Leitartikel
„Öffentliche Mobilität ist Nordschleswigs Zukunft – doch die Region schläft“
Öffentliche Mobilität ist Nordschleswigs Zukunft – doch die Region schläft
Öffentliche Mobilität ist Nordschleswigs Zukunft
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Der bedarfsorientierte ÖPNV und der Vorrang für Direktverbindungen gehören in die Mottenkiste – ein Netz aus Knotenpunkten für Busse und Bahnen muss auch abseits der Städte her. Nur so kann sich Nordschleswig interessant machen für Menschen und Unternehmen, die kommen oder bleiben sollen, findet Cornelius von Tiedemann.
Elektroauto hin oder her: Wenn Nordschleswig einen Ruf als Zukunftsregion aufbauen will, dann muss endlich ein schlüssiges Konzept für Nah- und Fernverkehr her, das sich nach den wahren Bedürfnissen der Menschen richtet.
Das heißt: Busse und Züge, die zumindest tagsüber nicht nur zu Stoßzeiten, sondern in festen Takten regelmäßig fahren und die auch die mittleren und kleineren Ortschaften zuverlässig und planbar in einem Netz ohne Löcher und Fransen miteinander verbinden.
Wer Bus, Zug und Fahrrad kombinieren will, braucht übersichtliche, sichere und regelmäßige Angebote!
Cornelius von Tiedemann
Das heißt auch: Radwege, die den zu erwartenden massiven Anstieg von Menschen mit E-Fahrrädern nicht nur meistern können, sondern dieser für Klima, Gesundheit und bei sorgfältiger Planung auch Verkehrssicherheit zuträglichen Fortbewegungsmethode, neben dem klassischen Fahrrad, Vorfahrt gewähren.
Und das heißt: Nicht nur Flexibilität verlangen – sondern auch anbieten. Wer Bus, Zug und Fahrrad kombinieren will, braucht übersichtliche, sichere und regelmäßige Angebote! Und dafür gibt es Vorbilder, die funktionieren. Auch abseits der Städte. Dazu gleich mehr.
Die Realität in Nordschleswig sieht leider vollkommen anders, ja, geradezu chaotisch aus. Und Fortschritt ist nicht in Sicht.
Beispiel: Wenn ich aus meinem Wohnort morgens nach Apenrade möchte, fährt genau ein Bus, gegen 7 Uhr, gegen 8 Uhr wäre ich dann im Büro. Wenn ich dann um 17 Uhr wieder nach Hause möchte, fährt genau kein Bus. Der letzte fährt gegen 15.45 Uhr. Zwischen Mittag und frühem Nachmittag fahren derweil etliche Busse hin und her. Weshalb auch immer.
Wenn ich nach meinem Dienst als Redakteur vom Dienst mal erst gegen 19 Uhr Feierabend mache, gibt es kein reguläres Angebot mehr, nach Hause zu kommen. Nicht mal mit zeitraubenden Umstiegen. Lediglich „Flex“-Touren werden mir angeboten. Für 97 Kronen pro Fahrt, die 1 Stunde und 5 Minuten dauern soll.
Mit dem Auto brauche ich, wenn ich mir Zeit lasse, eine halbe Stunde, und selbst bei den heutigen Benzinpreisen und wenn ich an jeder Ampel den Motor aufheulen lassen würde – da auf 97 Kronen Benzinkosten zu kommen, wird schwer.
Als Ergänzung zum ÖPNV ist die „Flextur“ eine super Sache – aber leider auch eine willkommene Ausrede. Dafür nämlich, dass ein ordentlich strukturiertes Angebot der verantwortlichen Politik in Region und Kommunen nicht mehr Geld wert ist. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Wählerinnen und Wähler zwangsläufig Autofahrerinnen und Autofahrer sind?
