Leitartikel
„Europawahl: Die deutsche Minderheit hat viele Freunde im neuen Europaparlament“
Europawahl: Die deutsche Minderheit hat viele Freunde im neuen Europaparlament
Die deutsche Minderheit hat viele Freunde in Brüssel
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Verkehrte Welt: Nordschleswig wählt das offene Europa ab – und dennoch kann sich die Minderheit auf viel möglichen Support in Brüssel freuen. Nur ein einziger Abgeordneter aus dem Grenzland wurde gewählt – doch Cornelius von Tiedemann zeigt auf, weshalb es dennoch Grund für Optimismus gibt.
Nach der Europawahl jubelt SF auf Christiansborg. International wird von einem grünen Wahlsieg in Dänemark berichtet und überhaupt davon, dass die nordischen Länder dem allgemeinen Rechtsruck nicht gefolgt sind.
Doch an Nordschleswig hat es nicht gelegen, dass sich Dänemark insgesamt so klar für Europa entschieden hat. Das hiesige Wahlvolk hat sowohl die Dänische Volkspartei (DF) als auch die Støjberg-Partei Dänemarkdemokraten deutlich mehr unterstützt, als dies im Rest des Landes der Fall war. Gemeinsam erreichten die Parteien in Nordschleswig deutlich über 20 Prozent. Auch jene bürgerlichen Parteien rechts der Mitte, die sich nicht für offene Grenzen einsetzen, erhielten hier mehr Zuspruch als anderswo.
Das ist keine Überraschung. Nordschleswig stimmt traditionell gerne und viel rechts. Dennoch bleibt es bemerkenswert, dass nördlich der Grenze Parteien, die das offene Europa ablehnen, so deutlich mehr Zuspruch haben als in Südschleswig.
Das tut schon weh. Gerade auch, wenn wir wissen, dass selbst aus den Kreisen der deutschen Minderheit so einige ihr Kreuz bei jenen setzen, die Europa nicht oder deutlich weniger wollen.
Es ist ihr gutes Recht.
Doch dass diese Parteien auch dazu beitragen, es zu erschweren, dass Menschen- und Minderheitenrechte europaweit durchgesetzt werden, nehmen sie billigend in Kauf.
Was mögen sie sich dabei denken? Vielleicht: „Es geht uns als deutscher Minderheit ja gut. Schließlich ist doch alles bilateral, zwischen Deutschland und Dänemark, geregelt. Die EU und Solidarität mit anderen Minderheiten brauchen wir da gar nicht.“
Aber ist es wirklich selbstverständlich, dass wir etwa deutsche Büchereien, Sportvereine, den Sozialdienst, Kirche, Kindergärten, ein Medienhaus und ein umfassendes deutsches Schulwesen in Nordschleswig haben? Dass wir aus Kiel und Berlin gefördert und aus Kopenhagen voll anerkannt und unterstützt werden?
Was, wenn diejenigen, die Minderheiten schätzen und schützen, plötzlich keine Mehrheit mehr haben? In Kiel, in Berlin, Kopenhagen oder Brüssel?
Soweit ist es zum Glück noch lange nicht.
Und damit es dazu auch nicht kommt, können wir uns hoffentlich besonders auf die Abgeordneten aus Südjütland und Schleswig-Holstein verlassen.
Bemerkenswert: Sie alle sehen Europa als Chance. Einer von ihnen, der Grüne Rasmus Andresen, gehört sogar der dänischen Minderheit an und ist der Einzige, der direkt aus Nord- oder Südschleswig nach Brüssel zieht. Auf ihn können die Minderheiten sich in Brüssel als Verbündeten verlassen.
Auch der holsteinische CDU-Abgeordnete Niclas Herbst darf zu den begeisterten Europäern und sachkundigen Freunden der Grenzland-Minderheiten in Brüssel gezählt werden. Und selbst wenn die Kieler SPD-Politikerin Delara Burkhardt von dem Brüssel-Trio aus SH nördlich der Grenze vielleicht am wenigsten bekannt ist, hat auch sie sich in der Vergangenheit europäisch bereits für die Minderheiten eingesetzt. Nicht zuletzt im dafür zuständigen Ausschuss des Europaparlaments. Alle drei aus Schleswig-Holstein saßen zuletzt übrigens auch in der „Interfraktionellen Arbeitsgruppe traditionelle Minderheiten, nationale Gemeinschaften und Sprachen“ des Europaparlaments.
Aus Dänemark gehört dieser Arbeitsgruppe leider noch niemand an. Und aus Nordschleswig zieht, wenn wir Ripen (Ribe), die Heimatstadt von Henrik Dahl (Liberale Allianz), mal nicht dazuzählen, niemand ins Europaparlament. Dahl ist in der Minderheit allerdings durch jahrelange Folketingsarbeit – und seine aktuelle Mitgliedschaft im Kontaktausschuss für die deutsche Minderheit – alles andere als ein Unbekannter. Und neben ihm ziehen immerhin aus dem Raum Kolding noch der Venstre-Mann und Landwirt Asger Christensen und der ehemalige dänische Außenminister Villy Søvndal für SF ins Europaparlament.
Zumindest letzteren könnte Fraktionsgenosse Rasmus Andresen ja vielleicht für die Minderheiten-Arbeitsgruppe begeistern.
Aus Vejle ist der Konservative Niels Flemming Hansen auf dem Weg ins Europaparlament. Er hat seine Lehre in einer Schuhfabrik einst in Deutschland absolviert und kennt Nordschleswig nicht nur wegen seiner engen beruflichen Verbindung zu Ecco.
Nicht aus Südjütland stammt die einzige Abgeordnete der Moderaten, Stine Bosse. Doch auch und besonders auf die vielseitig engagierte Geschäftsfrau dürfen die deutsche Minderheit und das deutsch-dänische Grenzland insgesamt in Brüssel hoffen. Erst kürzlich wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz für ihren Einsatz für die deutsch-dänischen Beziehungen und den europäischen Geist in Dänemark ausgezeichnet. In Dänemark, und selbst in Brüssel, dürfte eine begeistertere Europäerin schwer zu finden sein.
Das europaweite Ergebnis der Europawahl insgesamt fiel für die Freundinnen und Freunde offener Grenzen und progressiver Minderheitenpolitik ernüchternd aus. Doch die deutsche Minderheit in Nordschleswig hat viele neue und alte Bekannte – und auch manche Freunde – in Brüssel. Und hier sind Abgeordnete aus anderen Regionen und Ländern noch gar nicht mit aufgezählt.