75 Jahre „Der Nordschleswiger“
„Bei dem Wort Grenze bin ich sofort alarmiert gewesen!“
„Bei dem Wort Grenze bin ich sofort alarmiert gewesen!“
„Bei dem Wort Grenze bin ich sofort alarmiert gewesen!“
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„Der Nordschleswiger“ wurde am 2. Februar 75 Jahre alt. Wir bringen im Laufe des Jubiläumsjahres eine Serie über uns selbst. In diesem Abschnitt erinnern sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an eine Arbeitsaufgabe, die einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat. Bei Journalistin Kerrin Jens hat das Thema Grenzschließung den Alltag bestimmt.
Journalistin Kerrin Jens ist im Herbst 2019 beim „Nordschleswiger“ angestellt worden. Die Flensburgerin arbeitet in der Hauptredaktion des Webmediums der deutschen Minderheit. Sie hat kein festes Ressort und befasst sich thematisch mit „allem, was gerade anfällt“. Die Vielfältigkeit in ihrem Berufsalltag wurde mit Beginn der Corona-Krise ein wenig auf Pause gestellt. Das erzählt die 28-Jährige in einem Interview, das Anfang Juni geführt wurde, kurz bevor sich die dänischen Corona-Restriktionen bei der Wiedereröffnungsvereinbarung lockerten.
Grenzschließung ein Thema mit Langzeitwirkung
„Die Grenzschließung ist das Thema, das mich seit März 2020 bewegt“, sagt Kerrin Jens und lacht.
Es ergab sich zufällig, dass die Flensburgerin für den Themenbereich sensibilisiert wurde. „Ich hatte gerade Dienst, als es losging mit der Grenzschließung. Dann habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen, und es kam immer etwas Neues“, erinnert sie sich. Dänemark machte am 14. März 2020 die Grenzen dicht, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus einzudämmen. Deutschland verhängte Einreisebeschränkungen am 16. März 2020.
Journalistin machte die Probe aufs Exempel
In den ersten Tagen nach dem Lockdown in Dänemark arbeitete Kerrin Jens im Homeoffice in Flensburg. „Als es dann hieß, dass Grenzpendler reindürfen, habe ich Gwyn (Nissen, Chefredakteur, red. Anmerkung) gefragt, ob ich es austesten soll“, erinnert sich Kerrin Jens. Informationen dazu, welche Dokumente gefordert wurden, um die Grenze zu passieren, waren damals nicht klar definiert.
„Ich war sehr aufgeregt, ob es klappt oder nicht“, erinnert sich Kerrin Jens, die nach der Grenzkontrolle in Richtung Apenrade weiterfahren konnte. Dass sie ihren Heimarbeitsplatz verlassen wollte, um ins „Haus der Medien“ zu fahren, hing damit zusammen, dass die tägliche Papierzeitung des „Nordschleswigers“ erst im Februar 2021 durch ein rein digitales Angebot abgelöst wurde. Die Papierzeitung wurde in den ersten knapp elf Pandemiemonaten zusätzlich zum Webmedium produziert. Wenn Kerrin Jens im Spätdienst arbeitete, legte sie zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Setzerei letzte Hand an die Papierzeitung an.
Ich habe es auch selbst erfahren. Am Anfang bin ich primär von den dänischen Grenzbeamten kontrolliert worden. Aber dann wurde es so, dass ich zweimal am Tag sowohl auf der Fahrt nach Apenrade als auch auf der Heimfahrt kontrolliert wurde.
Kerrin Jens, Journalistin
Pendlerin beklagte: Mindestabstand gilt nicht bei der Grenzkontrolle
Am 25. März 2020 ging Kerrin Jens dem Hinweis einer Leserin nach. Der Grenzpendlerin widerstrebte es, dass die Grenzbeamtinnen und Grenzbeamten regelmäßig sehr nah an ihr Autofenster traten, wenn sie ihre Arbeitsbescheinigung und ihren Ausweis vorzeigte. „Der Mindestabstand von zwei Metern wird keinesfalls gewahrt“, zitierte Kerrin Jens die Pendlerin in ihrem Artikel.
