20 Jahre Einsatz
Internationale Truppen beginnen Abzug aus Afghanistan
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Die internationalen Truppen in Afghanistan packen nun auch offiziell. Für mögliche Angriffe der Taliban während des Abzugs werden schwere Waffen und zusätzliche Kräfte bereitgehalten.
Begleitet von Gewalt hat am Samstag nach einem fast 20 Jahre langen Einsatz der offizielle Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan begonnen.
Aus mehreren Provinzen des Landes wurden Zwischenfälle und Gefechte gemeldet, denen afghanische Zivilisten oder Sicherheitskräfte zum Opfer fielen. Die rund 10.000 Nato-Soldaten der Ausbildungsmission «Resolute Support», darunter 2500 Soldaten aus den USA und rund 1100 aus Deutschland, werden bis spätestens September das Land verlassen.
Faktisch hatte der Abzug nach Angaben der Nato und der Bundeswehr bereits davor begonnen. Schon seit Wochen wird Material aus dem Land gebracht. Von der Nato hieß es, da die Sicherheit der Truppen höchste Priorität habe, würden keine Details zu der Operation mitgeteilt, etwa Truppenzahlen oder Zeitpläne für einzelne Staaten. Zuletzt waren 36 Nato-Staaten und Partnerländer an dem Einsatz beteiligt.
Diese Woche fand in Kundus im Norden des Landes eine symbolische Schlüsselübergabe durch deutsche Soldaten statt. Der von der Bundeswehr genutzte Teil des Camp Pamir in Kundus sei in die Hände der afghanischen Partner übergegangen, teilte das deutsche Verteidigungsministerium auf Twitter mit. Man verlasse Kundus mit Stolz und habe den Auftrag beim 217. Korps der afghanischen Armee erfüllt, hieß es weiter.
Militärstrategen rechnen mit zusätzlichen Gefahren durch mögliche Angriffe der militant-islamistischen Taliban auch auf Soldaten des Bündnisses. Die US-Armee hält schwere Waffen bereit. Für Deutschland soll das Kommando Spezialkräfte (KSK) den Abzug absichern. Jegliche Taliban-Angriffe während des Rückzugs wolle man mit einer «entschiedenen Reaktion» beantworten, hieß es von der Nato.
Die Taliban erklärten am Samstag, sie hielten sich eine Reaktion auf den verspäteten Abzug offen. Da der Abzug der ausländischer Streitkräfte nicht wie im USA-Taliban-Abkommen zum 1. Mai abgeschlossen worden sei, habe dieser «Verstoß» ihnen «im Prinzip den Weg geebnet, jegliche Gegenmaßnahme» gegen die internationalen Truppen zu ergreifen, die man für angemessen halte, schrieb der Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid am Samstag auf Twitter. Man warte auf eine Entscheidung der Taliban-Führung diesbezüglich.
Die US-Regierung und die Taliban hatten im Vorjahr noch unter Ex-Präsident Donald Trump im Golfemirat Katar ein Abkommen unterzeichnet und einen Abzug aller US- und Nato-Truppen bis 1. Mai vereinbart. Allerdings hat der neue US-Präsident Joe Biden den Abzug verschoben - dieser soll nun bis spätestens 11. September abgeschlossen sein. Dafür setzte Biden den offiziellen Beginn des endgültigen Truppenabzugs auf den 1. Mai. Unmittelbar nach den USA hatte die Nato verkündet, das Bündnis werde den Einsatz vollständig beenden.
Ein Sprecher des US-Militärs teilte am Samstag auf Twitter mit, der Flugplatz Kandahar sei am Nachmittag (Ortszeit) mit «ineffektivem indirektem Feuer» beschossen worden. Dabei sei niemand verletzt worden und es habe auch keine Schäden gegeben. Mörsergranaten etwa zählen als indirektes Feuer. Bisher bekannte sich niemand dazu.
Der Sprecher wiederholte eine frühere Drohung des Kommandeurs der US- und Nato-Truppen, US-General Austin Scott Miller, dass eine Rückkehr zur Gewalt ein Fehler wäre. Man habe die militärischen Mittel, um zurückzuschlagen. Am Flugplatz Kandahar sind lokalen Behördenvertretern zufolge weiter US-Soldaten stationiert.
Afghanische Soldaten haben zu Beginn des Abzugs der internationalen Truppen von Unruhe innerhalb der eigenen Reihen berichtet. Man habe «kein sonderlich gutes Gefühl», sagte ein Soldat in Kabul. Lediglich die Spezialkräfte seien wirklich in der Lage, das Land zu verteidigen. Man habe bis zuletzt nicht geglaubt, dass die USA wirklich abzögen. Man wisse aber, man müsse für das Land kämpfen - «sei es jetzt mit oder ohne Amerikaner», sagte der Soldat. Er habe zudem Sorge, dass nun Munitions- und Waffenbestände der Armee zunehmend «verschwinden». Manche Kameraden würden sich offenbar schon auf einen Bürgerkrieg vorbereiten.
Der Nationale Sicherheitsberater Hamdullah Mohib sagte bei einer Pressekonferenz am Samstag, der Abzug sei kein Grund zur Sorge, denn man sei «nicht mehr sehr» abhängig von den internationalen Truppen gewesen. Die afghanischen Sicherheitskräfte würden 96 Prozent der Operationen unabhängig durchführen, und es gebe ja Zusagen, dass die Sicherheitskräfte weiter finanziell unterstützt würden.
Die USA, Russland, China und Pakistan hatten am Freitag gemeinsam die Taliban dazu aufgerufen, den Abzug nicht durch Anschläge zu stören. Nach einem Vierertreffen in Doha appellierten sie an die Konfliktparteien, das Ausmaß der Gewalt zu verringern und eine Verhandlungslösung zu suchen. Eine gewaltsam installierte Regierung werde man nicht unterstützen.
Die Gewalt ging allerdings auch in der Nacht zu Samstag weiter. Schwere Gefechte wurden aus dem Bezirk Schindand der Provinz Herat gemeldet. In der zentralen Provinz Gasni überrannten die Taliban einen Kontrollposten und eine Basis der Sicherheitskräfte. Verlässliche Angaben zu Opfern gab es zunächst nicht.
Bei einer Explosion auf einer Militärbasis am Luftwaffenstützpunkt Bagram wurden in der Nacht zu Samstag mindestens zwei Soldaten getötet. Internationale Truppen befinden sich rund 500 Meter in einer separaten, hoch geschützten Basis. Im der Provinz Nangarhar starben eine Frau und zwei Kinder, als ihr Haus von einer Mörsergranate getroffen wurde. Die Zahl der Toten durch einen massiven Autobombenangriff in der Provinz Logar am Freitagabend (Ortszeit) stieg am Samstag auf mindestens 24.
Von afghanischen Bürgern wird der Abzug mit gemischten Gefühlen wahrgenommen. Lokale Medien berichten von Menschen, die sich darüber freuten und einen neuen Unabhängigkeitstag feiern wollen, wenn der letzte Soldat das Land verlassen hat. Bei anderen löst der Abzug blanke Angst aus. Vor allem finanziell gut situierte und liberale Afghanen wollen das Land verlassen. Sie befürchten eine Rückkehr des repressiven Regimes der Taliban oder einen neuen Bürgerkrieg.