Lyrik
„Ich fühle mich in Dänemark weniger beobachtet“
„Ich fühle mich in Dänemark weniger beobachtet“
„Ich fühle mich in Dänemark weniger beobachtet“
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Der Dichter Andreas Greve ist zum zweiten Mal nach Dänemark gezogen. Seine Gedichte auf Deutsch und Dänisch sind noch bis Ende November in Apenrade zu sehen. Bebildert hat sie der bekannte Fotograf Lars Skaaning. „Der Nordschleswiger“ vermittelt einen ersten Eindruck.
„Ich bin immer ein wenig der Wanderer zwischen den Welten gewesen“, beginnt Andreas Greve die Beschreibung seines Lebensweges.
Und der führt ihn aktuell in die Deutsche Zentralbücherei nach Nordschleswig, wo er noch bis zum 30. November 18 kurze Gedichte zusammen mit Aufnahmen des Fotografen Lars Skaaning ausstellt.
In ihnen beleuchtet Greve Situationsmomente, Stimmungen, Sehnsüchte und würzt diese stets mit einer Prise Humor. Er entpuppt sich dabei als scharfsinniger Beobachter. Die in Worte gekleideten Details spiegeln sich auf geniale Weise in Skaanings Fotografien wider, und da Text und Bild paarweise miteinander verknüpft sind, gehen sie eine Symbiose ein.
Wanderer zwischen den Welten, dem Norden verfallen
Ein Wanderer zwischen den Welten ist der 69-jährige Andreas Greve gleich in mehrfacher Hinsicht. Geboren und aufgewachsen ist er in Hamburg, für sein Kunstpädagogikstudium ging er nach Braunschweig und machte danach eine Zimmermannslehre. „Das Künstlerische liegt in mir. Es stellte sich aber heraus, dass ich offenbar nicht das Handwerk als Beruf meinte“, gibt er lakonisch zu Protokoll, „denn ich war der schlechteste Zimmermann Südfünens.“
Das Handwerk hatte ihn in den 1980er Jahren nämlich nach Fünen gebracht, wo er sich als Freiwilliger am Bau der Heimvolkshochschule in Assens beteiligte. Nach 13 Jahren ging er zurück nach Hamburg. Doch vor einigen Jahren fand er seinen Weg zurück auf die Insel in der geografischen Mitte Dänemarks, die ihm seitdem als steter Inspirationsort für seine Gedichte dient.
„Ich fühle mich in Dänemark weniger beobachtet. Hier geht es entspannter zu. Während man anderswo immer noch ein bisschen interessanter sein muss und sich gerne noch ein wenig unverständlicher ausdrücken darf, bleibt man in Dänemark schön auf dem Teppich. Und landschaftlich bin ich ohnehin dem Norden unheimlich verfallen“, sagt Greve.
Die Leichtigkeit des Seins in Reimform gegossen
Die Leichtigkeit des Seins, gesalzen mit der nötigen Prise Ironie, bringt der Autor in seinen Gedichten gekonnt zum Ausdruck. Und die Landschaft des Nordens spielt dabei genau wie das Unpompöse eine gewichtige Rolle. Verfasst hat er sie in traditioneller Reimform, inspiriert vom deutschsprachigen Großmeister in humoristischer Lyrik, Robert Gernhardt. Der hatte die sogenannte „Volksliedform“ für eine Gedichtsammlung aus Anlass von Goethes 250. Geburtstag genutzt.
Die Struktur des Volksliedes findet sich in Form achtsilbiger Paarreime mit vier Zeilen pro Strophe in Greves Gedichten wieder. „Ein Muster, das immer wiederkehrt. Man kann sich durchaus einer alten Form bedienen, denn wir leben ja trotzdem im Hier und Jetzt. Es ist sozusagen ein zuverlässiges Kostüm, das einem erlaubt, Sachen zu versuchen, die der Form genügen, aber eine eigene Bildlichkeit reinbringen“, erläutert Andreas Greve seine Vorgehensweise, mit der er seine kleinen Alltagsbeobachtungen zu Papier gebracht hat.
