Deutsche Minderheit

Naturpädagogik in Wilsbek: Ein Kindergarten fast ohne Spielzeug

Naturpädagogik in Wilsbek: Ein Kindergarten fast ohne Spielzeug

Naturpädagogik in Wilsbek: Kindergarten fast ohne Spielzeug

Wilsbek/Vilsbæk
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Agnes ist 5 Jahre alt und schon richtig gut im Klettern. Foto: Karin Riggelsen

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Die Umgebung aktiv wahrnehmen und selbst mit Leben füllen – so könnte das Konzept beschrieben werden, das das Team im Deutschen Kindergarten Wilsbek etablieren will. Der Kindergarten möchte sich mit einem naturpädagogischen Profil von anderen abheben und so gezielt Familien ansprechen, die diesen Weg teilen.

Die Blätter sind schon gelb, der Himmel blau und die Luft so klar und frisch, dass es keinen Zweifel gibt: Der Herbst ist da – mit all seinem Zauber. Die Sonne wirft an diesem Dienstagmorgen ihre Strahlen zwischen den Bäumen hindurch auf den Boden, dessen Erde zunehmend von Blättern bedeckt ist. Zwischen großen und kleinen Bäumen steht ein Klettergerüst, es gibt einen Sandkasten und eine Schaukel. Auch eine Rutsche gibt es und einen Tisch mit Bänken. Wir sind draußen im Deutschen Kindergarten Wilsbek.

Der Stock, den Agnes geschnitzt hat, eignet sich auch richtig gut als Schwert. Foto: Karin Riggelsen

Hier sind keine Spielsachen zu sehen, aber alle Kinder spielen. Die 5-jährige Agnes schwingt ein Schwert, das fast so lang ist wie ihr Arm. Das zumindest ist, was sie sieht. Die Erwachsenen drumherum sehen einen Stock, den die Kinder diese Woche schnitzen, um ihn beim Laternenfest zu verwenden.

Ein Polizeiauto ist ein Polizeiauto. Ein Stock aber, der kann so viel mehr sein.

Pieter Thoms

Stella hat auf einem Blatt einen Marienkäfer entdeckt. Er bewegt sich nicht. Ist er tot? Oder hat er sich gerade bewegt? Vielleicht hat er bloß geschlafen? Wie auch immer – sie lässt ihn, wo er ist und legt das Blatt wieder zurück. 

Das ganze Szenario ist Teil eines Konzeptes, erklärt Nina Wickerath. Sie leitet den Deutschen Kindergarten Wilsbek sowie den Deutschen Waldkindergarten Feldstedt. Das Konzept, von dem Wickerath spricht, nennt sich Naturpädagogik.

Auch der dreijährige Nino schnitzt seinen Stock für das Laternenfest. Foto: Karin Riggelsen

Sie und ihr Team in Wilsbek – und damit auch die Kinder und Eltern – befinden sich in einem großen Umstellungprozess. „Das geht nicht von heute auf morgen, aber wir stärken unser Profil mehr und mehr hin zu einem Naturkindergarten.“ 

Mehr als Mülltrennung

„Die Tatsache, dass hier kein Spielzeug rumliegt, ist Teil davon“, erklärt Pieter Thoms. Der Erzieher hat sich zum Naturpädagogen weitergebildet und weiß: Nachhaltigkeit bedeutet mehr als Mülltrennung und auf Plastik verzichten.

Pieter Thoms hat sich zum Naturpädagogen weitergebildet. Foto: Karin Riggelsen

Dass viele Spielsachen aus Kunststoff sind, steht gar nicht mal so im Vordergrund. Pieter Thoms hinterfragt, ob Kinder diese Sachen erstens brauchen, und ob sie zweitens überhaupt so förderlich sind. „Siehst du hier ein Kind, das sich langweilt?“, fragt er.

Agnes läuft noch immer mit ihrem Schwert in der Hand herum, Nino sitzt auf einem Baumstamm und schnitzt. Zwei andere Kinder spielen zusammen im Laub. Es ist ruhig – kein Gekreische, kein Gewusel, kein Chaos, wie man es vielleicht von einem Kindergarten erwarten würde. Nein: Keines der Kinder macht einen gelangweilten Eindruck. „Als es hier noch die Fahrzeuge zum Spielen gab, konntest du sicher sein, dass die Kinder losstürmen würden, um als Erste eines davon ergattern zu können“, erklärt der Pädagoge. 

