Geschichte im Grenzland
Flensburgs unrühmliche Rolle gegen Kriegsende 1945
Flensburgs unrühmliche Rolle gegen Kriegsende 1945
Flensburgs unrühmliche Rolle gegen Kriegsende 1945
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Hans Christian Davidsen, Kulturredakteur von „Flensborg Avis“, liefert im Buch „Nazisternes sidste tilflugt“ der dänischen Leserschaft Einblick ins Geschehen um Hitler-Nachfolger Karl Dönitz und seiner Regierung, der Flucht von Kriegsverbrechern sowie des Untertauchens schwer belasteter Nazigrößen. Thema ist auch Flensburgs Erinnerungskultur.
In den vergangenen Jahrzehnten und Jahren ist viel Skandalöses zum Thema Flensburg als Zufluchtsort führender Nazis kurz vor dem Ende des Hitlerregimes aufgedeckt und erforscht worden.
Auch unbekannte Leiden Thema
Die Öffentlichkeit ist auf die Rolle Flensburgs als Anlaufhafen von Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten nach der Eroberung durch die Rote Armee aufmerksam gemacht worden. Aber auch auf das Leiden von KZ-Gefangenen, die wenige Tage vor dem Ende der Nazi-Schreckensherrschaft von ihren Peinigerinnen und Peinigern per Schiff und per Zug in den fast letzten, noch nicht von den Alliierten befreiten Winkel Deutschlands verfrachtet wurden.
Der Kulturredakteur von „Flensborg Avis“, Hans Christian Davidsen, der seit Jahrzehnten die „Aufarbeitung“ der unrühmlichen Rolle Flensburgs im Schlusskapitel des Nazi-Reiches journalistisch begleitet, liefert der dänischsprachigen Leserschaft mit seinem neuesten Buch „Nazisternes sidste tilflugt“ einen sehr informativen Einstieg in das immer noch brisante Thema.
Unrühmliche Kapitel der „Vergangenheitsbewältigung“
Dabei lässt er auch nicht ein weiteres unrühmliches Kapitel der deutschen „Vergangenheitsbewältigung“ aus, das Untertauchen von Nazi-Kriegsverbrechern und NS-Funktionären in Flensburg und Umgebung, aber auch anderen Regionen.
Er berichtet über die Hilfestellung von alten Mitstreitern, aber auch Mitwissern, denen es oft an Einsicht fehlte, dass sie schwere Schuld auf sich geladen haben, wenn sie solchen Personen die juristische Aufarbeitung ihrer Vergehen ersparten. Hans Christian Davidsen liefert viele, oft schockierende Details der Vorgänge um die Nazi-Größen wie Heinrich Himmler, in deren Umfeld gerade in Flensburg und Umgebung sogar nach der Kapitulation am 5. Mai 1945 noch Terrorurteile der Militärjustiz vollstreckt wurden.
Davidsen lenkt auch den Blick auf die Fortsetzung des Treibens der „Regierung“ Dönitz bis zu deren Gefangennahme erst am 23. Mai 1945 an ihrem Sitz in Mürwik.
Briten tolerierten „Sonderbereich Mürwik“
Die britische Besatzungsmacht beließ im „Sonderbereich Mürwik“ außer Dönitz auch Rüstungsminister Albert Speer und Generaloberst Alfred Jodl zunächst unbehelligt. Jodl hatte im Auftrag von Dönitz am 7. Mai 1945 in Reims die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht unterzeichnet – und kehrte nach Flensburg zurück. Am 6. Mai 1945 hatte Großadmiral Dönitz Jodl mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet. 1946 wurde Jodl im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Dönitz und Speer kamen mit Haftstrafen davon.
Davidsen benennt die seriöse Literatur und historische Forschung, auf die sich sein Werk stützt. Das Literaturverzeichnis ermöglicht auch eine Vertiefung in die Materie, die in Flensburg noch lange auf der Tagesordnung stehen dürfte. Darauf lassen Davidsens Ausführungen über die andauernde Auseinandersetzung über eine angemessene Erinnerungskultur in Flensburg.
Der Autor geht auf die Problematik ein, dass die Kenntlichmachung der letzten Unterschlüpfe prominenter Nazi-Größen in Flensburg ein unerwünschtes Publikum zur Heldenverehrung anziehen könnte. Zugleich weist er auf das weitgehende Fehlen der Vermittlung des Geschehens und von Hinweisen auf grausame Ereignisse, wie die Leiden von KZ-Gefangenen, hin, die teilweise vor den Augen von Anwohnerinnen und Anwohnern kurz vor dem Ende des NS-Regimes ermordet wurden. Das 253 Seiten starke Buch, das mit aktuellen und historischen Fotos illustriert ist, kostet 289,95 Kronen und ist im Verlag Hovedland erschienen.