Leitartikel

„Mal wieder nichts zu verbergen“

Mal wieder nichts zu verbergen

Mal wieder nichts zu verbergen

Apenrade/Aabenraa
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Der Teledaten-Skandal zeigt: Es ist an der Zeit, dass nicht nur in Ministerbüros und Gerichtssälen gerungen und verhandelt – sondern dass offen dargelegt wird, wie und wo in Dänemark überwacht wird, zu welchem Zweck und mit welcher Begründung und Legitimation. Es gibt doch schließlich nichts zu verbergen, meint Cornelius von Tiedemann

„Wer nichts zu verbergen hat...“ – das Argument  ist altbekannt. Doch es ist faul.

Schon vor bald zwei Jahren zitierte ich an dieser Stelle einen gewissen Edward Snowden, der sagte:  „Zu argumentieren, dass Sie keine Privatsphäre brauchen, weil Sie nichts zu verbergen haben, ist so, als würden Sie sagen, dass Sie keine Freiheit der Meinungsäußerung brauchen, weil Sie nichts zu sagen haben.“

Faul ist allerdings auch, wer sich im Internet und am Smartphone verhält, wie ein sämtliche Gedankengänge ständig vor sich her brabbelnder Dorfdepp – und der dann erwartet, dass das niemand mitbekommt. Das Internet ist in vielen Bereichen öffentlicher Raum. Mit Augen und Ohren allenthalben.

Wer  beim Zwiegespräch nicht belauscht werden will, zieht sich hoffentlich ja auch von der Bühne ins Kämmerlein zurück. Wir lassen uns die Post doch auch nicht in einen Korb am Straßenrand legen, sondern in einen abschließbaren Briefkasten.

Viele digitale  Lösungen sind einfach und kostengünstig. VPN-Zugänge sind heute für eine handvoll Kronen monatlich zu haben und schützen vor vielen Verfolgern  im Netz. Man kann „Cookies“, die  Eintritts-Stempel des Internets, auch einfach mal nicht akzeptieren - muss dann beim erneuten Besuch einer Internetseite eben möglicherweise erneut eingeben, wer man ist und was man will. Man kann seinem Smartphone (in begrenztem Rahmen) sagen, dass es aufhören soll, anderen mitzuteilen, wo es sich befindet.

Was wir preisgeben, liegt zu weiten Teilen in unseren Händen und hängt von unserer Bereitschaft ab, digitale Bequemlichkeiten aufzugeben und uns auch im Netz links und rechts umzusehen, bevor wir über die Straße gehen.  Jeder muss schon etwas tun. Das ist in der virtuellen Welt genau wie in der echten.

Doch dass der größte Spion in Dänemark heute nicht neugierige Nachbarn oder Kleinkriminelle sind, sondern  neben den Datenkraken aus den USA (Google, Facebook, Apple etc.) unser Staat, das macht Sorge. Denn das grundsätzliche Misstrauen, das dadurch zum Ausdruck kommt, kann seinerseits ein Misstrauen gegen den Staat und damit  gegen die Gemeinschaft schüren.

Vor allem aber macht Sorge,  dass der Staat nicht offensiv mit dem umgeht, was er tut. In Dänemark weiß doch kein gewöhnlicher Bürger wirklich, in welchem Ausmaß überwacht wird. Dass jetzt öffentlich wurde, dass aus rund sieben Jahren in 10.700 Gerichtsfällen aufgrund von möglicherweise fehlerhaften Telekommunikationsüberwachungsdaten bzw. nach dem Prinzip der Vorratsdatenspericherung erlangter Daten potentiell falsch geurteilt wurde, ist, da hat der neue Justizminister Nick Hækkerup Recht, ein Skandal.

Dieser Umstand zeigt neben der Anfälligkeit für Fehler aber auch das Ausmaß der Überwachung – von dem viele jetzt überrascht sind.

Dem Europäischen Gerichtshof geht es schon längst deutlich zu weit, was hierzulande passiert. Die verantwortlichen Politiker zeigten sich bisher nicht geneigt, dem verbindlichen Urteil aus Luxemburg nachzukommen. Der EuGH hat die anlasslose Vorratsdatenspeicherung klipp und klar  untersagt. Das Justizministerium hat die juristische Beurteilung hierzulande über Jahre hinausgezögert. Nächster Stichtag ist nun der 1. September.

Es ist an der Zeit, dass  nicht nur in Ministerbüros und Gerichtssälen gerungen und verhandelt – sondern dass offen dargelegt und besprochen wird, wie und wo in Dänemark überwacht wird, zu welchem Zweck und mit welcher Begründung und Legitimation. Vielleicht ließen sich damit auch viele Ängste beseitigen – oder zumindest beruhigen.

Ja, man kann selbst recherchieren, dass in Dänemark grundsätzlich alle Verbindungs-Informationen (wer, wann, wo, mit wem) zu Kurznachrichten-, Internet-  und Telefonverbindungen gespeichert werden und auf Anforderung Polizei und Geheimdienst vorgelegt werden können.

Warum aber klärt das Justizministerium jetzt zwar den Fehler beim Überwachen auf -  nutzt die Gunst der Stunde  aber nicht auch gleichzeitig für eine Kampagne über die Praxis und den Umfang der Überwachung in Dänemark?

Da sollte es doch, wenn man nichts zu verbergen hat, auch nichts zu verheimlichen geben...

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