Der Außenbereich im Kindergarten Wilsbek Foto: Karin Riggelsen

Dass die Spielsachen so beliebt sind, wundert eigentlich wenig. Dafür werden sie schließlich hergestellt. Die Beliebtheit habe laut Thoms aber auch Nachteile: Das Spielzeug zieht alle Aufmerksamkeit auf sich und lässt oft wenig Raum für Kreativität. „Ein Polizeiauto ist ein Polizeiauto. Ein Stock aber, der kann so viel mehr sein.“ 

Seit es im Außenbereich kein Spielzeug mehr gibt, würden die Kinder ihre Umgebung viel bewusster erkunden und mehr miteinander spielen, statt um die Spielzeuge zu wetteifern. 

Spielzeug, das fördert

Natürlich ist nicht der ganze Kindergarten spielzeugfreie Zone. Im Innenbereich des Kindergartens gibt es Spielsachen. Was beim Gang ins und durchs Haus allerdings auffällt: Es gibt keine Spielsachenflut. Die vielen Räume der Einrichtung sind unterschiedlich gestaltet. „Wir arbeiten an einem neuen Raumkonzept“, so Thoms. Der Kindergarten Wilsbek genießt das Privileg, viel Platz und viele Zimmer zu haben. „Hier ist der Bewegungsraum.“ Der Pädagoge erklärt, dass die Hängematte, die in dem hellen Raum zwischen Matten und großen Schaumstoff-Bausteinen in verschiedenen Formen hängt, der Hit ist. „Die lieben sie alle.“  

Einige kommen morgens an und brauchen noch ein wenig Ruhe, andere wollen direkt drauflos toben. Unsere Raumaufteilung ermöglicht uns, auf diese Bedürfnisse einzugehen.

Pieter Thoms

In einem anderen Raum muss kein Profi unterwegs sein, um zu erkennen, dass an den vollgekritzelten kleinen Tischen gebastelt wird. Auch einen Ruheraum gibt es. Hier liegt ein großer Sitzsack und eine große weiche Matte, die zum Faulenzen einlädt. 

Bedürfnissen Raum geben

„Die Kinder sind sehr unterschiedlich. Einige kommen morgens an und brauchen noch ein wenig Ruhe, andere wollen direkt drauflos toben. Unsere Raumaufteilung ermöglicht uns, auf diese Bedürfnisse einzugehen“, erklärt Thoms.

Das alles sei Teil von Naturpädagogik – nicht nur die Tatsache, dass die Pädagogen und Pädagoginnen die Kinder viel mit raus an die frische Luft nehmen. 

Auch Nachhaltigkeit ist ein großes Stichwort in der Naturpädagogik. Das hört nicht bei den Materialien auf, oder damit, dass die Kinder viel draußen sind. „Ja, wir sind viel in der Natur und erkunden sie und wie sie sich mit den Jahreszeiten verändert“, so Wickerath. Aber: „Auch Personalentscheidungen können nachhaltig sein.“

Das Kindergarten-Team in Wilsbek glaubt, dass die Kinder die Natur viel besser erleben können, wenn bunte Spielzeuge nicht die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Foto: Karin Riggelsen

Bei einer vakanten Stelle sei das immer ein Zwiespalt. Das Personal gebe es nicht im Überfluss und natürlich müsse sie als Leiterin auch dafür sorgen, dass das Team schnell wieder komplett ist. Sie meint aber, es sei manchmal besser, etwas länger zu suchen und dafür dann jemanden zu haben, der oder die bleibt, als auf die erstbeste Bewerbung zu setzen und eine hohe Mitarbeiter-Fluktuation zu haben. 

Die Leiterin gesteht aber auch ein, dass ihr Kindergarten nicht gerade überlastet ist. Aktuell zähle die Einrichtung 14 Kinder, 4 davon im Krippenalter. „Wir könnten aber bis zu 30 Kinder hier betreuen.“ Wickerath möchte gerne mehr Familien davon überzeugen, ihr Kind in den Kindergarten nach Wilsbek zu bringen. Der Standort ist im Hinterland der Kommune Apenrade. Nur eines der Kinder komme aus Wilsbek. „Wir müssen die Familien überzeugen, zu uns zu kommen.“

Der Deutsche Kindergarten Wilsbek Foto: Karin Riggelsen

Die Umstellung hin zum naturpädagogischen Profil soll dabei helfen. „Wir wollen uns abheben von anderen Kindergärten und auch gezielt Familien ansprechen, die sich unseren naturpädagogischen Weg auch für ihr Kind wünschen“, so die Leiterin. Die Krönung sei für sie, wenn der Kindergartenträger der Minderheit, der DSSV (Deutscher Schul- und Sprachverein), irgendwann ihrem Wunsch nachkommt, den Deutschen Kindergarten Wilsbek in den Deutschen Naturkindergarten Wilsbek umzubenennen. 

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