Denn, zurück zum Beispiel: Selbst mit dem Rad würde ich die rund 25 Kilometer nicht nur aus konditionellen Gründen nur mit Glück dauerhaft überleben. Nur auf Teilstrecken gibt es überhaupt einen eigenen Fahrradweg. Auf langen Kilometern teile ich mir die Straße auf abenteuerliche Weise mit Bussen, Lastern, Treckern, Mähdreschern und Autos. Autos, die mit etwas Pech zu spät dran sind und es beim SMS-Tippen („Bin gleich da“) gerne deutlich eiliger als die erlaubten 80 km/h haben.
Eine fortschrittliche Gesellschaft erkennen wir nicht daran, dass sogar die Ärmeren mit Autos fahren – sondern daran, dass auch die Reicheren den öffentlichen Verkehr benutzen.
Enrique Peñalosa
Also: Her mit mehr Druck auf die Politik – und von der Politik. Druck dürfte übrigens auch gerne aus der Wirtschaft kommen. Schließlich setzt die sich, siehe Danfoss und die Sonderburg-Autobahn bzw. Alsen-Fünen-Brücke, gerne und erfolgreich für Infrastrukturprojekte ein.
Ein berühmtes Zitat des ehemaligen Bürgermeisters von Bogotá, Enrique Peñalosa, bringt es auf den Punkt: „Eine fortschrittliche Gesellschaft erkennen wir nicht daran, dass sogar die Ärmeren mit Autos fahren – sondern daran, dass auch die Reicheren den öffentlichen Verkehr benutzen.“ Bus, Bahn und Fahrrad statt (oder neben) Tesla. Was spricht dagegen?
Der Blick ins Ausland, er lohnt sich auch hier. In die Niederlande, wo die Fahrrad-Infrastruktur auch auf dem Lande der von Kopenhagen noch mal deutlich überlegen ist und wo Fahrräder fast überall grundsätzlich Vorfahrt haben. Wo auf Auto-Straßen aufgemalte Trenn-Striche statt wirklich getrennt angelegter Fahrradwege nicht als Infrastruktur – sondern als schlechter Witz gelten.
Weg vom Gedanken der Direktverbindungen – hin zu regelmäßigen Verbindungen zu Knotenpunkten, an denen ohne lange Wartezeiten umgestiegen werden kann.
Cornelius von Tiedemann
Oder in die Schweiz, wo Busse und Bahnen nur dann zu spät sind, wenn sie aus dem Ausland kommen. Und wo sie (übrigens schon seit genau 40 Jahren!) immer so getaktet sind, dass sich die Menschen darauf verlassen können, dass fast überall im Lande halbstündlich, mindestens aber stündlich ein Zug, Bus oder Schiff ankommt, um sie abzuholen und weiterzubefördern.
Statt die Verbindungen, wie hierzulande noch üblich, nach wie auch immer ermitteltem Bedarf zwischen größeren Orten oder Einrichtungen (Schulzentren usw.) zu bestimmten Stoßzeiten auszurichten, geht die Schweiz systematisch vor.
Weg vom Gedanken der Direktverbindungen – hin zu regelmäßigen Verbindungen zu Knotenpunkten, an denen ohne lange Wartezeiten umgestiegen werden kann. Deutschland hat sich den schweizerischen Takt abgeschaut und will ihn in den kommenden Jahren bundesweit umsetzen.
Und was ist mit Dänemark? Oder wenigstens Süddänemark?
Zumindest Nordschleswig würde enorm davon profitieren, wenn Süd- und Nordschleswig im öffentlichen Personenverkehr eines Tages im Gleichtakt schwingen. Wenn Busse und Bahnen uns wie selbstverständlich in einem Netz zwischen Niebüll, Tondern, Tingleff, Flensburg, Apenrade, Sonderburg und so weiter reibungslos ans Ziel brächten.
Doch leider werden nicht zuletzt die Grenzkontrollen – die schon heute deutsche Busse vor der Grenze umkehren lassen – und vor allem der hartnäckige, aber längst widerlegte Glaube an den „bedarfsorientierten“ öffentlichen Verkehr dies zu verhindern wissen.