Leitartikel

„Die Identität der Minderheit: Wer sind wir eigentlich?“

Die Identität der Minderheit: Wer sind wir eigentlich?

Die Identität der Minderheit: Wer sind wir eigentlich?

Nordschleswig/Sønderjylland
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In der dänischen Minderheit in Südschleswig wird die Debatte über die eigene Identität unter anderem von Grænseforeningen angeschoben. Die deutsche Minderheit in Nordschleswig steht vor ähnlichen Diskussionen, meint Chefredakteur Gwyn Nissen.

Was bist du? Deutsch? Dänisch? Nordschleswigerin? Synnejye? Deutsch gesinnter Nordschleswiger. Deutsch-Dänisch oder vielleicht Dänisch-Deutsch. Wer sind wir?

Diese Frage stellen sich die deutsche Minderheit in Nordschleswig und ihre Angehörigen seit ihrer Gründung 1920. Und die dänische Minderheit in Südschleswig ebenfalls – nur in einer wesentlich intensiveren Debatte als nördlich der Grenze. Vielen sydslesvigere passen die deutschen Farben nicht ins Bild des Dänentums.

Der dänische Grenzverein Grænseforeningen warf vor einigen Jahren den Begriff „Bindestrich-Identität“ in den Raum. Geprägt wurde der Begriff unter anderem von den jugendlichen Kulturbotschafterinnen und -botschaftern des Grenzvereins.

„Sie fühlen sich Dänisch und leben in der dänischen Minderheit, haben jedoch auch ein deutsches Standbein, weil sie in Deutschland wohnen. Man trägt beide Nationalitäten in sich“, sagte die neue Direktorin von Grænseforeningen, Hanne Sundin, im „Nordschleswiger“-Interview.

Sundin hat gerade die neue Strategie des Grenzvereins vorgestellt. Ihr Vorgänger Knud Erik Therkelsen hatte den Blick in die weite Welt geworfen – nun will Sundin wieder zurück zu den Wurzeln, zum Kern, mit dem verstärkten Fokus auf das Grenzland.

Zu erzählen, wie es sich in der Minderheit lebt, darin sieht sie die wichtigste Aufgabe für sich und den Verband. Dazu zählt eben auch die Diskussion über die eigene Identität – mit oder ohne Bindestrich.

Es ist auch eine Diskussion, die in der deutschen Minderheit geführt wird. Zwar nicht offiziell, aber immer wieder, wenn man mit Freunden oder Bekannten zusammensitzt. Wer sind wir eigentlich? Sind wir dieselben wie unsere Eltern. Waren sie damals mehr Deutsch und sind wir heute mehr Dänisch? Sind wir Deutsch und Dänisch? Deutsch-Dänisch?

Es sind immer wieder interessante Gespräche, wobei man feststellen muss: Es gibt nicht die eine Antwort auf die Frage der Identität, und ist genau das nicht die Antwort, die sich die Minderheit zu Herzen nehmen sollte? Dass diese Minderheit so viele Antworten auf „wer bin ich“ hat, wie sie Angehörige hat?

Es gibt kein richtiges oder falsches Minderheitenleben. Nicht, wenn wir eine offene und inklusive Minderheit sein wollen. Um dies zu erreichen, werden wir in der deutschen Minderheit in den kommenden Jahren noch mehr über die eigene Identität reden (müssen).

Zum einen stehen wichtige Gespräche an über die Zukunft der Minderheit. Über Strukturen, wie sich die deutsche Volksgruppe organisiert, und in welche Richtungen sich die Minderheit entwickeln möchte.

Zum anderen muss sich die Minderheit damit auseinandersetzen, wie sie mit den vielen neuen Familien aus Deutschland umgeht, die nach Nordschleswig gezogen sind. Viele sehen sie als Potenzial für die Deutschen in Nordschleswig, für die Schulen, Kindergärten und Vereine. Die kritische Masse der Minderheit wird größer – kleine Schulen und Kindergärten können bewahrt, Vereine mit neuem Leben erfüllt werden.

Andere wiederum sehen darin auch eine Gefahr für die eigene Kultur und Identität. Sind wir noch dieselbe Minderheit, wenn das Verhältnis zwischen Kern-Minderheit und neu Hinzugezogenen sich so stark verändert?

Da tun sich aktuell einige Herausforderungen auf, denn die deutsche Minderheit ist bestimmt nicht, wie sie einmal war. Die Minderheit und ihre Mitglieder sind heute weitaus fragmentierter als noch vor wenigen Jahren – und dennoch geht es um den Versuch, weiterhin alles unter einen Hut zu bekommen. Das ist heute schwieriger als noch vor Jahren, weil der jeweilige Ausgangspunkt nicht mehr derselbe ist.

Der Deutsche Schul- und Sprachverein für Nordschleswig und die deutschen Schulen haben diese Herausforderung bereits angenommen: Minderheit und Identität sind heute Teil des Unterrichts, und es werden insbesondere eigene Schülerbotschafterinnen und -botschafter ausgebildet.

Wer sich nicht mehr an die eigene Schulzeit erinnert oder meint, damals nichts über die Minderheit zu wissen bekommen zu haben, sollte im Deutschen Museum in Sonderburg beginnen, um der eigenen Identität näherzukommen.

 

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