Leitartikel

„Der deutsche Kaiser“

Der deutsche Kaiser

Der deutsche Kaiser

Siegfried Matlok
Siegfried Matlok Senior-Korrespondent
Apenrade/Aabenraa
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Vor der Wahl zum Europa-Parlament am Sonntag spielt in Dänemark ausgerechnet der deutsche Kaiser eine Rolle. Ex-Chefredakteur Siegfried Matlok analysiert die Chancen der Parteien – vor allem in Nordschleswig, wo immer anders gewählt wird als im ganzen Land. Und er lüftet auch das Geheimnis um den deutschen Kaiser.

Nanu, der deutsche Kaiser? Was hat der mit der dänischen Wahl zum EU-Parlament zu tun? So viel zur Beruhigung vorweg: es handelt sich nicht um Werbung für die AfD oder etwa für jene Dummköpfe mit „Prinzengarde“, die von der Gründung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1871 träumen – also sogar mit Nordschleswig! Auch nicht um „Kaiser Franz“ Beckenbauer. 

Geduld, die Auflösung folgt am Ende …

Nie war die Wahl zum EU-Parlament so wichtig wie jetzt, von einer Schicksalsstunde für Europa ist berechtigterweise die Rede. Für Dänemark steht diese Wahl unter einem besonderen Stern: am Donnerstag wählten 184 von 193 Mitgliedsländern der UNO Dänemark in den Weltsicherheitsrat – als nicht-permanentes Mitglied ab 1. Januar 2025 für eine zweijährige Periode. Und das außenpolitische Gewicht Dänemarks – laut Ex-US-Präsident Obama schon seit Jahren in einer höheren Gewichtsklasse als normal –  wird eine zusätzliche europäische Dimension erhalten, wenn Dänemark im zweiten Halbjahr 2025 den EU-Vorsitz übernimmt. Da ist Außenminister Lars Løkke angesichts dieser enormen Herausforderungen in seinem Element, obwohl Løkke ebenso wie Regierungschefin Mette Frederiksen bedauert, dass im Wahlkampf zu wenig über die ernste Lage in Europa gesprochen worden ist.  Ja, die Staatsministerin meinte sogar, dass die kommenden fünf Jahre entscheidend sind für die Zukunft der nächsten 50 Jahre. 

Dem ist der Wahlkampf leider nicht gerecht geworden. Nun sind Innenpolitik und Europa heute schwerer zu trennen als früher, aber ist schon bedenkenswert, dass diese EU-Wahl bis vor wenigen Tagen von den Parteivorsitzenden dominiert wurde, die sich jetzt kaum darüber beschweren können, dass viele ihrer eigenen Spitzenkandidaten dem Volk selbst auf den Plakaten unbekannt geblieben sind. Eine Umfrage ergab vor wenigen Tagen, dass die Wähler nicht einmal die Hälfte aller dänischen Spitzenkandidaten kennen. Der weitaus bekannteste ist ausgerechnet der Spitzenkandidat der Alternativen, Jan Kristoffersen – bei den Jungwählern via TikTok. 

Die Tatsache, dass die Parteivorsitzenden die eigenen Spitzenkandidaten lange Zeit in den Schatten gestellt haben, hängt natürlich mit ihren eigenen, übergeordneten, innenpolitischen Interessen und Zielen zusammen. Viele Parteien – vor allem die Regierungsparteien – müssen bei einer Wahlniederlage innenpolitische Folgen fürchten. Die Sozialdemokraten zum Beispiel, dass SF sie erstmalig links überholen kann, außerdem die Angst, dass die Liberale Allianz mit dem geheimen Staatsministerkandidaten Axel Vanopslagh vielleicht sogar größte Partei wird und Venstre mit Sorgen vor einem Absturz, den ein relativ gutes Ergebnis bei der EU-Wahl vermeiden soll. Die anfangs dominante Frage: Geht Mette Frederiksen nach Brüssel, oder muss sich Dänemark auf einen neuen Staatsminister einstellen, ist im Endspurt kaum noch diskutiert worden, nachdem die Staatsministerin ihre angeblich so großen Chancen auf einen EU-Chefposten plötzlich offenbar doch realistischer einzuschätzen begonnen hat.

