Leitartikel

„Öffnet die Schleusen: Internationale Studierende machen uns stärker“

Öffnet die Schleusen: Internationale Studierende machen uns stärker

Öffnet die Schleusen: Internationale Studierende stärken uns

Apenrade/Aabenraa
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Kleines Land – große Köpfe: Dänemark muss erfinderisch bleiben, um den Wohlstand zu wahren. Das geht nur, wenn das Land sich in Forschung und Lehre weiter öffnet als bisher, meint Cornelius von Tiedemann. Wenig liege da näher als der Nachbar Deutschland. Doch Innovation darf nicht zum Selbstzweck verkommen, mahnt er.

Der neu gegründete Verein Yatsi fordert, dass internationale Studierende an dänischen Universitäten stärker gefördert werden. Ihr Argument: Die Studierenden bringen Geld ins Land. Doch der Fokus auf wirtschaftliche Argumente allein greift zu kurz. 

Beim Austausch von Wissen und Ideen geht es um weit mehr als ums Geld. Die dänisch-deutschen Beziehungen könnten hier beispielhaft sein, denn beide Gesellschaften können auf vielen Ebenen massiv voneinander profitieren.

Die Argumente von Yatsi sind dabei wirtschaftlich durchaus solide. In einem Beitrag in „Science Report“ rechnen sie vor, dass nur durch die Steuern, die eine aus dem Ausland gekommene Person in den ersten elf Jahren nach Abschluss in Dänemark zahlt, ein Plus von 1,5 Millionen Kronen für den dänischen Staat generiert wird. Nach zwanzig Jahren steigt dieser Wert auf 2,4 Millionen Kronen. Selbst, wenn zahlreiche Absolventinnen und Absolventen nach dem Studium in ihre Heimat zurückkehren: Es lohnt sich ökonomisch, Studierende aus dem Ausland ins Land zu holen! Zumal Dänemark keinen Öre für ihre Kindheit und Schulbildung berappen muss. 

Neben diesen direkten finanziellen Vorteilen tragen hochqualifizierte ausländische Arbeitskräfte laut Yatsi wesentlich zur Gesellschaft bei, indem sie neue Technologien und Innovationen entwickeln. Diese stärken dänische Unternehmen und machen sie wettbewerbsfähiger. Das Ergebnis: Mehr Export, neue Arbeitsplätze, die Wirtschaft wächst. 

Wichtig dabei: Die (Ideen-)Vielfalt, die internationale Studierende mit sich bringen. Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen haben verschiedene Perspektiven und Lösungsansätze. Doch die internationale Konkurrenz um die besten Köpfe ist hart, heißt es bei Yatsi. Nur, wenn sich Dänemarks Wissenschaft für mehr internationale Talente öffnet, können wir also unsere Position als führende Wissensökonomie behaupten.

Doch mal ab vom Wachstumsglauben: Historisch gesehen haben die Geisteswissenschaften den europäischen und dänischen Fortschritt maßgeblich geprägt. Philosophie, Geschichte, Literatur und Kunst haben dazu beigetragen, die Gesellschaft zu formen, ethische Standards zu setzen und kulturelle Identitäten zu schaffen. Die Geisteswissenschaften bieten kritisches Denken, kulturelles Verständnis und ethische Reflexion – Fähigkeiten, die in einer globalisierten und polarisierenden Welt von unschätzbarem Wert sind. Sie sind die Grundlagen der Demokratie. Und solange sie als Teil unserer (Wissenschafts-)Kultur gepflegt werden, machen sie unsere Heimat so lebenswert. 

Denn nicht überall, wo wirtschaftlicher Wohlstand herrscht, sind Menschen frei. Dänemark, Deutschland und andere Demokratien sind deshalb so attraktive Zuwanderungsländer, weil sie Freiheit versprechen – auch in der Wissenschaft.

Also: Trotz der überwältigenden wirtschaftlichen Argumente sind Bildung und Forschung immer auch grundlegende Bausteine für den Fortschritt, die Lebensqualität und Attraktivität der Gesellschaft als Ganzes.

Ein besonders fruchtbares Beispiel hierfür sind die dänisch-deutschen Beziehungen. Beide Länder teilen nicht nur eine lange (und komplizierte!) gemeinsame Geschichte, sondern auch viele ähnliche Herausforderungen und Ziele. Die Lösungen werden beidseits der Grenze oft ganz unterschiedlich gesucht und gefunden. Deutschland, als wirtschaftlicher, politischer und nicht zuletzt kultureller Gigant in Europa, und Dänemark, mit seinen starken Innovations- und Bildungssystemen, sind also wie füreinander gemachte Partner, die einander ergänzen.

Die Forderung von Yatsi nach mehr internationalen Studierenden an dänischen Universitäten kommt aus deutsch-dänischer Perspektive deshalb wie gerufen. Sie ist nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch gesellschaftlich notwendig.

Schade ist dann, wie klein angesichts der Chancen die Schritte sind, die etwa bei der Zusammenarbeit der Süddänischen Uni und der Europa-Uni Flensburg gemacht werden. Dass jüngst das gemeinsame Studienfach European Studies wegen politischer Eingriffe von dänischer Seite wieder eingestampft wurde, ist ein Schlag ins Gesicht aller, die auf eine deutsch-dänische Zukunftsperspektive jenseits des Ingenieurwesens setzen – dessen Bedeutung derweil nicht überschätzt werden kann. Dass ein besserer Austausch auf Studierenden-Ebene bereits am zerschundenen ÖPNV-Netz über die Grenze hinweg scheitert, ist dabei fast schon eine Farce. 

Doch nicht nur die Politik ist nun gefordert, den Blick zu heben. Wir alle sind verantwortlich dafür, hier in Nordschleswig und in Dänemark ein Klima zu schaffen, bei dem internationale Studierende auch bei uns bleiben wollen, um ihre Fähigkeiten zu unserem Wohle einzubringen. Und auch aus Dänemark sollten mehr junge Menschen als bisher den Schritt ins Ausland wagen und so neue Verbindungen knüpfen – und ihre Erfahrungen – zum Beispiel aus Deutschland – mitbringen. 

Wie wichtig der Austausch unter Freunden, die in Freiheit forschen, ist – das zeigt auch der Umstand, dass die DTU jüngst vermeldet hat, aus Angst vor Spionage nicht mehr mit Unis in China und dem Iran zusammenarbeiten zu wollen. Hier entstehen Räume für deutsch-dänische Kooperationen.

„Öffnet die Schleusen“, fordert Yatsi. Doch lasst uns dabei nicht nur in eine Richtung denken – und nicht nur an die wirtschaftliche Bereicherung. Es geht um nicht weniger als das Wohl und die Zukunft unserer freien, demokratischen Gesellschaft. Wenn sich Forschung und Lehre einigeln, kommen wir nicht weiter. Wenn wir unsere Hochschulen öffnen und unseren Nachwuchs in die weite Welt schicken, die schon hinter Krusau beginnt, bleiben wir vorn.

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