Deutsche Bücherei

Buchtipp im September: Über starke Frauen und Identität

Buchtipp des Monats: Über starke Frauen und Identität

Buchtipp des Monats: Über starke Frauen und Identität

Bjarne Wulf Praktikant
Apenrade/Aabenraa
Zuletzt aktualisiert um:
Claudia Knauer ist begeistert von ihren drei mitgebrachten Büchern. Foto: Bjarne Wulf

Diesen Artikel vorlesen lassen.

Diese Bücher liest Claudia Knauer immer wieder. Die Büchereidirektorin in Apenrade hat zwei Kriminalromane und ein wissenschaftliches Essay für uns. Jeden Monat stellen Expertinnen und Experten der deutschen Büchereien interessante Werke vor.

Der Buchtipp für diesen September hat eine Besonderheit: Er umfasst drei Werke. Claudia Knauer, Direktorin der Deutschen Zentralbücherei, stellt die beiden Romane „Aufruhr in Oxford“ und „Hochzeit kommt vor dem Fall“ von Dorothy L. Sayers sowie das Essay „Identität über alles?“ von Tonio Hölscher vor. Dabei könnten die Genres gegensätzlicher kaum sein. 

„Ich mache mal was anderes. Ich habe jetzt hier keine Neuerwerbungen, sondern ich habe Bücher, die ich eigentlich schon mein ganzes Leben lang immer mal wieder lese“, erklärt Knauer zu den beiden Romanen von Dorothy L. Sayers. „Aufruhr in Oxford“ erschien 1935 und „Hochzeit kommt vor dem Fall“ 1937. „Es ist extrem erstaunlich, wie aktuell diese Bücher noch sein können“, sagt die Buchliebhaberin. 

Viele Themen in einem Buch

In den Romanen gehe es oft um Frauenemanzipation und darum, dass die Frauen keine Lust mehr haben, sich einem Mann unterzuordnen. Dies werde mit den Themen Toleranz, Entspannung und Sorgen wegen des Krieges gespickt, da die beiden Bücher in der Zwischenkriegszeit in den 1920er-Jahren spielen. 

„Die Fragen sind so aktuell, dass du denkst: Wieso um alles in der Welt sind wir zum Teil bei der Gleichberechtigung noch nicht weiter“, erklärt Knauer. 

Die Werke „Aufruhr in Oxford“ und „Hochzeit kommt vor dem Fall“ von Dorothy L. Sayers erschienen zuerst in den 1930er-Jahren. Foto: Bjarne Wulf

Eines der bekanntesten Werke von Dorothy L. Sayers ist eine vierteilige Buchreihe, von der Knauer die letzten beiden Teile vorstellt, über die Krimiautorin Harriet Vane, in die Hauptprotagonist Lord Peter Wimsey verliebt ist. In den Büchern wird Harriet Vane angeklagt, ihren früheren Geliebten mit Gift umgebracht zu haben. 

Aristokrat Lord Peter Wimsey schafft es, Vanes Unschuld zu beweisen. „Harriet ist jetzt dankbar, und sie findet Dankbarkeit absolut daneben. Sie hat keine Lust, dankbar zu sein“, erzählt Knauer. 

Angenommener Heiratsantrag

Im dritten Teil der Buchreihe „Aufruhr in Oxford“ fährt Vane zurück nach Oxford und klärt dort, etwas unterstützt von Lord Wimsey, an ihrem alten Frauencollege einen Kriminalfall auf. Ein Running Gag der Bücher ist, dass Wimsey Vane ständig einen Heiratsantrag macht, den sie immer ablehnt. Bis zur letzten Seite dieses Werkes, wo Vane endlich ihre Zustimmung gibt. 

Kriminalfall statt Flitterwochen

In „Hochzeit kommt vor dem Fall“ haben die beiden geheiratet und wollen in ihr neu gekauftes Haus ziehen. Dort finden sie allerdings eine Leiche und versuchen, den Kriminalfall aufzuklären. Die beiden müssen dabei im Laufe des Buches ihre jeweiligen Rollen sowohl in der Ehe als auch in einem gemeinsamen Detektivteam finden. 

„Das ist auch ein durchgehendes Thema: Wie begegnen sich Mann und Frau auf Augenhöhe? Und wie kann man Intellekt und Liebe vereinbaren?“, erklärt die Büchereidirektorin. Der Fall wird am Ende aufgeklärt. 

„Ich habe mich für diese beiden Teile entschieden, weil ich hier den Plot mag, weil ich finde, dass die schön zusammenhängen und weil in den beiden Büchern so viel Aktuelles vorkommt. Dorothy Sayers hat eine wunderbare Art, Dinge anzudeuten, ohne irgendwie platt zu werden“, berichtet Knauer. 

Eine Auswahl der Bücher von Dorothy L. Sayers ist bei der Bücherei digital erhältlich. Sie sind aber nicht in einer Printausgabe verfügbar. „Aber ich kann jedem, der an so einem Buch vorbeikommt, empfehlen, es zu kaufen. Sie sind einfach ganz fantastisch“, erklärt sie. 

In dem Buch „Identität über alles?“ von Tonio Hölscher hat Claudia Knauer viel markiert. Foto: Bjarne Wulf

Im kompletten Kontrast zu ihren beiden vorherigen Empfehlungen steht Claudia Knauers dritter Buchvorschlag: „Identität über alles?“ von Tonio Hölscher. „Der Autor ist ein Altertumswissenschaftler, der sich über die Frage der Identität Gedanken gemacht hat. Und das ist ja gerade auch in der Minderheit Thema“, erklärt Knauer.

Identität als Begriff an sich 

Hölscher untersucht in seinem kleinen Büchlein den inflationär gebrauchten Begriff der kulturellen, sozialen und politischen Identität. „Das ist ein Wort, mit dem jetzt so wahnsinnig viel gearbeitet wird und zu dem jeder etwas zu sagen hat“, sagt die Buchliebhaberin. Dabei schaut Hölscher von der Antike bis in die Gegenwart auf das Konzept der Identität. 

Ein Aspekt ist dabei das Versteifen in Gruppen, die die eigene Identität teilen und das darauffolgende Ausschließen anderer Identitäten. 

 

Ich will jetzt keinem vorschreiben, wie er mit dem Begriff umzugehen hat. Ich fände es nur schön, wenn man sich mit einem Begriff, der so viel umfasst, auseinandersetzen würde, bevor man ihn verwendet.

Claudia Knauer

„Für mich ist es wichtig, darüber nachzudenken, was Identität denn eigentlich ist. Wir verwenden den Begriff im Moment mit lockerer Hand, egal ob es jetzt um deine sexuelle Identität geht oder die Identität als Minderheitenangehöriger. Da versucht er den Begriff zu fassen und die Fallstricke aufzuzeigen, die dort drinliegen“, erzählt Knauer. „Ich will jetzt keinem vorschreiben, wie er mit dem Begriff umzugehen hat. Ich fände es nur schön, wenn man sich mit einem Begriff, der so viel umfasst, auseinandersetzen würde, bevor man ihn verwendet.“

Mehr lesen

Kulturkommentar

Claudia Knauer
Claudia Knauer
„Auswendiglernen ist nichts nur für die Vorgestrigen“