Präsidentin am OLG Schleswig
Uta Fölster im Interview: Schleswig-Holsteins oberste Richterin geht in Ruhestand
Uta Fölster im Interview: Schleswig-Holsteins oberste Richterin geht in Ruhestand
Uta Fölster im Interview: Schleswig-Holsteins oberste Richterin geht in Ruhestand
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Uta Fölster, als langjährige Präsidentin des Oberlandesgerichts Schleswig-Holsteins oberste Richterin im Land, geht an diesem Mittwoch in Ruhestand.
Nach fast 14 Jahren an der Spitze des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) hat Ministerpräsident Daniel Günther am 8. Dezember Uta Fölster in den 2022 beginnenden Ruhestand verabschiedet. Carlo Jolly hat sie interviewt.
Frau Fölster, Sie waren vor Ihrer langen Schleswiger Zeit als Präsidentin des Oberlandesgerichts unter anderem in Berlin und beim Bundesverfassungsgericht. Welches war Ihre liebste Station?
Lieb waren mir alle, am meisten geprägt hat mich die Zeit in Karlsruhe: Mitzuerleben, wie 16 wirklich kluge Richterinnen und Richter um Entscheidungen ringen, die von großer Bedeutung für unsere Gesellschaft sind – aktuell etwa die Entscheidung zur „Bundesnotbremse“. Ich hatte damals Riesenrespekt vor der Aufgabe als erste Pressesprecherin dieses Gerichts. Das hat mich gut vorbereitet auf alles, was danach kam. Auch auf das Präsidentenamt im heimatlichen Oberlandesgericht, das ich mit großer Freude ausgeübt habe.
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Wer hat Sie in ihrer juristischen Laufbahn am meisten geprägt?
Jutta Limbach. Sie war so klug und unerschrocken. „Bange machen gilt nicht“ ist ein Motto, das Frau Limbach mir erfolgreich empfohlen hat. Sie wusste um ihre Macht, ist aber sehr verantwortungsvoll, bisweilen fast demütig mit ihr umgegangen. Gleichzeitig war sie ungemein liebenswürdig und zugewandt im Umgang mit allen Menschen.
Was zeichnet gute Richterinnen oder Richter aus?
Über gute Rechtskenntnisse hinaus der Wille, die Lebensumstände der Rechtsuchenden ernstzunehmen und zu versuchen, jedem Einzelfall gerecht zu werden. Gute Richterinnen und Richter sind die, die auch bemüht sind, fachgerechte Lösungen zu finden, mit denen beide Parteien leben können. Deshalb begrüße ich es sehr, dass sich in der Justiz unseres Landes frühzeitig die gerichtliche Mediation, ein Verfahren zur einvernehmlichen Streitbeilegung, etabliert hat. Das gelingt leider nicht in jedem Fall, nicht selten fühlt sich „der Verlierer“ ungerecht behandelt.
Wieso schafft es Ihre Zunft zu selten, ausreichend zu erklären, was Sie tut?
Weil Lebenssachverhalte und die Rechtsfragen komplex sind. Denken Sie etwa an „cum-ex-Geschäfte“. Um gerichtliche Entscheidungen nachvollziehbar zu erklären, bedarf es häufig mehr als ein paar Zeilen oder ein paar Minuten Redezeit. Es glaubt ja auch niemand, nach Beobachten einer Herz-OP selbst operieren zu können.
Ist es schwerer geworden im Vergleich zu vor 20 oder 30 Jahren, Ihre Entscheidungen zu vermitteln?
Ja. Zum einen zwingt die digitalisierte Kommunikation zu rasant schnellen Reaktionen, und zum anderen verändert die Technik fortwährend unsere Lebenswelt, also auch die Gerichtsfälle. So ging es zum Beispiel in meinem Senat vor einigen Jahren um ein wettbewerbsrechtliches Problem im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Socialmedia-Plattform. Ich musste mir erst einmal erarbeiten, wie eine solche Plattform funktioniert und welche rechtlichen Fragen sich stellen.
Sie haben sich einen Twitter-Account angeschafft?
