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„Die Sprache, der Herzschlag Europas“

Die Sprache, der Herzschlag Europas

Die Sprache, der Herzschlag Europas

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Brüssel
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Heute ist der Europäische Tag der Sprachen, und anlässlich dieses Datums widmet sich Jan Diedrichsen in seiner Kolumne der Minderheitensprachen – von denen es auch vier im deutsch-dänischen Grenzland zu pflegen gibt. Wir sollten gut achtgeben, damit uns diese besondere sprachliche Vielfalt nicht abhandenkommt, appelliert der Kolumnist.

Es scheint, als gäbe es inzwischen für alles einen eigenen Gedenktag – vom Welt-Nutella-Tag bis zum Tag der verlorenen Socke. Bei dieser Inflation von ,Tagen des …’ verliert man leicht den Überblick und den Sinn dahinter. 

Der Europäische Tag der Sprachen am 26. September könnte schnell in dieselbe Kategorie fallen. Offiziell soll er die sprachliche Vielfalt unseres Kontinents feiern, aber es stellt sich die Frage, ob solche Gedenktage tatsächlich etwas bewegen oder nur Kalendereinträge bleiben. Was bleibt davon im Alltag? Ein paar nette Worte, vielleicht eine Veranstaltung – und dann? Inzwischen sterben Sprachen in Europa leise, fast unbemerkt, aus.

Schauen wir in unser deutsch-dänisches Grenzland. Hier leben wir seit Generationen mehrsprachig: Deutsch, Dänisch, Friesisch und Romanes. Diese Vielfalt ist ein Schatz, aber sie ist bedroht. Das Friesische mit seinen verschiedenen Idiomen kämpft ums Überleben. Trotz intensiver Bemühungen stellt sich die Frage, ob genug getan wird, um diese einzigartige Sprache langfristig vor dem Aussterben zu bewahren. Vor ähnlichen Herausforderungen steht das Romanes der Sinti und Roma.

Es ist paradox: Während in politischen Reden die Bedeutung der Sprachenvielfalt betont wird, fehlt es oft an konkreten Maßnahmen. Förderprogramme und Initiativen gibt es, aber reichen sie aus? Die Politik in Schleswig-Holstein betont ihre Unterstützung für die Minderheitensprachen, doch kritische Stimmen fragen, ob dies ausreicht, um den Sprachverlust tatsächlich aufzuhalten.

Auch die deutsche Minderheit in Nordschleswig steht vor der Herausforderung, die deutsche Sprache lebendig zu halten. In einem Umfeld, in dem Dänisch oder Sønderjysk dominiert, ist es eine ständige Aufgabe, Deutsch im Alltag präsent zu halten. Sprache ist aber mehr als ein Verständigungsmittel, sie ist Teil unserer Identität. Ohne sie verliert die Minderheit einen wesentlichen Teil ihres Selbstverständnisses. Kann man sich noch als deutsche Minderheit bezeichnen, wenn die Sprache kaum noch verwendet wird?

Natürlich ist die Sprache nicht das einzige Merkmal einer Minderheit, aber sie ist ein zentrales Element. Es reicht nicht, sich auf dem historisch Erreichten auszuruhen. Aktives Handeln ist gefragt – von der Politik, aber auch von uns selbst. Es ist leicht, auf Unterstützung von außen zu hoffen, aber was tun wir selbst für den Erhalt unserer Sprachen?

Der Linguist David Crystal hat einmal gesagt: „Wenn eine Sprache stirbt, verlieren wir einen Blick auf die Welt.“ Jede Sprache eröffnet uns einzigartige Perspektiven und bereichert unser kulturelles Erbe. In einer Zeit, in der engstirniger Nationalismus wieder auf dem Vormarsch ist, ist die Pflege der Sprachenvielfalt ein Akt des Widerstands gegen Einfalt und Hass.

Der Europäische Tag der Sprachen sollte mehr sein als ein Kalenderdatum. Er sollte ein Weckruf sein – an die Politik, an die Gesellschaft und an jeden Einzelnen von uns. Europas Sprachen sind unser gemeinsames Erbe. Lassen wir es nicht verkommen.

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Kommentar

Gerrit Hencke
Gerrit Hencke Journalist
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