Menschenrechte
Jan Diedrichsen: Hochgefährliche Situation in der Minderheitenfrage
Jan Diedrichsen: Hochgefährliche Situation in der Minderheitenfrage
„Hochgefährliche Situation in der Minderheitenfrage“
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Minderheiten in Europa würden wieder für politische Zwecke instrumentalisiert. So lautet die Einschätzung des ehemaligen Leiters des BDN-Sekretariats in Kopenhagen und Leiters der Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages bei der Europäischen Union. Dänemark und Deutschland sollten sich stärker dafür einsetzen, dass Minderheitenrechte in der EU verankert würden.
Wenn es darum geht, die Rechte von Minderheiten doch noch in der Europäischen Union zu verankern, ist der ehemalige Leiter des BDN-Sekretariats in Kopenhagen, Jan Diedrichsen, alles andere als optimistisch.
„Ich sehe die Chancen als ausgesprochen gering an. Der richtige Moment ist verpasst worden“, lautet seine Einschätzung.
Politischer Missbrauch der Minderheitenfrage
Dabei sei eine solche Verankerung wichtiger denn je. Die Minderheitenfrage werde zunehmend wieder zu einem politischen Kampfplatz – oder wie Diedrichsen es ausdrückt, sie werde „repolitisiert“. Als aktuelle Beispiele nennt er Ungarn. Die Regierung Victor Orbán blockiert Verhandlungen zwischen der EU und der Ukraine um einen Aufnahmeprozess – und verweist dabei auf die Situation der ungarischen Minderheit.
Ich halte diese Entwicklung für hochgefährlich. Die Minderheiten können dabei nur verlieren.
Ein zweites Beispiel sei die Situation auf dem Balkan, wo die Loslösungsbestrebungen der Republik Srpska von Bosnien-Herzegowina im November fast zu einer erneuten kriegerischen Auseinandersetzung geführt haben. Für Diedrichsen auch eine Folge der Repolitisierung der Minderheiten- und Nationalitätenfrage.
„Ich halte diese Entwicklung für hochgefährlich. Die Minderheiten können dabei nur verlieren“, sagt Diedrichsen.
Optimismus vor 15 Jahren
2007 sah er die Lage noch deutlich optimistischer. Damals hatte er soeben die Leitung des Kopenhagener Sekretariats des Bundes Deutscher Nordschleswiger (BDN) übernommen. Die Frage der deutschen und ungarischen Minderheiten in den mittel- und osteuropäischen Staaten stand auf der Tagesordnung.
Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien und der Völkermord in Srebrenica waren in frischer Erinnerung. Der Balkan-Konflikt hatte auf blutige Weise verdeutlicht, dass Lösungen für die Minderheiten notwendig sind.
„Es gab in den Jahren eine positive Entwicklung. Es erschien möglich, dass es der Staatengemeinschaft gelingen könnte, Antworten auf die Frage von Krieg und Frieden zu finden, indem die für die Minderheiten und Nationalitätenfragen geklärt werden“, so Diedrichsen.
Das gescheiterte Volksbegehren
Dass es nicht geglückt ist, die Minderheitenrechte in der EU zu verankern, ist für ihn ein großes Versagen. Die EU-Kommission hat 2021 die Bürgerinitiative zum Minderheitenschutz, Minority Safe Pack, abgeschmettert. Und dies, obwohl mehr als 1 Million Menschen die Initiative unterzeichnet hatten und das EU-Parlament sie mit großer Mehrheit unterstützte.
„Die EU ist selbstverständlich nicht schuld an der Instrumentalisierung der Minderheitenfrage auf dem Balkan, das sind die Staaten. Aber sie trägt eine Mitverantwortung für die Entwicklung, weil sie es nicht geschafft hat, gemeinsame Standards für Minderheiten zu schaffen.“
Entscheidender wäre, dass sich Dänemark und Deutschland viel stärker auf europäischer Ebene für ihre Minderheitenpolitik einsetzen. Denn hier versagt die EU.
Bekenntnis der Staaten als Voraussetzung
Es sei im Eigeninteresse der EU-Staaten gewesen, den Minderheitenschutz auf der europäischen Ebene zu verankern. Doch die Angst davor, Souveränität an die EU abgeben zu müssen, habe sie daran gehindert, dieses Eigeninteresse zu erkennen. Minderheiten seien vielen Nationalstaaten immer auch ein wenig suspekt.
„Wenn der Modellcharakter des deutsch-dänischen Grenzlandes und der Einsatz der Minderheiten hervorgehoben werden, wird häufig vergessen, dass es ohne ein klares Bekenntnis der Territorialstaaten zu den Minderheiten nicht funktionieren würde“, so der Minderheitenexperte.
„Grundlage exportieren“
Daher gehe es auch weniger darum, das deutsch-dänische Minderheitenmodell als Lösung für jegliche Grenz- und Minderheitenkonflikte anzupreisen und zu exportieren. Wichtiger sei, die Grundlage zu exportieren.
„Es freut uns selbstverständlich – und ist auch verdient –, wenn die Staaten uns als Minderheiten loben. Doch etwas weniger davon würde auch reichen. Entscheidender wäre, dass sich Dänemark und Deutschland viel stärker auf europäischer Ebene für ihre Minderheitenpolitik einsetzen. Denn hier versagt die EU.“
Dicke Bretter bohren
Diedrichsens eingangs erwähnter Pessimismus hängt auch damit zusammen, dass er sich, als Leiter der Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages bei der EU, mit der politischen Dynamik in Brüssel gut auskennt. Mit dem Scheitern des Volksbegehrens zum Minderheitenschutz sei wichtiges Momentum verloren gegangen.
„Als Minderheiten sind wir jedoch gewohnt, dicke Bretter zu bohren. Wir dürfen nie aufgeben, denn wir ermöglichen so Machthabern wie Orbán, sich als Schützer der Minderheiten darzustellen, obwohl er sie in Wahrheit instrumentalisiert.“
Dänemark und Deutschland sollten sich dafür einsetzen, dass der Europäische Rat und die Kommission Vorschläge und Beschlüsse des EU-Parlaments zu Minderheitenrechten umsetzen. Eine Möglichkeit dafür könnte sich bereits demnächst bieten. Wie „Der Nordschleswiger“ berichtete, hat das Parlament jüngst einem Reformbericht zur Änderung der europäischen Verträge zugestimmt. In dem sind auch Vorschläge zum Schutz und zur Förderung von Minderheitensprachen enthalten.
Der Europäische Rat hätte sich am 14. Dezember mit den Vorschlägen des Reformberichts befassen müssen. Der Punkt ist jedoch auf das Frühjahr vertagt worden.