75 Jahre „Der Nordschleswiger“
Lokalredakteurin: „Ich habe gedacht, ich lese nicht richtig“
Lokalredakteurin: „Ich habe gedacht, ich lese nicht richtig“
Lokalredakteurin: „Ich habe gedacht, ich lese nicht richtig“
Diesen Artikel vorlesen lassen.
„Der Nordschleswiger“ wurde am 2. Februar 75 Jahre alt. Wir bringen im Laufe des Jubiläumsjahres eine Serie über uns selbst. In diesem Abschnitt erinnern sich Mitarbeiter an eine Arbeitsaufgabe, die einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat. Sara Wasmund bleibt eine überraschende „Werbung“ mit zählebiger Feindschaft im Grenzland unvergessen.
Sara Wasmund ist seit 2005 beim „Nordschleswiger“. Die Journalistin arbeitete in kürzeren oder längeren Zeitabschnitten in der Sportredaktion, in den fünf Lokalredaktionen und der Hauptredaktion in Apenrade (Aabenraa).
Dabei hat sie eine breite Palette von Artikeln für die Zeitung der deutschen Minderheit geschrieben.
Als Lokalredakteurin Ruth Nielsen Ende 2019 aus dem Zeitungsalltag ausschied, übernahm Sara Wasmund ihren Platz im deutsch-dänischen Medienhaus an der Perlegade in Sonderburg.
Gemeinsames Vorhaben der Grenzregion
Bei der beträchtlichen Anzahl von Reportagen, Interviews, Gerichtsberichterstattungen und Kolumnen ist es einer der Artikel, den sie 2012 in Verbindung mit Sonderburgs Kandidatur um den Titel europäische Kulturhauptstadt 2017 schrieb, der einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.
Im März 2010 hatte sich Sonderburg neben Aarhus um den prestigevollen Titel beworben. Die Entscheidung fiel am 24. August 2012 zugunsten von Aarhus.
Diese Kandidatur war ein gemeinsames Vorhaben der gesamten deutsch-dänischen Grenzregion Sønderjylland-Schleswig gewesen, an der sich neben den vier südjütischen Kommunen Sonderburg, Apenrade, Tondern (Tønder) und Hadersleben (Haderslev) auch Flensburg und die Kreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg auf deutscher Seite beteiligten.
Überraschend düsteres Bild
In der endgültigen Bewerbung, die im Frühsommer 2012 im Kopenhagener Kulturministerium abgegeben wurde, zeichnete das extra für das Projekt eingerichtete Sekretariat unter Leitung von Else Christensen-Redzepovic ein überraschend düsteres Bild des Nebeneinanders im Grenzland.
Während in den vorangegangenen Jahren mit dem bereits bestehenden Vorbildcharakter der deutsch-dänischen Grenzregion geworben wurde, schlug man in der Bewerbungsschrift teilweise schärfere Töne an.
„Rücken an Rücken“ stünden Deutsche und Dänen. „Es gäbe eine zählebige Feindschaft zwischen den Menschen beider Länder“, zitierte Sara Wasmund aus der Schrift in ihrem Artikel, der am 5. Juli 2012 im „Nordschleswiger“ erschien.
Darstellung des Grenzlandes veränderte sich
Die „Nordschleswiger“-Journalistin hatte bereits im Dezember 2010 ein Interview mit der Projektleiterin geführt. Damals hob Else Christensen-Redzepovic das friedliche Miteinander im Grenzland hervor und unterstrich, dass man „einander in all den Unterschiedlichkeiten nicht nur toleriere, sondern auch schätze“.
Groß war Wasmunds Verblüffung daher, als die Grenzregion in der frisch gedruckten Bewerbungsschrift umfassend anders dargestellt wurde.
„Ich habe gedacht, ich lese nicht richtig“, sagt Sara Wasmund.
Stephan Kleinschmidt hatte die zündende Idee
Von 2010 bis 2013 arbeitete Sara Wasmund auch in der Sonderburger Lokalredaktion. Sie deckte gemeinsam mit Lokalredakteurin Ruth Nielsen die Begebenheiten rund um Sonderburgs Kandidatur zur Kulturhauptstadt 2017 ab.
Die Idee zur Bewerbung der Alsenmetropole stammte vom Vizebürgermeister und Vorsitzenden des kommunalen Kulturausschusses, Stephan Kleinschmidt.
Als aktives Mitglied der deutschen Minderheit und Abgeordneter des Stadtrates für die Schleswigsche Partei (SP) brachte der Sonderburger, der auch damals Vorsitzender des kommunalen Kultur- und Gewerbeausschuss war, die Idee auf, seine Heimatstadt und das deutsch-dänische Grenzland als Kandidat für die Kulturhauptstadt 2017 ins Spiel zu bringen.
Kleinschmidts Projekt von Anbeginn begleitet
„Wir haben den Prozess von Anfang an begleitet“, sagt die Lokalredakteurin. Sie denkt daran zurück, dass Kleinschmidts Vorschlag anfangs nicht nur Befürworter fand.
Aber dann hatte das Projekt langsam Form angenommen, und in diesem ganzen Prozess wurde auch eine Bewerbungsschrift erstellt. Sara Wasmund ergatterte ein Presseexemplar für die Lokalredaktion, die damals noch am Rønhaveplads angesiedelt war.