Die Fähren als Schule der Nation
„Von meinem Zuhause aus kann ich über die Bucht schauen und auf den Hafen, gleich nebenan liegt ein Park. Was mehr kann man sich wünschen“, begründet Andreas Greve seine Begeisterung für seinen Wohnort Faaborg im südwestlichen Fünen. Von hier gelangt man per Schiff nach Ärö (Ærø), und unweit von Faaborg verkehrt die Fähre nach Fünenshaff (Fynshav).
In diesen und weiteren landschaftlichen Stimmungsbildern kommt auch Greves ewige Wanderlust zum Ausdruck, die er früher als Reisereporter für „Geo“ und „Mare“ ausgelebt hat. Überhaupt, die Natur, der Norden, die Fähren. Wie heißt es doch so schön in Andreas Greves Fähren-ABC? „Unpompösen Inselstaaten sind sie Schule der Nation“, schreibt der Dichter mit Verweis auf die Stahlkolosse.
Auch im Schulbus unterwegs
Doch der Lyriker nimmt uns auch im Schulbus mit auf die Reise und findet Freude an der Hingabe, mit der die Chauffeurin ihr Gefährt durch die liebliche Landschaft Fünens bugsiert.
Unterwegs trifft Greve auf einen alten Mann, der sich auf seinen Rollator stützt; auf eine geflüchtete Friseurin, die sich der Tyrannei widersetzt; und auf das „Tal der Tränen“, über dem sich der Himmel scheinbar endlos am Horizont erstreckt.
Und den hat Lars Skaaning, der über zehn Jahre hinweg Pressefotograf bei „Politiken“ war und heute als Freelancer in seiner fünschen Heimat unterwegs ist, genauso gekonnt eingefangen wie die zahlreichen Details in den übrigen Fotos.
Symbiose aus Text und Fotos
„Der Lars macht fantastische Bilder, manchmal geht er ins Melancholische. Er hatte selbst ein Projekt, von dem er nicht wusste, wie er es anfangen sollte. Ich habe ihm angeboten, etwas für ihn zu schreiben. Aus seinem Projekt wurde dann nichts, aber es geht ja auch andersherum“, beschreibt Greve die Zusammenarbeit zwischen den beiden.
Und dabei haben sich Lyriker und Fotograf hervorragend ergänzt. „Ich bin mit ihm über eine Halbinsel gelaufen, eine Gegend, die Lars sehr gut kennt. Später habe ich darüber geschrieben, dass die Landschaft von der Eiszeit geprägt ist und dort in der Steinzeit Muscheln gesammelt wurden, und jetzt sind wir in der Freizeit. All das, all meine Worte hat Lars an einer einzigen Hausecke fotografiert. Das war für mich perfekt, wirklich genau an dem Ort gefunden. Und ich, der die halbe Welt besingt, habe es noch nicht einmal gesehen“, so Greve.
Mit fest verankerter Leichtfüßigkeit in der Welt
Die bildliche Entsprechung zu den leichtfüßigen Texten, in denen sich irgendwo jedoch die Substanz versteckt, ist zusammen mit der Gegenüberstellung der deutschen und dänischen Versform das Salz in der Suppe in Andreas Greves „Wortbildern/Ordbilleder“.
Sie sind das Zeugnis seiner detaillierten Beobachtungsgabe, die ihn entlang seines Lebensweges stetig begleitet. Ein Weg, den er mit beiden Füßen fest auf dem Boden verankert beschreitet.
„Ich bin in der Welt, nie weit hoch im Himmel. Ich bin auch kein gedanklicher Tiefseetaucher. Eben habe ich schon wieder eine Fähre beobachtet. Und wenn ich dann versuche, das zu schildern, dann entsteht eine Konzentration, die ihre eigene Logik entwickelt. Um da wieder heil rauszukommen, hilft mir der Humor. Dann fällt mir in der Regel ganz von selbst eine Drehung ein, die den Abschied von der letzten Zeile leicht macht“, beschreibt Andreas Greve das Geheimnis seiner Wortmagie.