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„30 Jahre nach dem Genozid: Ruanda als europäisches ,Asylzentrum'?“

30 Jahre nach dem Genozid: Ruanda als europäisches ,Asylzentrum'?

Ruanda als europäisches ,Asylzentrum'?

Jan Diedrichsen
Jan Diedrichsen
Berlin
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Warum ist der Völkermord in Ruanda von niemandem verhindert worden? Anlässlich des 30. Jahrestages widmet sich Jan Diedrichsen in seiner Kolumne den Hintergründen eines Genozids und kommt auf die heutige Rolle des Landes im Hinblick auf die europäische Asylpolitik zu sprechen.

Am Sonntag, dem 7. April, ist es 30 Jahre her, dass in Ruanda der Genozid der Hutu an den Tutsi begann. Der 7. April ist der Internationale Tag des Gedenkens an den Völkermord der Vereinten Nationen. Im Jahr 1994 wurden innerhalb von 100 Tagen bis zu einer Million Menschen – überwiegend Tutsi, aber auch Hutu und andere, die sich dem Völkermord widersetzten – systematisch getötet und Tausende verletzt. Schätzungsweise 250.000 bis 500.000 Frauen wurden Opfer systematischer Vergewaltigungen und sexueller Gewalt. Die atemberaubende Geschwindigkeit des Mordens bestätigt, dass die Gräueltaten geplant waren und die ethnische Minderheit der Tutsi vernichtet werden sollte. Ein unvorstellbarer Genozid. In dem schwer lesbaren Standardwerk „Kein Zeuge darf überleben. Der Völkermord in Ruanda“ hat Alison Des Forges versucht, das Unbeschreibliche zu beschreiben.

Die Täter und Täterinnen verbargen ihre Absichten nicht, sondern kommunizierten ihr Ziel offen durch Lieder, Parolen, Presse und Radio: Die systematische Ermordung der Tutsi-Minderheit war kein Geheimnis. Sie ermutigten die Hutu, sich dem Morden anzuschließen. Die schlimmsten Massaker fanden am helllichten Tag statt.

Beobachterinnen und Beobachter vor Ort hatten seit 1992 klare Informationen in die Heimatländer geschickt und gewarnt. Roméo Antonius Dallaire war als Generalmajor der kanadischen Streitkräfte von 1993 bis 1994 Kommandeur der Blauhelmtruppen der Vereinten Nationen in Ruanda. In dieser Funktion versuchte er vergeblich, den Völkermord zu verhindern. Warum haben die Vereinten Nationen, aber auch die USA und die europäischen Länder nicht eingegriffen, fragt er sich bis heute. Erst am 1. Juli 1994 beschloss eine UN-Resolution, zu untersuchen, ob es in Ruanda zu „möglichen Völkermordhandlungen“ gekommen sei. Da war das Morden schon zu Ende.

Völkermord vor den Augen der Welt

Laut General Dallaire hätten 5.000 gut ausgebildete Soldaten ausgereicht, um den Völkermord zu verhindern. Dallaire selbst kehrte mit einer posttraumatischen Belastungsstörung nach Kanada zurück. Er unternahm zwei Selbstmordversuche und wurde aus der Armee entlassen. Inzwischen hat er einen Dokumentarfilm und das Buch „Handschlag mit dem Teufel. Die Mitschuld der Weltgemeinschaft am Völkermord in Ruanda“ geschrieben.

Auch 30 Jahre später ist der Konflikt zwischen den beiden Volksgruppen nicht beigelegt, sondern greift auf die Nachbarländer über. Die Hutu-Milizen haben sich vor dreißig Jahren vor allem in den benachbarten Kongo zurückgezogen. Bis heute existieren im Ostkongo Reste der ehemaligen Völkermordarmee unter dem Namen FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda). Sie werden vom kongolesischen Staat geduldet und träumen von einer Rückeroberung Ruandas. Der Konflikt hat sich mittlerweile auf das Territorium des Kongo ausgeweitet, da es dort ruandischsprachige Bevölkerungsgruppen gibt, die in Hutu und Tutsi unterteilt sind. Von einer Aufarbeitung – oder gar „Bewältigung“ – des Genozids kann bis heute allenfalls in Ansätzen die Rede sein. Zwar sind die Begriffe „Hutu“ und „Tutsi“ heute in Ruanda verboten, doch Millionen traumatisierter Menschen leben im Land – längst auch in der zweiten Generation.

Bis Ende letzten Jahres galt Ruanda noch als „Anker“ der neuen dänischen Asylpolitik. Vor den letzten Parlamentswahlen hatte Mette Frederiksen die Idee eingebracht, in Ruanda ein Zentrum für Asylsuchende einzurichten und das Asylverfahren sozusagen territorial auszulagern. Eine Mehrheit im Folketing hatte im Juni 2021 ein Gesetz verabschiedet, das Asylzentren in anderen Ländern möglich macht. Damit können die Behörden Asylsuchende in Drittländer fliegen, wo sie auf die Bearbeitung ihres Antrags in Dänemark warten müssen. Die EU hatte sich zunächst von dem Gesetz distanziert und betont, dass die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten nach EU-Recht nicht möglich sei. Anders als Großbritannien hat sich Dänemark inzwischen zwar nicht grundsätzlich von der Idee, aber von einer Kooperation mit Ruanda verabschiedet.

Die dänische Position ist inzwischen von vielen anderen europäischen Parteien und Regierungen aufgegriffen worden. Die Europäische Kommission arbeitet an entsprechenden Vorschlägen.

Zur Person: Jan Diedrichsen

Jan Diedrichsen (Jahrgang 1975), wohnhaft in Berlin und Brüssel, leitet die Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages in Brüssel, hat sein Volontariat beim „Nordschleswiger“ absolviert und war als Journalist tätig. 13 Jahre lang leitete er das Sekretariat der deutschen Minderheit in Kopenhagen und war Direktor der FUEN in Flensburg. Ehrenamtlich engagiert er sich bei der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) – davon bis 2021 vier Jahre als Bundesvorsitzender. Seit Juni 2021 betreibt er gemeinsam mit Wolfgang Mayr, Tjan Zaotschnaja und Claus Biegert ehrenamtlich den Blog VOICES.

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