Europawahlen

Nationale Minderheiten sind im EU-Parlament krass unterrepräsentiert

Nationale Minderheiten sind im EU-Parlament krass unterrepräsentiert

Minderheiten im EU-Parlament krass unterrepräsentiert

Hatto Schmidt
Bozen/Bolzano
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In Dänemark treten ausschließlich Parteien der Mehrheitsbevölkerung zur Europawahl am 9. Juni an. Entsprechend findet die Minderheit auch im Wahlkampf nicht statt. Foto: Thomas Rousing/Ritzau Scanpix

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Demokratie-Defizite: Die Wahlen zum Europaparlament sind nicht überall gleich geregelt – und nur vereinzelt wird auf Minoritäten Rücksicht genommen. Auch Dänemark und Deutschland schneiden in einer Analyse aus Südtirol schwach ab.

Wie sieht es eigentlich mit der politischen Vertretung der nationalen Minderheiten Europas im EU-Parlament aus? Diese Frage haben sich Forschende am Südtiroler Volksgruppeninstitut gestellt – und Erstaunliches herausgefunden. Der wissenschaftliche Leiter des Instituts, Paul Videsott, und seine Mitarbeiterin Silena Gasser haben herausgefunden, dass es zwar in neun der 27 EU-Mitgliedsstaaten Sonderregelungen bei nationalen Wahlen gibt – aber nur in zwei Staaten gibt es besondere Regeln auch bei der Wahl des EU-Parlaments. 

Nur zwei von 27 Ländern bieten Minderheiten überhaupt Sonderregeln

Einer dieser beiden Staaten ist Belgien: Dort bildet das Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft einen eigenen EU-Wahlkreis. Der andere Staat ist Italien. Dort können Listen der französischen, deutschen und slowenischen Sprachminderheiten (sie sind taxativ im Wahlgesetz aufgeführt) mit einer staatsweit agierenden Liste eine Verbindung eingehen. Sofern die Kandidatin oder der Kandidat der Minderheit mindestens 50.000 Vorzugsstimmen erreicht, erhält sie oder er einen der Sitze, welche die nationale Liste erringt. In der Vergangenheit haben das nur Kandidatinnen oder Kandidaten der Südtiroler Volkspartei geschafft.



Nur 12 der 192 nationalen Minderheiten in der EU sind durch eigene Abgeordnete im EU-Parlament vertreten. Es handelt sich um die Katalaninnen und Katalanen in Spanien (insgesamt sechs Abgeordnete in zwei Fraktionen), die Baskinnen und Basken in Spanien (zwei Abgeordnete auf zwei Listen), die Ungarinnen und Ungarn in Rumänien (zwei Mandate), die Türkinnen und Türken in Bulgarien (ein Mandat), die Russinnen und Russen in Lettland (eine Abgeordnete), die Friaulerinnen und Friauler in Italien (zwei Abgeordnete), die Südtirolerinnen und Südtiroler in Italien (ein Mandat), die schwedische Minderheit in Finnland (ein Mandat), die Polen in Litauen (ein Mandat), die Korsinnen und Korsen in Frankreich (ein Mandat), die Deutschsprachigen in Belgien (ein Abgeordneter) und die dänische Minderheit in Deutschland (ein Mandat). 

Insgesamt sind die nationalen Minderheiten Europas also nur mit 20 Abgeordneten im EU-Parlament vertreten, das in seiner Gesamtheit 705 Abgeordnete zählt. Nur 2,8 Prozent der Abgeordneten gehören also einer nationalen Minderheit an, während die knapp 30 Millionen Minderheitenangehörigen 6,7 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU (rund 447 Millionen) ausmachen. Die nationalen Minderheiten sind im EU-Parlament also eindeutig unterrepräsentiert.

Videsott und Gasser formulieren in ihrer Studie abschließend einige Vorschläge, wie dieses Missverhältnis korrigiert werden könnte. Die Studie ist unter dem Titel „Bemerkungen zum Vorhandensein besonderer Bestimmungen zugunsten nationaler Minderheiten in den Wahlgesetzen zu den nationalen Parlamenten und zum EU-Parlament“ im „Europäischen Journal für Minderheitenfragen“, Band 15, veröffentlicht.

 

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