Zur Verwirrung in der Wählerschaft haben auch die zahlreichen Wahlbündnisse unter den elf antretenden Listen beigetragen. Nun sind Wahlbündnisse, die wir ja auch von den Kommunalwahlen her kennen, zunächst einmal technische Optimierungsbündnisse der eigenen Chancen. Wenn man z. B. das Wahlbündnis von Radikaler Venstre, den Moderaten und Venstre nimmt, bedeutet dies ja nicht, dass es unter ihnen keine unterschiedlichen Meinungen gibt. Nur der Wähler möchte ja gerne wissen, wie er sich die reine Ware holen kann, mit anderen Worten, dass nicht durch das Wahlbündnis eine andere Partei mit einer ganz anderen Haltung gewinnbringend seine Stimme und Mandat erhält. 

Heutzutage kann man auf alles wetten, aber eine Wette wäre vollkommen sinnlos, nämlich daraufzusetzen, dass sich in Dänemark und besonders in den vier Kommunen Nordschleswigs das Ergebnis von 2019 wiederholt. In einem solchen Falle würde die Gewinnquote fast den jüngsten Rekord vom Eurojackpot knacken. Nordschleswig wählt immer anders als der Landesdurchschnitt, und die Zahlen von 2019 sind in der jetzigen Parteienlandschaft kaum noch wiederzuerkennen. Größte Partei war damals in Nordschleswig Venstre mit 28,1 Prozent aller Stimmen vor den Sozialdemokraten mit 22,7 Prozent und Dansk Folkeparti mit 18 Prozent.  Im Wahlkreis Tondern kam Venstre sogar auf 32 Prozent. Da sich die Partei nach dem „moderaten“ Wechsel von Bürgermeister Frandsen gespalten hat, darf man sehr gespannt sein, wie die ehemaligen Venstre-Wähler reagieren. Und DF kämpft um das eigene Mandat im EU-Parlament, das vor fünf Jahren souverän von Peter Kofod aus Hadersleben gewonnen wurde, der übrigens mit 11.508 persönlichen Stimmen den Spitzenplatz aller Kandidaten in Nordschleswig einnahm, landesweit sogar auf Platz vier. Trotz der Diskussion über die europäische Migrationspolitik und über die Grenzkontrollen, die DF ja weiterhin permanent einführen will, kann man davon ausgehen, dass das angeblich einst so gelbe Nordschleswig am 9. Juni einen neuen Farbanstrich erhält, vielleicht dunkelblau-gelb-beige wie von LA? 

Da es am Sonntag nur eine Landesliste gibt und die persönlichen Stimmen entscheiden, bleibt mit Spannung abzuwarten, ob Nordschleswig bzw. Südjütland auch künftig Sitz(e) im Parlament erobern kann. Der Folketingsabgeordnete Henrik Dahl von LA, der bisherige EU-Abgeordnete Asger Christensen von Venstre sowie der frühere Außenminister Villy  Søvndal (SF) aus Kolding sind unter den 169 Kandidaten wohl die drei Politiker aus Nordschleswig/Südjütland mit den besten Aussichten auf einen der 15 dänischen Mandate, aber auch sie sind von den persönlichen Stimmen und einer hohen Wahlbeteiligung abhängig, die vor vier Jahren nördlich der Grenze immerhin bei 66,08 Prozent lag – gegenüber 61,38 südlich der Grenze. 

Und nun zum deutschen Kaiser. Dass in Dänemark – trotz der Kriegsgefahr in Europa – eine gewisse Müdigkeit gegenüber dem EU-Parlament festzustellen ist, dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass nur noch sieben (!) der 2019 gewählten 14 Abgeordneten am Ende der Legislaturperiode im Parlament übrig geblieben sind. Da soll man sich über Wählerverdruss hier im Lande nicht wundern, wenn die Gewählten ihre wichtige europäische Aufgabe nicht ernst (genug) nehmen.  

Just diese enttäuschende Ausgangsposition hat „Jyllands Posten“ dazu bewegt, in einer Umfrage von den Spitzenkandidaten eine Zusage zu fordern, dass sie ihre Abgeordnetentätigkeit nicht (wieder) frühzeitig aufgeben werden. 

Der gelehrte Soziologe Dahl gab darauf folgende historische Antwort: „Ich werde mein Mandat beibehalten -, es sei denn, ich werde eines Tages Kaiser von Deutschland.“ 

Da dies seit Abdankung von Kaiser Wilhelm II. 1918 wahrlich auch eines Tages unwahrscheinlich ist, hätte LA-Kandidat Dahl diese Möglichkeit auch mit einer anderen Variante ausschließen können: 

Bin ich der Kaiser von China … 

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