Nein, aber ich weiß immerhin, was das ist. Neu ist auch die gerichtliche Videoverhandlung, die wir insbesondere seit der Corona-Pandemie nutzen. Sie ist zwar meines Erachtens nicht in jedem Fall geeignet, etwa wenn es um die Glaubwürdigkeit von Zeugen geht, bei Sorgerechtsentscheidungen oder Kindesanhörungen. Steht die Erörterung von Rechtsfragen im Vordergrund, ist es aber eine gute Möglichkeit. Ich gebe zu, dass ich, bis Corona kam, nicht geglaubt habe, freiwillig so zu verhandeln.
Wird die Arbeit im Klima von Verschwörungsverdächtigungen oder Wissenschaftsleugnung und zuletzt in der Corona-Zeit schwerer?
Nein. Was Sie aufzählen, gibt es seit Menschengedenken und hat auch die Justiz immer beschäftigt. Neu und insbesondere in der Aufklärung schwierig sind allerdings „Internet-Straftaten“.
Sie waren gut 13 Jahre OLG-Präsidentin. Was von Ihrem Programm haben Sie geschafft?
Ehrlich gesagt war mein Programm im Wesentlichen, mich um gute Arbeit zu bemühen. Darüber hinaus hatte ich schon meine Vorstellungen etwa von mehr Öffentlichkeitsarbeit. Die haben sich aber nicht vollständig verwirklichen lassen.
Welche Hoffnung hatten Sie denn?
Noch offener zu werden, mehr personelle Ressourcen reingeben zu können. Die Bereitschaft in der Politik und auch in der Kollegenschaft, ein solches Vorhaben zu unterstützen, ist nicht so ausgeprägt. Dafür habe ich grundsätzlich Verständnis, weil professionelle Öffentlichkeitsarbeit Geld kostet und die Richterinnen und Richter mit ihrer Arbeit mehr als ausgefüllt sind.
Immerhin gibt es jetzt eine Arbeitsgruppe, in der es um die Nutzung der sozialen Medien in der Justiz geht. Wir sind auf Akzeptanz angewiesen und können deshalb nicht einen großen Teil der Bevölkerung ignorieren, der sich nur über soziale Medien informiert. Ob wir diese Medien schätzen oder nicht, ist irrelevant.
Die Stellenlage der Justiz ist nicht besser geworden.
Für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit stimmt das. Natürlich binden Socialmedia-Kanäle viel Personal. Ich kann nicht einen Account öffnen und die Justiz reaktionslos beschimpfen lassen.
Warum wollen Sie es bei aller Brisanz dennoch?
Ich möchte transparent machen, wie wir uns bemühen, gerechte Entscheidungen zu treffen. Ein Anliegen ist es mir dabei auch, die Vorzüge unseres demokratischen Rechtsstaates deutlich zu machen. In einem solchen Staat leben zu dürfen, ist nicht selbstverständlich. Manchmal habe ich Sorge, dass wir vor lauter Meckern vergessen, wie gut wir es haben. Wie ein Rechtsstaat abgeschafft wird, zeigt die Entwicklung in anderen Ländern, da muss man gar nicht weit schauen.
Sie waren selbst einmal in der Kritik, als sie für die damalige Justizministerin Anke Spoorendonk eine Solidaritätsadresse starten wollten. Wie politisch darf man als Richterin sein?
Das hatte damals weniger mit politischen Absichten denn mit Kritik an unsachlicher Berichterstattung zu tun. Aber zu Ihrer Frage: Sachverhalte, über die Gerichte zu entscheiden haben, sind häufig politischer Natur, jedenfalls dann, wenn es um die Überprüfung politischer Entscheidungen geht. Unpolitisch kann also das richterliche Wirken nicht sein. Soweit es um Parteizugehörigkeit geht, ist eine solche für Richter in unserem Land erlaubt, und das finde ich richtig.
Auch am Oberlandesgericht gibt es politisch aktive Richter in unterschiedlichen Parteien. In der politischen Arbeit, etwa in Kommunen, erfährt man auch Einiges darüber, was die Menschen bewegt und besorgt. Wichtig ist, dass parteipolitische Bindungen auf die Rechtsfindung keinen Einfluss nehmen dürfen. Dass das in unserem Land gewährleistet ist, darauf darf man sich getrost verlassen.
Was hatten Sie sich in Ihrer Amtszeit vorgenommen, das nicht geklappt hat?