„Ich habe es auch selbst erfahren. Am Anfang bin ich primär von den dänischen Grenzbeamten kontrolliert worden. Aber dann wurde es so, dass ich zweimal am Tag sowohl auf der Fahrt nach Apenrade als auch auf der Heimfahrt kontrolliert wurde.“ Dieser Artikel und die Recherchen dazu bleiben ihr unvergessen.
Stichproben wurden durch kontinuierliche Kontrollen ersetzt
Vor Corona habe sie eine Strichliste geführt, um festzuhalten, wie oft Kontrollen an der Grenze durchgeführt wurden. „Anfangs gab es vielleicht Stichproben einmal im Monat. Nach Corona habe ich die Strichliste aufgegeben, weil ich jedes Mal kontrolliert wurde“, so Kerrin Jens.
Das, was die Beamtinnen und Beamten an der Grenze sehen wollten, war ein Nachweis ihres letzten Gehalts, ihren Arbeitsvertrag und einen Nachweis darüber, dass sie als Journalistin arbeitet. „Diese drei Sachen habe ich noch immer in meinem Auto liegen“, sagt Kerrin Jens. Sie erinnert sich auch daran, dass die Bundespolizei sogenannte Pendler-Bescheinigungen einführte. Diese konnten die Pendlerinnen und Pendler dann hinter die Windschutzscheibe legen, um die Kontrollen zu beschleunigen.
Aber das sei bei der deutschen Beamtenschaft gewesen. Die dänischen Bediensteten hätten den Nachweis nur ab und an akzeptiert, weil es ja eine deutsche Bescheinigung war, sagt Kerrin Jens: „Das kam wohl darauf an, wer gerade Dienst schob.“
Alle mussten sich mit neuer Situation zurechtfinden
Beim Recherchieren für den Artikel, den sie in Verbindung mit dem Tipp der Leserin schrieb, wandte sich Jens an die Beamtenschaft auf beiden Seiten der Grenze. „Alle mussten sich mit der neuen Situation zurechtfinden. Alle waren wohl etwas verwirrt, hatte ich das Gefühl“, so Kerrin Jens.
Nach etwa vierwöchigem Hin- und Herfahren entschloss sich Kerrin Jens, in Flensburg zu bleiben: „Dann wurde es mir zu aufwendig. Wir haben herausgefunden, dass die Papierzeitung auch im Homeoffice gemacht werden kann.“
Viel los in den sozialen Medien
Weil sie gleich am Anfang selbst ausprobierte, wie man über die Grenze kommt, war sie eine der Ansprechpartnerinnen des „Nordschleswigers“ bei Anfragen in den sozialen Medien.
„Wir haben das im Teamwork gemacht, primär, weil die Regeln so kompliziert wurden, als gelockert wurde“, sagt die Journalistin. Meistens war das so, dass Kerrin Jens und ihre Kolleginnen und Kollegen sofort vermeldeten, wenn eine neue Regel verkündet wurde. Die Pressemitteilungen waren oft so formuliert, dass Ausnahmen und Sonderfälle nicht vollends abgedeckt waren, erinnert sich Jens. Das war sowohl auf der deutschen als auch auf der dänischen Seite der Fall. „Ich glaube, die Regierungen waren sich gar nicht bewusst, was für Ausnahmen es gibt“, überlegt Kerrin Jens.
