Leitartikel

„Aktueller Fall fordert Null-Toleranz-Politik der deutschen Minderheit heraus“

Aktueller Fall fordert Null-Toleranz-Politik der deutschen Minderheit heraus

Null-Toleranz-Politik der Minderheit auf dem Prüfstand

Apenrade/Aabenraa
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Die deutsche Minderheit beschäftigt sich aktuell mit dem Thema Sexismus (Modellfoto). Foto: Adobe Stock

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Erstmalig hat die Sexismus-Politik des Bundes Deutscher Nordschleswiger in einem konkreten Fall sexueller Belästigung Anwendung gefunden. Aber das System hat Lücken. Das ist die Chance für die Minderheit, die formulierten Richtlinien zu gelebter Praxis werden zu lassen, meint Journalistin Marle Liebelt.

Es gibt eine Richtlinie zu Sexismus und sexueller Belästigung, die der Dachverband der deutschen Minderheit, der Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN), vor gut zwei Jahren veröffentlicht hat. Sie gilt für alle Organisationen der Minderheit. 

Aber erst jetzt stellt ein aktueller Fall diese Politik des BDN auf den Prüfstand. Alles heiße Luft, oder ein Werkzeug, das Opfer solcher Fälle eine Grundlage für Gerechtigkeit bietet? Wie nun mit diesem Fall umgegangen wird, und welche Konsequenzen die Minderheit aus ihm zieht, könnte eine Blaupause für die Zukunft sein. 

Aber was ist überhaupt vorgefallen?

Der Männer-Turn-Verein (MTV) Apenrade (in dem auch Frauen sind) musste einen Fall behandeln, bei dem eine Person einer anderen ein Verhalten vorgeworfen hat, das im Bereich sexueller Belästigung einzuordnen ist. 

Was konkret vorgefallen sein soll, in welchem Verhältnis die betreffenden Personen zueinander stehen, ob es sich um einen oder mehrere Vorfälle handelt, und in welchem Kontext sich dieser oder diese zugetragen haben sollen, ist nicht öffentlich.

Was bekannt ist: Die Vorwürfe betreffen zwei erwachsene Personen, Kinder sind nicht involviert. Gösta Toft, Vorsitzender des MTV, sagt dem „Nordschleswiger“ dazu: „Zu dem Fall werde ich mich öffentlich nicht weiter äußern“, und führt als Begründung an, die Anonymität der Betroffenen wahren zu wollen. „Wir sind ein sehr kleiner Verein und jeder kennt jeden.“ Demnach sei besondere Zurückhaltung geboten. 

Wie dem auch sei, man nehme den Fall sehr ernst und habe ihn im Vorstand behandelt. Alle Betroffenen seien angehört, und für den Fall sei nach Tofts Worten eine Lösung gefunden worden. Wie diese Lösung aussieht, auch das will Toft nicht sagen – ebenfalls um die Anonymität der Personen zu schützen.

Der Fahrplan fehlt

Nun geht es aber noch um eine übergeordnete Frage. „Der Fall hat gezeigt, dass wir zwar die Richtlinie des BDN haben, die uns auch eine Hilfestellung war. Aber es gibt nicht so richtig einen Fahrplan, der vorgibt, was zu tun ist, wenn wir in der Praxis tatsächlich einen solchen Fall haben“, sagt Toft.

Kinder seien demnach geschützt, und es gebe klare gesetzliche Richtlinien, wie vorzugehen ist, wenn Kinder involviert sind. „Bei Erwachsenen gibt es das nicht“, stellt Toft fest.

Offen sind etwa Fragen wie die, ob die betroffenen Personen gegen die Entscheidungen des Vorstandes in Berufung gehen können. „So etwas gilt es zu klären. Aber das können wir nicht im MTV machen, deshalb haben wir diese Problemstellung weitergegeben an den Jugendverband.“ 

Dieser ist nämlich der Dachverband der Sportlerinnen und Sportler sowie der Jugendclubs. „Der Fall kam bei uns auf, aber er hätte genauso gut in einem der anderen Vereine auftreten können“, so Toft. Deshalb sehe man den Ball jetzt an übergeordneter Stelle.

