen. 

Auch wenn es nur eine kleine Erzählung ist, hat mich die Geschichte sehr berührt.

Eva Nielsen

„Babettes Gastmahl“ umfasst nur etwa 70 Seiten und enthält ein ausführliches Nachwort. „Auch wenn es nur eine kleine Erzählung ist, hat mich die Geschichte sehr berührt”, schwärmt Nielsen. Vor allem das Cover habe ihre Aufmerksamkeit geweckt. Es zeigt den Ausschnitt eines Gemäldes des dänischen Malers Peder Severin Kroyer. Sinnbildlich steht es für die Verknüpfung des Genusses einer gemeinsamen Mahlzeit mit einem künstlerischen Aspekt.

Autorin Tania Blixen ist keine Unbekannte: Die dänische Schriftstellerin schrieb auch das berühmte Werk „Jenseits von Afrika“. Vor allem ihre malerische Sprache habe Nielsen begeistert. Besonders hervorheben möchte sie auch die Arbeit des Übersetzers Ulrich Sonnenberg: „Er hat Blixens Sprachgebrauch ganz wunderbar wiedergegeben.”

Wem der Inhalt des Werkes bekannt vorkommt, hat vielleicht schon einmal die Verfilmung „Babettes Fest“ gesehen.

Das starke Geschlecht

Sowohl Hilma als auch Babette würden in den ihnen gewidmeten Werken eine Vorbildfunktion übernehmen, findet Eva Nielsen: „Sie zeigen, dass man die eigenen Träume nicht aufgeben darf und seinen Prinzipien treu bleiben muss. Auch wenn man auf Unverständnis stößt.“

Dieses Thema sei auch heute noch von Bedeutung – insbesondere für Frauen: „Ich denke, dass Frauen ihrem Herzen folgen und sich von ihren Zielen nicht abbringen lassen sollten. Ob im Großen oder im Kleinen, beruflich wie privat.“

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