75 Jahre „Der Nordschleswiger“
Siegfried Matlok überraschte mit Fake News vor 55 Jahren
Siegfried Matlok überraschte mit Fake News vor 55 Jahren
Siegfried Matlok überraschte mit Fake News vor 55 Jahren
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„Der Nordschleswiger“ wurde am 2. Februar 75 Jahre alt. Wir bringen im Laufe des Jubiläumsjahres eine Serie über uns selbst. In diesem Abschnitt erinnern sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an eine Arbeitsaufgabe, die einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat. Altchefredakteur spricht über eine Episode, die ihm den Job hätte kosten können.
Siegfried Matlok hat eine Geschichte, die unveröffentlicht ist, aber interne Vorgänge beim „Nordschleswiger“ erzählt. „Ich habe Hunderte von Geschichten, die unvergessen sind. Diese Geschichte machte nie Zeitungsgeschichte. Sie ist mir in Erinnerung geblieben als schlechtes Gewissen, aber auch als fast lustige Fake News", verrät Siegfried Matlok, jetziger Seniorkorrespondent des „Nordschleswigers".
Seine damalige Spaßmeldung am Rande eines Arbeitseinsatzes sorgte für Aufsehen bei der Zeitung.
„Aber die Sache ist nie nach außen gedrungen", versichert der bekannte und respektierte Medienmacher.
Die Meldung, die nur für die Kolleginnen und Kollegen vorgesehen war, formulierte er, als er 1966 bei einem Mordfall in Sonderburg (Sønderborg) recherchierte.
Dänische Schule, deutsche Muttersprache
Der gebürtige Flensburger kam 1964 zum „Nordschleswiger" in Apenrade. Es war der damalige Chefredakteur Jes Schmidt (†1979), der den 19-Jährigen nach Nordschleswig holte.
Siegfried Matlok besuchte eine dänische Schule in Flensburg. „Mein Dänisch war damals saumäßig. Unsere Muttersprache war Deutsch“, verrät Matlok.
Der junge Matlok war zunächst Volontär bei der damaligen „Südschleswigschen Heimatzeitung“. Er sagt, dass er sich immer der deutschen Sprache und Kultur verbunden gefühlt habe und der journalistische Weg beim „Nordschleswiger“ der richtige für ihn war.
Im zweiten Anlauf zum „Nordschleswiger“
Im Sommer 1964 gelang es Matlok im zweiten Anlauf, bei der Zeitung der deutschen Minderheit Fuß zu fassen.
„Ich fing im Sommer 1964 beim ,Nordschleswiger‘ an. In der ersten Zeit war ich Volontär, aber Jes Schmidt hat mich sehr schnell zum Journalisten befördert, weil er fand, dass ich die Fertigkeiten dazu hatte", erinnert sich Matlok.
Der Sport war sein Hauptgebiet, er wurde aber auch als Kriminalreporter und Sonderreporter eingesetzt.
Sportredaktion aufgebaut
„Damals gab es keine Sportredaktion. Höchstens mal eine kurze Meldung“, erinnert sich Matlok.
Parallel zum Aufbau einer Sportredaktion übernahm Matlok immer mehr politische Aufgaben, und er führte Interviews mit dänischen Politikern auf Christiansborg in Kopenhagen.
„Beim Sport kam ich in eine Marktlücke“, lacht Matlok, der seinem Chefredakteur dankbar ist, dass er ihm freie Hand gewährte bei seinem journalistischen Wirken.
Chefredakteur drückte Anstellung durch
Matlok hatte sich bereits Anfang der 1960er Jahre um ein Volontariat beim „Nordschleswiger“ beworben.
„Damals war ich zu jung. 1964 hat Schmidt meine Anstellung durchgedrückt beim Presseverein“, verrät Matlok.
Er habe später in den Akten des Pressevereins gelesen, dass der Vorstand seine erste Bewerbung ablehnte aufgrund seines jungen Alters.
1966: In Sonderburg dem Täter auf der Spur
In seiner Zeit bei der „Südschleswigschen Heimatzeitung“ hatte Matlok mehrere Mordfälle bearbeitet. Als sich der Mord einer jungen Volontärin, die bei der damaligen Tageszeitung „Dybbøl Posten“ in Sonderburg arbeitete, ereignete, schickte Chefredakteur Jes Schmidt Matlok in die Alsenmetropole.
„Ich habe damals die Aufgabe bekommen, mich dem Täter auf die Spur zu setzen", sagt Siegfried Matlok. Er sollte Lokalredakteur Herbert Giese im Redaktionsalltag unterstützen und sich des Mordfalls annehmen. Die Lokalredaktion hatte damals ihren Standort an der Perlegade.
Die 23-jährige Redaktionsvolontärin Marie Engmark wurde in der Nacht zum 11. November 1966 ermordet, sexuell missbraucht und beraubt. Matlok schrieb erstmals am 12. November 1966 über den Fall, der landesweit für Schlagzeilen sorgte.
Hektische Tage in der Alsenmetropole
Er erinnert sich daran, dass die Polizei die führenden Kriminalisten des Landes nach Sonderburg geschickt hatte, um die Ermittlungen voranzutreiben.
Der Mordkommission gelang der entscheidende Durchbruch nach wenigen Tagen, als ein Tatverdächtiger festgenommen werden konnte.
Matlok schrieb Reportagen und berichtete aus dem Gericht, als der Tatverdächtige im November 1966 dem Untersuchungsrichter vorgeführt wurde und Mordanklage erhoben wurde. Und er war bei der Urteilsverkündung im Sommer 1967 im Gerichtssaal. „Es stellte sich auch heraus, dass er in dem Haus gewohnt hatte, wo die Sonderburger Lokalredaktion lag“, erinnert sich Siegfried Matlok.
