Leitartikel
„Bausünde oder Chance: ,Hvalen’ braucht noch Zeit“
Bausünde oder Chance: ,Hvalen’ braucht noch Zeit
Bausünde oder Chance: ,Hvalen’ braucht noch Zeit
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Der Wal „Hvalen“ ist eines der umstrittensten Infrastrukturprojekte in Apenrade der vergangenen Jahre. Während Befürwortende Chancen für die Stadt sehen, missfällt Kritikerinnen und Kritikern die Dimension und Platzierung des geplanten Hochhauses. Die Kommune sollte nicht vorschnell handeln und auf die Menschen hören, die hier leben, meint Gerrit Hencke in seinem Leitartikel.
Ich lebe nicht in Apenrade, aber die aktuelle Debatte um den „Wal“ bekomme ich natürlich mit. Kern der Kritik um das geplante Hotel- und Wohngebäude direkt am Strand sind im Grunde seine Dimension und die vorgesehene Platzierung. Die 14 Stockwerke überragen quasi alle anderen Bauten in der Umgebung, und der moderne Stil aus Beton und Glas inmitten traditioneller Bebauung schmeckt nicht allen. Die Befürworter des Projektes sehen in dem Vorhaben eine Chance für Apenrade, die Attraktivität der Stadt zu steigern. Ein Leuchtturm-Projekt in einer ansonsten eher verschlafenen Stadt.
Es ist eines, wie es viele in Dänemark und Nordschleswig gibt. In Sonderburg entstanden im Rahmen des Masterplans aus dem Jahr 2008, bei dem Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld fast 800 Vorschläge einbrachten, am ehemaligen Industriehafen zahlreiche herausragende Gebäude. Angefangen hatte es mit dem Gebäudekomplex der SDU zwar bereits im Jahr 2007, hinzu kamen aber schnell der Würfel in der Nørregade 11, der Umbau des historischen Speichers in das Multikulturhaus im Jahr 2017 und schlussendlich das Alsik im Jahr 2019. Am Havneparken entwickelt sich das Hafengebiet noch heute weiter. Mitten im Stadtzentrum ragt zudem das Borgen seit 2013 in die Höhe. Damals die einzige Befürchtung war ein Sterben der kleinen Geschäfte in der Fußgängerzone. Tatsächlich zogen viele Läden in das neue Shoppingcenter, doch mittlerweile sind die meisten wieder vermietet.
Andere Grundvoraussetzungen als in Apenrade
Nun kann man darüber streiten, ob diese moderne Architektur zu den alten Fischerhäusern passt, die Zeiten ändern sich eben. Die Grundvoraussetzungen waren in Sonderburg aber von vornherein andere. Hier lag die alte Hafenfläche brach, und im Zentrum schlummerte mit dem alten Hafnia-Komplex eine architektonische Bausünde aus den 1970er-Jahren. Und so entstand ein neues Hafenviertel und im Herzen der Stadt ein neues Zentrum. Ähnlich betrachten könnte man es für das ikonische, aber höchst umstrittene Bølgen in Vejle oder die Bebauung auf Aarhus Ø.
Der Wal hingegen soll als einziges herausragendes Gebäude zwischen teils historische Bestandsbauten, Ein- und Mehrfamilienhäuser, gebaut werden und liegt damit weder in einem neu entstehenden Viertel, etwa dem Hafenentwicklungsgebiet nördlich des Kilen, noch im direkten Zentrum. Weichen soll das Hotel Østersø, das im Jahr 1964 der Architekt Elmar Moltke errichtet hat. Ein klassischer Bau der 60er-Jahre, den vermutlich damals auch nicht alle begrüßt haben, der allerdings mit seiner Höhe nicht negativ ins Auge fällt und somit zumindest mehr ins Gesamtgefüge passt.
Ein sowjetischer Plattenbau
„Hvalen“ würde das Ortsbild hingegen massiv verändern. Zumal angemerkt sein darf, dass der einzige Entwurf eher einem sowjetischen Plattenbau ähnelt, nur dass er mit leichtem Schwung schräg durchgeschnitten wurde. Die 60er lassen also wieder grüßen, dabei möchte man die alten Bausünden doch eigentlich loswerden – Stichwort Nørreport.
Allerdings bietet der Wal natürlich auch Chancen. In Deutschland wird oft mit Neid darauf geblickt, wie Dänemark es schafft, alte und moderne Architektur harmonisch zu verbinden und sich dabei auch noch in optischer Hinsicht etwas traut. Denn im Ergebnis werden diese modernen Wahrzeichen mitunter auch Touristenmagnete – siehe Aussichtsplattform im Alsik – schaffen als Hotel vor allem aber auch Arbeitsplätze.
Entscheidung sollte wohlüberlegt sein
Eine Entscheidung für oder gegen den Wal sollte die Kommune definitiv nicht vorschnell fällen. Das Einbeziehen der Menschen, so wie es jetzt beim Bürgertreffen geschehen ist, sollte keine Ausnahme bleiben. Die Stadt könnte nach Sonderburger Vorbild zunächst einen Masterplan zur Architektur- und Stadtentwicklung schaffen, an dem sich die Menschen, die hier leben, mit Vorschlägen beteiligen können. Sicher steigert es die Akzeptanz künftiger Bauvorhaben, wenn eine Mehrheit sie erst einmal mitträgt. Dazu würde auch gehören, bei einem Architektenwettbewerb alternative Entwürfe für einen Neubau am Flensborgvej zu bekommen. Dann gibt es in der Debatte um das Bauen oder nicht Bauen vielleicht noch eine weitere Option.