In der Bewerbung vermittelte das Sekretariat unter anderem ein Bild vom Grenzland als Region unterschwelliger und anhaltender Feindseligkeit in den Köpfen der Bürger. Und das 2017-Projekt sah sich, so Wasmund, als Friedensstifter und Heilsbringer für das, in den Augen der Bewerbungsschreibenden, noch immer feindselig vor sich hin brütende Bürgertum im Grenzland.
Projektinitiator „auch sehr unglücklich über die Formulierung“
Sara Wasmund bat Projektinitiator Stephan Kleinschmidt um einen Kommentar: „Er war auch sehr unglücklich über die Formulierung“, so Wasmund.
Projektleiterin Else Christensen-Redzepovic sagte auf Nachfrage von Sara Wasmund, dass sich der Bewerbungstext in erster Linie an die 13 Mitglieder der internationalen Jury richtete.
„Dass man sich als Leser, der das Projekt nicht eng begleitet, über die Worte wundert, verstehe ich. Doch nur, wenn wir uns trauen, mit Fragen zu konfrontieren, können wir Grenzen aufbrechen. Wir wollen eine neue Bewegung in Europa schaffen und die rosarote Brille ablegen“, so die Projektleiterin am 5. Juli 2012 im „Nordschleswiger“.
Raum für neue Zusammenarbeit
Auch Sara Wasmunds (die „Nordschleswiger“-Mitarbeiterin trug damals den Nachnamen Kannenberg, red. Anm.) Online-Artikel im shz.de, schilderte, dass nach Ansicht des Sekretariats noch viel Raum für neue Zusammenarbeit sei. Und man das Motto der Kulturstadt „Countryside Metropolis“ mit den drei Hauptthemen „Confront – Connect – Celebrate“ ernst nehme.
„Unser vorgestelltes Programm zeigt mit aller Deutlichkeit, was für eine kulturelle Vielfalt wir grenzüberschreitend haben. Doch bis dahin müssen wir ehrlich sein, und wir haben die Aufgabe, die beschriebene Grenze zu entfernen“, so die Projektleiterin.
Christensen-Redzepovic sprach im „Nordschleswiger“-Interview des Weiteren an, dass es in den vergangenen Jahren viele grenzüberschreitende Projekte, die mit EU-Mitteln umgesetzt wurden, gegeben habe:
„Doch die Frage, die wir uns trauen zu stellen, ist, ob diese Projekte nur entstanden sind, weil Geld da war oder weil es aus dem Bedürfnis der Menschen nach einer neuen Verbundenheit heraus kam.“
Ich fand es schade, dass die Projektleiterin das so auf die Spitze getrieben hat. Und somit vielleicht auch der Bewerbung Sonderburgs geschadet hat.
Sara Wasmund, Lokalredakteurin
Feindschaft kein Thema für Grenzlandbewohnerin
„Ich denke, es ist auch noch so, dass noch nicht alle Sonderburger zum Konzert nach Flensburg fahren, und dass die Grenze in vielen Bereichen noch da ist. Aber von zäher und langlebiger Feindschaft zu sprechen - darüber bin ich gestolpert. Und da bin ich absolut uneinig“, sagt Sara Wasmund.
Es gebe nach wie vor eine gewisse Grenze, die auf Sprach- und Kulturbarrieren beruhe, aber eine Feindschaft hat Sara Wasmund in all den Jahren, in denen sie im Grenzland gearbeitet und gewohnt hat, nie erlebt:
„Ich fand es schade, dass die Projektleiterin das so auf die Spitze getrieben hat. Und somit vielleicht auch der Bewerbung Sonderburgs geschadet hat.“
Entscheidung fiel bei Liveübertragung
Am 24. August 2012 wurde Aarhus der Sieg zugesprochen. Die Alsenmetropole musste sich mit dem zweiten Platz begnügen. Über tausend 2017-Anhänger drängten sich auf dem Sonderburger Rathausplatz, um die Liveübertragung, die von technischen Problemen geprägt war, aus dem Kopenhagener Kulturministerium zu verfolgen – vereint im Glauben an den Titel europäische Kulturhauptstadt.
Als feststand, dass die jütische Hauptstadt Sonderburg den Sieg ablief, „flossen Tränen in den Alsensund“, wie „Der Nordschleswiger“ am 25. August titelte.
Sara Wasmund schrieb die Stimmungsberichte vom Alsensund und auch den Kommentar des „enttäuschten und traurigen“ Initiators Kleinschmidt, der bedauerte, dass Sonderburg und die Grenzregion „eine einmalige Chance verpasst, eine Kulturhauptstadt zu schaffen, die reell einen Unterschied für Dänemark, Deutschland und ganz Europa hätte machen können“.
Kulturstadt des Herzens
Es war absolut auch eine Enttäuschung für Sara Wasmund, dass Aarhus das Rennen machte. Realistisch zurückblickend wäre Sonderburg vielleicht ein bisschen überfordert gewesen, meint Wasmund.
„Ich denke im Nachhinein, dass die Bewerbung vielleicht zehn Jahre zu früh kam. Mit dem neuen Stadthafen und den ganzen Projekten, die Sonderburg in den vergangenen zehn Jahren aufgebaut hat, wäre es durchaus realistischer gewesen. Aber Sonderburg ist die Kulturhauptstadt 2017 meines Herzens“, verrät Wasmund mit einem Lachen.
Die Kandidatur habe auch dazu beigetragen, dass viele gute Projekte in der Kommune angeschoben wurden.