Dem 36-jährigen Mann wurde im Juni 1967 vor dem Schwurgericht des „Vestre Landsret“ in Sonderburg der Prozess gemacht. Er wurde, so Matlok, des Mordes schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt.
„Breaking News“ war nur eine Spaßmeldung
Zwischen Einsetzen vor Ort vertrieb sich Matlok die Wartezeit in der Lokalredaktion mit Kollege Giese. Dort formulierte er die Spaßmeldung. Damals waren Lokalreaktionen und Hauptredaktion mit einem Fernschreibnetz miteinander verbunden. Nachrichten in Schriftform wurden mit dem Telegrafie-Gerät übermittelt.
„Ich habe die Meldung per Fernschreiber abgesetzt. Das war, bevor der Täter gefasst wurde“, erzählt Matlok. Damit die Mitteilung nicht unterging im stetigen Nachrichtenfluss, versah er die Nachricht mit vielen, vielen Klingelzeichen.
Matlok schrieb, dass ein Beamter bei einer Hausdurchsuchung erschossen worden war. Weiter hieß es unter anderem, dass der bewaffnete Tatverdächtige flüchtig war.
Ich habe Hunderte von Geschichten, die unvergessen sind. Diese Geschichte machte nie Zeitungsgeschichte. Sie ist mir in Erinnerung geblieben als schlechtes Gewissen, aber auch als fast lustige Fake News.
Siegfried Matlok, früherer Chefredakteur
Dementi kam schnell
Auch wenn das Dementi zur Spaßmeldung nicht lange auf sich warten ließ, hatte die ursprüngliche Meldung Chefredakteur Schmidt auf den Plan gerufen. Aufgeschreckt von dem anhaltenden Klingeln, ging der Chefredakteur in den Fernschreiberraum.
Matlok erzählt, dass Schmidt, nachdem er die „Breaking News“ gelesen hatte, unverzüglich alle Hebel in Bewegung setzte, um den Druck zu stoppen.
„Schmidt rief bei der Druckerei in Flensburg an und kündigte Sonderreportagen von mir an, weil ich mich ja dem Täter auf die Spur setzen sollte“, hat sich Siegfried Matlok erzählen lassen.
Da Schmidt aus dem Fernschreiberraum eilte, um in Flensburg anzurufen, verpasste er zunächst die „Dementi-Nachricht“. „Dass es sich um einen Spaß handelte, hat er erst später am Abend mitbekommen“, erinnert sich Matlok.
Chefredakteur hielt Standpauke
Im Kielwasser der Spaßmeldung zitierte der Chefredakteur den Journalisten zu sich in die Hauptredaktion. „
Schmidt war stinksauer. Zu Recht. Ich habe eine ernsthafte Verwarnung bekommen. Er hätte mir kündigen können“, sagt der Mann, der in den 1970er Jahren zum Chefredakteur avancierte und die Führungsposition bis 2013 innehatte.
Als Jes Schmidt sich spätabends bewusst wurde, dass Matlok sich einen Spaß erlaubt hatte, beeilte er sich, den ganzen Apparat, den er in Flensburg in Gang gesetzt hatte, rückgängig zu machen, sodass der Druck anrollen konnte.
Vom Volontär zum Chef
Die Meldung, die Matlok im jugendlichen Übermut geschrieben hatte, legte ihm keine Steine in den Weg in seiner steilen Karriere bei der Minderheitenzeitung.
Jes Schmidt war neben seiner Arbeit bei der Zeitung unter anderem politisch tätig in Kopenhagen. Schmidt vertrat von 1973 bis zu seinem Tod die deutsche Minderheit im dänischen Parlament.
Der deutsch-nordschleswigsche Folketingsabgeordnete wurde aufgrund einer wahltechnischen Zusammenarbeit mit der dänischen Partei „Zentrum-Demokraten“ (Centrumdemokraterne) gewählt. (Weitere Informationen unter www.bdn.dk).
Siegfried Matlok wurde verantwortlicher Redakteur im Dezember 1973. Sechs Wochen nach dem Tod von Jes Schmidt übernahm Matlok im September 1979 die Chefredaktion nach Wahl durch das Gremium zur Ernennung des Chefredakteurs.
Als verantwortlicher Redakteur teilte er sich bereits von 1973 bis 1975 die Leitung mit Hanjörg Böhle (†). „Kollege Böhle war der Chef vom Dienst“, so Matlok, der ab 1975 die alleinige redaktionelle Verantwortung bekam.
Carsten Kromand (†2016) übernahm im Juni 1975 die Leitung des Verlages.
Inneres Engagement mitbringen
Es sei nicht so, dass man als Chefredakteur fehlerfrei sei, sagt Matlok. Obwohl er die eigene Geschichte im Hintergrund gehabt habe, habe er trotzdem Disziplin walten lassen müssen.
Gleichgelagerte Vorfälle wie die damalige Spaßmeldung habe Matlok als Chef nie erlebt. Es seien eher Vorfälle gewesen, wo Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen falsch berichteten oder nicht berichtet wurde von Ereignissen, derer er sich hatte annehmen müssen.
Wegen seines eigenen Fehlers habe er nicht die Augen verschließen können, sagt Matlok, der sich als strenger Chef sieht, aber auch hofft, dass er ein journalistisches Vorbild gewesen ist und als Chef Gerechtigkeit hat, walten lassen.
„Man muss ein inneres Engagement mitbringen. Wenn man als Chef nicht kritisieren kann, hat man den Platz verfehlt. Man muss sich aber auch miteinander freuen können. Das gibt ein Gefühl von Zusammengehörigkeit“, sagt Siegfried Matlok.