Leitartikel
„Ortsschilder-Debatte: Minderheitenrechte dürfen nicht zur Abstimmung gestellt werden“
Ortsschilder: Minderheitenrechte dürfen nicht zur Abstimmung gestellt werden
Minderheitenrechte nicht zur Abstimmung stellen
Diesen Artikel vorlesen lassen.
Absurde Idee: Seit wann werden unsere Rechte zur Wahl gestellt? Und weshalb auf kommunaler Ebene? Cornelius von Tiedemann zeigt auf, was es bedeutet, wenn Politikerinnen und Politiker sich ihrer demokratischen Verantwortung nicht bewusst sind.
Als mir vor einigen Jahren ein Folketingsabgeordneter sagte, dass er persönlich die zweisprachigen Ortsschilder zwar für eine gute Idee halte – er aber meine, dass die Menschen vor Ort, also in den Kommunen, darüber abzustimmen hätten, war ich doch erstaunt. Der Mann hatte im Laufe seiner politischen Karriere viel dafür getan, dass die deutsche Minderheit in Dänemark zu ihren Rechten kommt. Wie konnte er dann solch eine Aussage treffen, die im Kern gegen alles steht, was Minderheitenrecht bedeutet?
Erstens tat er das, weil das auf Christiansborg Konsens ist. Und zweitens, und das ist der traurige Grund für diesen Konsens, weil das Wissen um Minderheitenrechte und wirksame Minderheitenpolitik eben selbst bei jenen, die sich für Minderheiten einsetzen, oft mangelhaft ist. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht.
Auch in Nordschleswig und selbst in der Minderheit gibt es Stimmen, die weiterhin sagen, dass es erst dann zweisprachige Ortsschilder geben solle, wenn die Mehrheit der Lokalbevölkerung dies wünsche. Nun gut. Der Gedanke ist verständlich. Man will nicht anecken – und Rücksicht nehmen.
Was aber jene bewegt, die die Macht haben, die Schilder gemäß den Konventionen anzuordnen, es aber den Kommunen überlassen wollen, dafür Mehrheiten zu finden, ist eines der ganz großen Probleme der Minderheitenpolitik: dass Vertretende der Mehrheitsbevölkerung der Meinung sind, dass Minderheitenrechte Zugeständnisse seien. Dass es die Gnade der Mehrheit sei, die es Minderheiten erlaubt, sich einigermaßen frei zu entfalten.
De facto und außerhalb der politischen und konventionellen Spielregeln mag das so sein. Denn wenn sich eine Mehrheit gegen alle Regeln gegen eine Minderheit richtet, hat diese meistens schlechte Karten. Das ist reine Arithmetik.
Grundrechte können nicht zur Abstimmung gestellt werden; sie hängen nicht vom Ergebnis von Wahlen ab.
Cornelius von Tiedemann
Doch gelebte Minderheitenpolitik, wozu sich unter anderem Dänemark in der Sprachencharta und anderen Konventionen längst verpflichtet hat, sieht eben genau vor, dass Minderheiten ungeachtet der Mehrheitsverhältnisse Rechte haben. Dass ihnen Gleichstellung nicht zugestanden wird, sondern dass sie ihnen uneingeschränkt zusteht.
Sonst wäre es keine Gleichstellung! Beziehungsweise, nur um den Punkt noch einmal zu verdeutlichen: Wenn die Minderheit bei der Mehrheit um Zugeständnisse bitten müsste, wäre sie ausschließlich dann gleichgestellt, wenn auch die Mehrheit bei der Minderheit um Zugeständnisse bitten müsste. Und das jedes Mal, wenn weitreichende Entscheidungen getroffen würden, die auch nur im Entferntesten die Minderheit betreffen könnten.
Minderheitenrechte sind von Gesellschaften, Staaten und Staatenbünden, die es ernst meinen, als Grundrechte zu verstehen. Und Grundrechte können nicht zur Abstimmung gestellt werden; sie hängen nicht vom Ergebnis von Wahlen ab.
Wenn in den Kommunen Nordschleswigs darüber abgestimmt werden soll, ob das Recht auf öffentliche Sichtbarkeit der Minderheit (zum Beispiel auf Ortsschildern) umgesetzt wird, werden sie dann wieder abgebaut, wenn sich die Stimmung ändert?
Und dann könnten wir ja auch in Tondern darüber abstimmen, ob dort das Gleichstellungsgesetz für Frauen und Männer akzeptiert wird.
Oder in Sonderburg, ob wir uns noch an die Verkehrsregeln halten – oder wie wärs mit Linksverkehr?
Wir könnten in Hadersleben darüber abstimmen, ob wir uns in Bezug auf andere Minderheiten, zum Beispiel Seniorinnen und Senioren über 80, nicht von „Zugeständnissen“ befreien, die ihnen Pflege und ein würdiges Alter zusichern.
Und in Apenrade entscheiden wir uns einfach mehrheitlich gegen die Teile der Verfassung, die das Rechtswesen regeln. Recht hat in Zukunft, wer am lautesten brüllen kann.
Vielleicht kommen wir ja dann zu zweisprachigen Ortsschildern. Ölt schon mal die Stimmbänder!