Regeln verständlich machen
Die Pressemitteilungen kamen zu unterschiedlichen Zeiten und oftmals am Ende der Woche. Am Anfang der Krise haben sich die deutschen und dänischen Behörden wohl nicht ausgetauscht, meint Kerrin Jens: „Das war damals mein Eindruck. Vielleicht haben sie sich ein bisschen ausgetauscht im späteren Verlauf.“
Sobald eine behördliche Mitteilung im „Nordschleswiger“ veröffentlicht wurde, löste der Artikel Reaktionen in den sozialen Medien aus. Wenn neue Regeln kamen, wurden diese zunächst vermeldet und kontinuierlich aktualisiert, wenn Kommentare zur Auslegung der Regeln eingeholt worden waren. „Es war auf jeden Fall hektisch und kompliziert. Ich hatte das Gefühl, dass wir Verantwortung hatten, die Regeln verständlich rüberzubringen“, betont die Journalistin.
Da ist mir noch mal vor Augen geführt worden, wie viele Leute die Grenzschließung betrifft.
Kerrin Jens, Journalistin
Wissen mit Infografik visualisiert
Viel Lob bekamen Kerrin Jens und ihre Kollegin Multimediaproduzentin Lana Riedel im Dezember 2020, als sie in einer Infografik visualisierten, was damals berücksichtigt werden musste, wenn im Grenzland lebende Menschen an den Feiertagen zwischen Nordschleswig und Schleswig-Holstein reisten.
„Wir kannten mittlerweile die häufigsten Fragen, und mithilfe des Diagramms haben wir vor den Weihnachtsfeiertagen diese grafisch dargestellt, um einen Überblick zu verschaffen. Da konnten wir unser Wissen, das wir uns lange angearbeitet hatten, weitergeben“, erinnert sich Kerrin Jens.
Die beiden „Nordschleswiger“-Mitarbeiterinnen freuten sich über positive Reaktionen aus Deutschland und aus der deutschen Minderheit. Aber es habe auch Momente gegeben, wo sich Facebook-Nutzer darüber beschwerten, dass ihr Sonderfall nicht erwähnt war.
„Wir konnten eigentlich schon damit rechnen, dass Leute sich darüber beschweren, dass ihr Einzelfall nicht abgedeckt ist. Aber irgendwann haben wir dann gesagt, dass wir nicht jeden einzelnen Fall abdecken können, weil wir es zeitlich nicht hinbekommen“, sagt Jens.
Ein Licht für jemanden auf der anderen Seite der Grenze
Im Mai 2020 machte Kerrin Jens eine Reportage bei der Aktion „Grænselys“. Rund hundert Menschen stellten damals an der deutsch-dänischen Grenze in Krusau/Kupfermühle (Kruså) ein Windlicht auf. Die Lichter waren Personen gewidmet, die man aufgrund der damaligen Grenzschließung nicht sehen konnte.
„Da ist mir noch mal vor Augen geführt worden, wie viele Leute die Grenzschließung betrifft. Wenn man so vor seinem PC sitzt, merkt man manchmal nicht, wer das alles liest, was man schreibt, und für wen es relevant ist“, so Kerrin Jens. Damals habe sie auch gemerkt, dass diese Grenze, die sonst nicht spürbar war, plötzlich die Menschen spaltete.
„Ich hoffe, das sind keine bleibenden Schäden“
Nach über einem Jahr Grenzthematik sei die junge Journalistin „auch bereit, etwas anderes zu schreiben“: „Es reicht mir jetzt. Es wäre schön, wenn die Grenzen wieder offen wären und es keine Restriktionen geben würde“, sagt Kerrin Jens.
Sie sei schon so auf das Wort Grenze geprägt, dass sie zusammenzucke, wenn im Radio oder Fernsehen etwas zu dem Thema Grenze gesagt wird. Als Kollegen der „Tagesschau“ in ihrer Reportage über die Ukraine etwas zur Grenze sagten, reagierte sie sofort: „Bei dem Wort Grenze bin ich sofort alarmiert gewesen. Ich habe gleich überlegt, ob auf unserer Seite etwas aktualisiert werden sollte. Ich hoffe, das sind keine bleibenden Schäden“, sagt die „Nordschleswiger“-Journalistin mit einem Lächeln.