Neben der defizitären Öffentlichkeitsarbeit ist es das weitere Dauerthema „Förderung von Frauen in der Justiz“. Zwar sind wir Frauen auf der obersten Ebene von Gerichtsleitungen in Schleswig-Holstein gut vertreten, nicht aber auf den Führungsebenen darunter. Das hat auch mit der Doppelbelastung von Familie und Beruf zu tun, aber auch damit, dass sich Frauen trotz nachgewiesener Qualifikation nach wie vor zu wenig zutrauen. Da können wir von unseren Männern noch Einiges lernen.
Würden Sie einer guten Abiturientin oder einem Abiturienten heute zum Jurastudium raten?
Unbedingt.
Aus welchem Grund?
Es ist eine ungemein befriedigende Aufgabe, am Funktionieren unseres Rechtsstaats mitzuwirken – wo auch immer. Ich habe immer wieder erfahren, dass diese Prinzipien wie etwa die Gewaltenteilung nicht nur in unserer Verfassung stehen, sondern gelebt werden. Ein Beispiel ist der Fall des katalanischen Politikers Carles Puigdemont.
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Er wurde vor einigen Jahren in der Nähe von Schleswig verhaftet. Unser OLG war damals für die Entscheidung zuständig. Obwohl der Fall eine enorme politische, auch außenpolitische Dimension hatte, gab es nicht im Ansatz den Versuch der politischen Einflussnahme – weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Und glauben Sie mir, ich hätte von solchen Versuchen erfahren.
Ihr Gericht hatte ein Medieninteresse wie nie.
Jedenfalls wohl nicht seit dem Mölln-Prozess 1993. Das große Interesse am Puigdemont-Verfahren hat uns nicht überrascht und bisweilen auch ein wenig amüsiert. Vielfach fragten sich Medienvertreter durchaus besorgt, wie wohl das bis dahin einigermaßen unbekannte OLG mit dem Fall zurechtkäme. Nach Abschluss des Verfahrens war man sich ganz überwiegend einig: gut! Der Senat konnte ohne jegliche Versuche äußerer Einflussnahme seine Entscheidung treffen.
Sie haben also keine Nachhilfe bekommen.
Weder Nachhilfe noch gut gemeinte Ratschläge. Bei aller auch berechtigter Kritik an staatlichen Entscheidungen ist es ein nicht auf eigenem Verdienst beruhendes Glück, in diesem Staat zu leben. Wo sonst gibt es einen freiheitlichen Staat, in dem ich diesseits der Grenze des Strafbaren tun und sagen darf, was ich will, und mich auf eine Justiz verlassen kann, die unabhängig Recht spricht?
Haben Sie in Ihrer Laufbahn auch falsche Entscheidungen getroffen?
Ja. Der Satz „Hinterher ist man immer klüger“ gilt auch für uns. Ein Fall spielte noch in meiner Berliner Zeit. Eine Frau hatte ein Verfahren gegen ihren gewalttätigen Mann angestrengt, und ich hatte ihr nicht geglaubt. Hinterher kam heraus: Als Strafe für die Einleitung des Verfahrens hat er sie gleich nochmal krankhausreif geschlagen. Meine Entscheidung war also falsch. Nicht unbedingt juristisch, weil ich ernsthafte Zweifel an der Schuld des Angeklagten hatte. Aber tatsächlich hatte ich den Angeklagten zu Unrecht freigesprochen. Das war mir eine schmerzhafte Lehre. Trotzdem kann ich nicht ausschließen, mich auch in nachfolgenden gerichtlichen Entscheidungen geirrt zu haben. Das kann niemand aus der Richterschaft.
In welche Richtung könnte sich das Oberlandesgericht weiterentwickeln?
Ich bin überzeugt, in die richtige Richtung. Mein Nachfolger Dirk Bahrenfuss kennt die Landesjustiz, die handelnden Personen und das OLG, von dem ich sagen würde, dass in ihm ein guter Geist herrscht – selbst in Zeiten von Corona.
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Diesen Geist zu bewahren, war mir immer ein Anliegen, weil ich aus langjähriger beruflicher Erfahrung weiß, wie wichtig ein gutes Miteinander für die Qualität der Arbeit ist – gerade in Pandemiezeiten. Ganz sicher ist es meinem Nachfolger gleichermaßen ein Anliegen.