Ob es letztlich auch der Jugendverband ist, der auf eigene Faust etwas ausarbeiten muss, oder inwiefern diese Aufgabe dann doch beim BDN liegt, scheint noch offen zu sein. Ein klarer Handlungsauftrag fehlt noch, wie Friederike Kuhrt vom Jugendverband und der AG Gleichstellung auf Nachfrage bestätigt.

Gösta Toft sagt, ihm sei bewusst, dass die Informationskette noch weitergehen muss. Der MTV habe gerade erst seine konstituierende Sitzung gehabt. Im April setze man sich wieder zusammen, und dann gehe es auch in dieser Sache voran. Fakt sei: „Wir benötigen eine Richtlinie, die uns Vereinen vorgibt, was in solchen Fällen zu tun ist.“

Was besagt die Sexismus-Politik des BDN?

Dabei hat der BDN ja die bereits erwähnte Richtlinie herausgegeben. Und diese ist gar nicht mal so schwammig: 

„Unter keinen Umständen werden Sexismus oder sexuelle Belästigungen – egal in welcher Form – akzeptiert“, heißt es etwa in dem Papier, das auch auf der Internetseite der deutschen Minderheit, nordschleswig.dk, zu finden ist. Und weiter: „Darüber hinaus haben sexuelle Belästigungen Konsequenzen.“

Generell sei zu beachten, so steht es in der Richtlinie, „dass es ohne Bedeutung ist, ob die Handlungen einer Person unbedacht oder mit der konkreten Absicht des Kränkens ausgeführt wurden. Zentral ist das Empfinden der gekränkten Person.“

Formuliertes Ziel des Handlungsplanes ist unter anderem, die Sicherheit und Geborgenheit für alle Mitarbeitenden und Vereinsmitglieder zu gewährleisten. 

Fall birgt einmalige Chance

Ob das zuletzt genannte Ziel mit der Lösung des MTV im aktuellen Fall erreicht ist, ist der Redaktion nicht bekannt. Um eine Kontaktaufnahme – sei es zur Hintergrundrecherche oder einer Veröffentlichung – bemühen wir uns. Fakt ist aber: Die vom BDN formulierten Richtlinien sind notwendig, ohne den nötigen Werkzeugkasten jedoch vollkommen unbrauchbar. 

Dieser Fall hat in der Praxis nun gezeigt, wo es noch Lücken gibt und es bleibt zu hoffen, dass alle beteiligten Organisationen den daraus resultierenden Auftrag sehr ernst nehmen. Es muss klare Vorgaben geben, was zu tun, wer zu konsultieren und involvieren ist und wer welche Rechte hat, Entscheidungen anzufechten. 

Der MTV hat nun Erfahrungen, die mit den Dachverbänden, dem Jugendverband sowie dem BDN, ausgetauscht werden müssen. Der BDN hat eine AG Gleichstellung. Jetzt gilt: Alle an Deck! Expertisen müssen eingeholt, rechtliche Voraussetzungen ausgelotet und Betroffene befragt werden. 

Die Konsequenzen, die jetzt gezogen werden oder nicht, werden künftigen Opfern von Sexismus, sexueller Belästigung und/oder sexuellen Übergriffen entweder das Signal senden: „Deine Geschichte wird hier ernst genommen“ oder aber es zeigt sich: „Behalte deine Geschichte lieber für dich.“

Über allem muss schweben, was Gösta Toft sagt: „Jeder kennt hier jeden.“

Das gilt für die Minderheit insgesamt. Und es bedeutet oft, dass die meisten sich nicht vorstellen können, dass XY dies oder jenes getan haben soll. Das ist auch Opfern von übergriffigem Verhalten bewusst. Diese Strukturen der Nähe zu durchbrechen und trotzdem zu reden, bedarf großer Überwindung. Das darf nicht im Sande verlaufen. Dafür muss es ein Gerüst geben, das ihnen Rückhalt bietet. 
 

 

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